Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Krabben satt und schöne Kü(n)ste
Auf der Insel Föhr kann man in aller Ruhe Ferien machen: Langweilen muss man sich dabei auch im Herbst nicht.
Das Beste am Norden ist der Humor. Friesin und Friese machen da keine Ausnahme. Insulaner sowieso nicht. Wer nach einer Reihe grauer Tage in seiner Begeisterung über den endlich knallblauen Morgenhimmel Verbündete sucht, darf sich also nicht wundern, wenn er prompt und dröge auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird: „Hm. Ein paar Stunden bleibt das jetzt schön“, sagt die Föhringerin. Herzlich willkommen in der Friesischen Karibik.
Föhringer dürfen sich nur die Menschen nennen, die auf Föhr Wurzeln haben. Alle anderen sind Föhrer. Und Karibik sieht natürlich anders aus. Das Meeresklima ist zwar vom Golfstrom begünstigt, aber man sollte sich warm anziehen im Herbst auf der Nordseeinsel. Die liegt im Windschatten von Sylt und Amrum. Was nichts heißt, denn sie ist platt wie ein Pfannkuchen, und da fegen die Böen schon mal drüber. Föhr hat Wechselwetter. Sie ist die Grüne unter den nordfriesischen Inseln und liegt im Nationalpark Schleswig-holsteinisches Wattenmeer. Etwas mehr als 8400 Föhringer und Föhrer halten die Stellung. Die Touristen fallen kaum auf.
Wir wohnen friesisch in Oevenum in einem strohgedeckten Haus. Oevenum ist eines von elf schmucken Inseldörfern. Die Fahrräder stehen vor der Tür. Nur ein paar Minuten, und schon sind wir in der
Marsch. Föhr ist durchzogen von Radwegen. Horizont, wohin man guckt. Man braucht keine Straßenkarte. Die Kirchtürme der Dörfer weisen den Weg. Wir wollen nach Alkersum. Dort im „Museum der Westküste“kann man nach einem Spaziergang durch das älteste Inseldorf die Nordsee in Bildern kennenlernen, historischen und zeitgenössischen. Immer gibt es irgendeine Ausstellung, die Maritimes zeigt, Kapitänsbilder genannt.
Wir genießen das Radfahren zwischen Brombeerhecken und Vogelbeeren. Siele und schnurgerade Wasserläufe zerteilen die Wiesen. Wilde rote Malven biegen sich im Wind. Es duftet nach frisch gemähtem Gras. Wir atmen tief und juchzen laut. Gleich kommen Schafe und Jungbullen neugierig angerannt. Pferde liegen bäuchlings und schlummern. Tausende von Gänsepaaren, die von Skandinavien kommend den Weiterflug in den Süden aufgegeben haben, schnattern zufrieden und fressen den Bauern das Grün vom Acker. Uns greift der Wind in die Kleider, der alte Grobian. Kommt er von hinten, wird man herrlich geschoben, fliegt fast dahin.
Alkersum vereint Landwirtschaft, Kunst und Tourismus. Das Museum der Westküste ist ein Geviert aus Alt und Neu. Tolle Architektur und eine moderne Oase, die die Liebe des Stifters Frederic Paulsen zum Meer und seinen Bewohnern in 900 Werken widerspiegelt.
Die 100 Jahre von 1830 bis 1930 bilden den Schwerpunkt seiner Sammlung. Ständig kommt Neues hinzu. Die Ausstellungen wechseln. Man sollte den Aufenthalt dort zelebrieren. Er ist ein Highlight auf der Insel. Anschließend kann man im Gartenatrium sitzen und etwas Leckeres essen.
Oder man hat noch eine Verabredung nebenan in der Ferring-stiftung und lernt dort das Werk des Volkslebenmalers Oluf Braren (1787 bis 1839) kennen. Sein Bild vom Walfänger hängt im Friesenmuseum von Wyk. Wir radeln weiter nach Oldsum, vorbei an einem Feld duftenden Gewürzfenchels und frisch aufgeworfenen Äckern, über die ein kapitaler Feldhase hechtet. Die Konturen von Oldsum sind inzwischen im Nebel versunken. Da kommt das hübsche Café im Apfelgarten gerade recht. Der Pflaumenkuchen mit dicker Schlagsahne ist noch lauwarm und köstlich.
Föhr ist Natur pur mit 15 Kilometern Sandstrand. Angefangen hat der Tourismus mit vier Badewannen und drei von Pferden gezogenen Karren zum Kaltwasserbaden am Strand von Wyk. Das war zur Biedermeierzeit im 19. Jahrhundert, als die Insel die Sommerfrische der Könige war und diese samt Entourage wie ein Magnet anzog. Föhr war wegen des Walfangs bereits im 17. und 18. Jahrhundert zu Wohlstand gekommen. Bis 1864 war die Insel quasi zweigeteilt. Der Osten gehörte zum Herzogtum Schleswig. Der Westen war Teil des dänischen Staatsgebietes, das damals noch von Kopenhagen bis nach Hamburg-altona reichte. Das Königshaus in Wyk ist leider nicht mehr erhalten, wo der Dichter Hans Christian Andersen den dänischen Majestäten seine Märchen vorlas.
Aber Wyk ist immer noch schmuck. Hier kann man shoppen und in der Windjacke promenieren oder alle Variationen der Friesentorte verputzen. Stadtauswärts könnte man jetzt die Insel umrunden. Auf der Deichkante, am Strand entlang oder auf den ausgeschilderten Fahrradwegen. Reiter setzen sich aufs Pferd. Bis kurz vor Nieblum zieht sich ein herrlicher Bohlenweg mit gemütlichen Bänken. Da kann man alle fünf Minuten Pause machen und gucken, wie das Meer kommt und geht, oder abends das nordische Silberlicht bestaunen, das sich im Schlick spiegelt. Ganz wie auf den historischen Bildern im Museum der Westküste.
Abends tanzen die Stare am Meer. Das ist ein Rauschen, ein weiches Netz aus vielen Vögeln, das wogt und sich wiegt. Wie eine Symphonie. Inzwischen ist es kühler geworden und wir ziehen den Schal etwas fester unten am Strand im Herzmuschelgeriesel.
Wohl dem, der jetzt in Nieblum einen Tisch für das Abendbrot reserviert hat. In Corona-zeiten sollte man das schon von zu Hause aus machen. Nieblum mit seinen zahlreichen Kapitänshäusern liegt im goldenen Licht. Das Kopfsteinpflaster glänzt, flankiert von den zahlreichen schönen Lindenbäumen und Rosenstöcken. Die Grabsteine auf dem Friedhof des Friesendomes in Nieblum und von St. Laurentii in Süderende erzählen große Geschichten: von Walfän
gern, Fischern, Schulmeistern und Malern.
Föhr ist die zweitgrößte der Nordseeinseln. Auf jeden Fall stehen dort die schönsten und meisten Strohdachhäuser. Wir mochten die Wattwürmer und Strandkrabben, die zahlreichen Seehunde auf den Sandbänken, die hübschen Inseldörfer und die Schiffe am Wyker Hafen, die kommen und gehen. Jeden Morgen gab's Nordseekrabben zum Frühstück. So ein Luxus.
Noch ein letztes Krabbenbrötchen auf die Faust vom Kiosk an der Fähre. Der Wind nadelt unsere Wangen und zerrt das Haar aus der Mütze. Die Wolken hängen tief wie dunkle Baldachine, und das Meer hat eine Farbe wie Zement. Der optimistische Föhringer würde wahrscheinlich sagen: „Das sieht doch aus wie frischer Salbei“und die Nase genießerisch in den Wind stecken.