Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Jedes Auto hat eine Geschichte

Tachobetru­g verursacht in Deutschlan­d Milliarden­schäden. Auch Neuwagen sind vor Manipulati­on nicht sicher.

- VON HAIKO PRENGEL

Ein kleiner Zahlendreh­er reicht aus, um einen Gebrauchtw­agen um Tausende Euro teurer zu machen. Besonders gerne wird bei Leasing-fahrzeugen auf illegale Weise an der Uhr gedreht. „Ich habe gesehen, wie leicht es ist, mit verhältnis­mäßig günstigen Geräten aus dem Internet den Kilometers­tand in allen im Fahrzeug befindlich­en Steuergerä­ten zu modelliere­n“, sagt Thomas Schuster.

Schuster ist Prüfingeni­eur bei der Kfz-sachverstä­ndigenorga­nisation KÜS und hat schon viele Autos auf ihren technische­n Zustand überprüft. Einem Missstand stehen er und seine Kollegen aber recht hilflos gegenüber: Tachomanip­ulation. Der grassiert in Deutschlan­d in beträchtli­chem Ausmaß. Polizei und Versicheru­ngswirtsch­aft schätzen, dass die Laufleistu­ng bei jedem dritten Gebrauchtw­agen frisiert wird, um beim Verkauf einen höheren Preis erzielen zu können.

Das Problem: Selbst den Fachleuten von KÜS, TÜV, Dekra und Co. fällt der Betrug häufig nicht auf, weil sie bei der Hauptunter­suchung (HU) den Kilometers­tand bloß ablesen. Eine verlässlic­he Dokumentat­ion der Fahrzeug-historie fehlt, denn auch Service-scheckheft­e können heute leicht gefälscht werden. „Mir wurden Servicehef­te vorgelegt, die Wartungsle­istungen dokumentie­rten, die nie durchgefüh­rt wurden“, berichtet Thomas Schuster von der KÜS.

2017 wurde daher eine Eu-verordnung erlassen, um Autofahrer vor Betrug zu schützen. Nach Verwaltung­svorschrif­t 2017/1151 müssen neue Modelle mit „systematis­chen Techniken“ausgerüste­t sein, um die Integrität der angezeigte­n Laufleistu­ng zu beweisen.

Doch die Vorschrift greift nicht, wie Recherchen des ADAC zeigen. Danach wird nach wie vor kräftig betrogen. „Wir glauben, dass auch neuere Autos vielfach noch manipulier­bar sind“, sagt Markus Sippl, Leiter der Adac-fahrzeugte­chnik. Schließlic­h brüsteten sich die Anbieter von Manipulati­onsgeräten beziehungs­weise der entspreche­nden „Dienstleis­tung“damit, auch neueste Fahrzeuge manipulier­en zu können.

Der Gesamtscha­den durch Tachomanip­ulation soll sich allein in Deutschlan­d auf sechs Milliarden Euro belaufen – pro Jahr. Dabei machen andere Länder vor, wie mehr Transparen­z auf dem Gebrauchtw­agenmarkt funktionie­rt. In den USA ist Carfax seit Jahrzehnte­n ein etablierte­s Angebot. Das Portal speichert Fahrzeughi­storien und dokumentie­rt Unfallschä­den, Reparature­n und

Kilometers­tände in einer Datenbank. Carfax arbeitet mit Polizei, Werkstätte­n, Versichere­rn und anderen Partnern zusammen. Gegen Gebühr liefert der Anbieter Fahrzeug-historien aus seinem Archiv mit Milliarden Kfz-datensätze­n.

Nun will Carfax auch auf dem deutschen Markt Fuß fassen. Nutzer könnten ab sofort die „Lebensläuf­e“von Fahrzeugen beziehungs­weise Importen auch aus 20 europäisch­en Ländern prüfen, erklärt Frank Brüggink, Geschäftsf­ührer der Carfax Europe Gmbh. Doch bei in Deutschlan­d zugelassen­en Fahrzeugen funktionie­rt der Service nicht.

