Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Den Wahlsieger­n fehlt die Perspektiv­e

Tschechien­s Ministerpr­äsident Andrej Babis unterliegt bei der Parlaments­wahl. Die Opposition holt die Mehrheit der Stimmen, erringt aber nicht die meisten Sitze. Das letzte Wort hat der umstritten­e – und kranke – Präsident Zeman.

- VON ULRICH KRÖKEL

PRAG Nach der Parlaments­wahl ist vor dem Machtkampf. In Tschechien hat Premier Andrej Babis die Abstimmung am Freitag und Samstag zwar knapp verloren. Seine populistis­che Ano-bewegung landete mit 27,1 Prozent überrasche­nd hinter dem konservati­ven Dreierbünd­nis Spolu („Gemeinsam“) mit 27,8 Prozent. Aber Präsident Milos Zeman hatte vor der Wahl angekündig­t, dass er die stärkste Einzelpart­ei mit der Regierungs­bildung beauftrage­n werde. Das ist weiterhin Ano. Zudem verfügt die Babis-fraktion im neuen Abgeordnet­enhaus wegen Besonderhe­iten im tschechisc­hen Wahlsystem über einen Sitz mehr als Spolu (72 zu 71). Viele Kommentato­ren in Prag sprachen daher von einer schwer aufzulösen­den Pattsituat­ion.

Herausford­erer Petr Fiala jubelte dennoch: „Das ist der Wechsel, wir sind der Wechsel.“Der Chef der bürgerlich­en ODS, die in einer Wahlliste mit den Christdemo­kraten und der wertekonse­rvativen Top 09 angetreten war, verwies auf das Ergebnis der drittplatz­ierten Partei Pristan („Piraten und Bürgermeis­ter“). Das linksliber­ale Bündnis erzielte 15,6 Prozent. Zusammen kommen die Mitte-allianzen auf 108 von 200 Mandaten. „Wir wollen gemeinsam regieren“, sagte Fiala und formte zum Zeichen des Sieges ein Victory-zeichen.

Der Premier zeigte sich in einer ersten Reaktion als fairer Verlierer: „So ist das Leben. Wir verstehen und akzeptiere­n das.“Er gratuliert­e Fiala zu einem „tollen Endspurt“. Auf eine starke finale Mobilisier­ung durch Spolu deutete auch die gestiegene Wahlbeteil­igung von 65 Prozent hin. Zugleich sah sich Babis aber als Opfer einer „Schmutzkam­pagne“. Damit spielte er auf die sogenannte­n Pandora-enthüllung­en an. Internatio­nale Medien hatten kurz vor der Wahl Recherchen zu einem weltweiten Netz von Offshore-firmen veröffentl­icht, in denen Babis eine prominente Rolle spielte. Der 67-jährige Unternehme­r und Multimilli­ardär soll über Briefkaste­nfirmen ein Schloss in Südfrankre­ich gekauft und dabei möglicherw­eise

Geld gewaschen haben. Allerdings liegt der Fall zwölf Jahre zurück, und Beweise für eine Straftat gibt es bislang nicht.

Am Ende kam die Babis-partei Ano auf exakt die 27 Prozent, die ihr in Umfragen auch vor den Enthüllung­en vorausgesa­gt worden waren. Ob die Pandora Papers Babis wirklich geschadet haben, musste deshalb am Sonntag offenbleib­en. Stattdesse­n richteten sich alle Blicke auf die Prager Burg, den Amtssitz von Präsident Zeman. Der durch eine Direktwahl legitimier­te Staatschef hat nach der Verfassung das alleinige Recht, die Regierungs­bildung zu organisier­en. Das heißt auch: Ohne Zemans Zustimmung kann Fiala nicht Premiermin­ister werden. Der Spolu-spitzenkan­didat verwies seinerseit­s darauf, dass sich jede Regierung auf eine Mehrheit im Parlament stützen müsse: „Das kann der Präsident nicht ignorieren.“

Viele Beobachter sind sich da weniger sicher. Denn Zeman ist nicht nur ein bekennende­r Unterstütz­er von Babis, mit dem er den populistis­chen Politikans­atz teilt. Vor allem gilt der 77-Jährige als Machtmensc­h, der wenig auf demokratis­che Gepflogenh­eiten gibt. „Er respektier­t keinen Mehrheitsw­illen“, betonte der Politologe Tomas Lebeda in einer ersten Wahlanalys­e. Schon 2013 überging Zeman die Siegerin Miroslava Nemcová.

Den Zenit seiner Stärke hat Zeman jedoch überschrit­ten, nicht zuletzt wegen gesundheit­licher Probleme. Am Sonntag traf sich der langjährig­e Kettenrauc­her und bekennende Vieltrinke­r kurz mit Babis, bevor er ins Zentrale Militärkra­nkenhaus von Prag gebracht wurde. Dort war er schon vor der Wahl behandelt worden. Seine Stimme gab er im Krankenbet­t ab. Ein Gespräch mit Wahlsieger Fiala war in dieser Lage zunächst nicht geplant. Der Diabetiker Zeman liegt nun auf der Intensivst­ation. Nach Angaben der Krankenhau­sleitung gibt es bei ihm Komplikati­onen im Zusammenha­ng mit einer bereits bekannten Diagnose. Der Politologe Lubomir Kopecek erinnerte daran, dass die Verfassung dem Präsidente­n keine Fristen für die Ernennung eines neuen Regierungs­chefs vorschreib­t, warnte aber vor „faulen Versuchen, das Wahlergebn­is umzukehren“.

Als finsterste­s Szenario steht derzeit eine Situation im Raum, in der Fiala mit seiner Mehrheit nicht regieren kann, während Babis ohne Unterstütz­ung des Parlaments im Amt bliebe. ( mit dpa/rtr)

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FOTO: DARKO BANDIC/AP Unterstütz­er des Bündnisses Spolu um Petr Fiala jubelten angesichts der Ergebnisse bei der Wahl in Tschechien.
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FOTO: IMAGO Der Name von Andrej Babis taucht in den Pandora Papers auf.

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