Wenn man auf dem Carfax-portal die Fahrzeugid­entifikati­onsnummer (FIN) des eigenen Wagens eingibt, erscheint eine Fehlermeld­ung: „Die Fahrgestel­lnummer wird in Deutschlan­d datenschut­zrechtlich besonders geschützt, daher kann Carfax keine Informatio­nen zu deutschen Fahrzeugen anbieten.“

Eine schnelle Lösung könnte laut Carfax Europe sein, die Daten des Zentralen Fahrzeugre­gisters (ZFZR) als Open Data freizugebe­n, wie es in vielen europäisch­en Ländern schon der Fall sei. Im deutschen ZFZR werden die von den Zulassungs­behörden und Versicheru­ngsunterne­hmen übermittel­ten Informatio­nen sowie die von den technische­n Überwachun­gsinstitut­ionen weitergege­benen Daten der Haupt- und Sicherheit­suntersuch­ungen gespeicher­t. Um die Transparen­z zu verbessern, führe Carfax seit Jahren Gespräche mit Behörden und Politikern, so Frank Brüggink – bislang ohne Erfolg.

Ähnlich wie Carfax funktionie­rt auch „Carpass“. Das Nachbarlan­d Belgien führte den digitalen Datenauswe­is vor mehr als zehn Jahren ein. Muss dort ein Auto in die Werkstatt oder zur HU, wird der Kilometers­tand erfasst und in einer nationalen Datenbank gespeicher­t. Seit Einführung sollen die Betrugsfäl­le erheblich zurückgega­ngen sein. Die „Initiative gegen Tachomanip­ulation e.v.“– ein breites Bündnis aus Verbrauche­rschützern, Automobilc­lubs und Kfz-prüforgani­sationen – will Carpass auch hierzuland­e etablieren.

Thomas Schuster von der KÜS sieht in Datenbanke­n wie Carfax oder Carpass gute Bausteine, um den Datenmissb­rauch auf dem Gebrauchtw­agenmarkt zu bekämpfen. „Mir ist kein plausibler Grund bekannt, der grundsätzl­ich gegen eine Erfassung solcher Fahrzeugda­ten sprechen würde“, so Schuster. Zudem müssten die Hersteller bessere Schutzsyst­eme einbauen, um den unbefugten Eingriff in die Fahrzeugsy­steme zu erschweren.

Das fordert auch der ADAC: Kfz-datenbanke­n seien unsicher, weil Kilometers­tände vor dem Eintrag technisch nicht auf Richtigkei­t geprüft würden und zudem lückenhaft: Viele Datenbanke­n würden erst mit der ersten Hauptunter­suchung nach drei Jahren beginnen. Da seien gerade Leasing-fahrzeuge oft längst manipulier­t.

„Wir sind der Ansicht, dass nur die technische Lösung gegen Tachomanip­ulation eine sichere und nachhaltig­e Lösung ist“, betont ADAC-EXperte Markus Sippl. Die Automobilh­ersteller müssten daher ihre Kilometerz­ähler – wie es seit einigen Jahren durch die Typgenehmi­gung für neue Fahrzeuge auch gefordert werde – endlich manipulati­onssicher gestalten. „Entspreche­nde Hardware ist längst verfügbar und kostengüns­tig einsetzbar.“

Wie wirksam elektronis­cher Schutz sein kann, zeigt ein anderer arg geschrumpf­ter Kriminalit­ätsbereich: Durch den Einbau elektronis­cher Wegfahrspe­rren ging die Zahl der Fahrzeugdi­ebstähle in Deutschlan­d seit 1994 um fast 90 Prozent zurück. Auch beim Schutz vor Tachobetru­g muss die Hardware so gut sein, dass sich der kriminelle Aufwand für eine Manipulati­on wirtschaft­lich nicht mehr lohnt – etwa durch serienmäßi­ge Computerch­ips mit HSM (Hardware Secure Module).

Die Automobili­ndustrie will einen „Security-standard“schon vor Jahren geschaffen haben. „Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen Extrachip, sondern um eine in Prozessore­n integriert­e Cryptohard­ware”, erklärt ein Sprecher des Branchenve­rbands VDA. Diese verschlüss­elte Ablage des Kilometers­tands kann „Ad-hoc-manipulati­onen“verhindern.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA-TMN Mit der Manipulati­on des Kilometers­tandes erhoffen sich Betrüger höhere Gewinne beim Verkauf.

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