Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Frauen ins Parlament
Bei der vorgezogenen Wahl im Irak gibt es so viele Kandidatinnen für ein Mandat wie nie zuvor.
MOSSUL Im Irak gibt es eine ähnliche Richtungswahl wie in Deutschland vor zwei Wochen. Ob sich die politische Landschaft grundsätzlich ändert oder nur langsam, werden die Ergebnisse der Parlamentswahl am Sonntag zeigen. Haben die Iraker wirklich Mut zur Veränderung? Oder halten sie doch lieber an dem Status quo fest, der seit der amerikanisch-britischen Besatzung nach dem Golfkrieg 2003 gilt? Die hat das Land in ethnische und religiöse Gruppen unterteilt: in Schiiten, Sunniten, Kurden und Araber.
Damit wollen vor allem die jungen Iraker jetzt Schluss machen. Zwei Jahre lang sind sie dafür auf die Straßen des Zweistromlands gegangen und haben einen hohen Blutzoll bezahlt. Mehr als 600 Demonstranten sind getötet, Tausende verletzt und ebenfalls Tausende bedroht worden. Nicht wenige hielten den Druck nicht mehr aus und sind in die Nachbarländer geflohen, allen voran in die Türkei.
Ob die vorgezogenen Neuwahlen – eine der Forderungen der Protestbewegung – tatsächlich eine Veränderung in der politischen Landschaft des Irak bringen, werden die Ergebnisse zeigen, wenn sie vorliegen. Das dürfte allerdings noch eine ganze Weile dauern. Ein neues elektronisches Zählsystem sollte Unwägbarkeiten und Fälschungen verhindern. In manchen Wahllokalen konnten die Helfer allerdings nicht damit umgehen, weil sie unzureichend geschult waren. Dort werden die abgegebenen Stimmen nun von Hand nachgezählt.
Eines allerdings ist schon jetzt klar: Die Volksvertretung in Bagdad wird weiblicher. Denn noch nie gab es so viele weibliche Kandidaten wie dieses Mal. Und viele von ihnen präsentieren sich als parteiunabhängig. 936 Frauen bewarben sich um die 329 Sitze im ehemaligen Kongresszentrum in Bagdads Grüner Zone, das der frühere Machthaber Saddam Hussein in den 80er-jahren erbauen ließ und das nach seinem Sturz im Jahr 2003 zum Parlamentssitz umgestaltet wurde. Die Hälfte der Kandidatinnen ist unabhängig. Das erlaubt das neue Wahlgesetz, das erstmals Direktkandidaturen zulässt.
Nour Ahmad Alkhawan, eine unabhängige Kandidatin in Bagdad, ist dankbar für die Neuerung. Bei den Wahlen 2018 kandidierte sie auf der Liste einer Partei. Jetzt alleine. Und sie fühlt sich besser damit. Die Leute hätten die Nase voll von politischen Parteien, die das Land nicht weitergebracht hätten und nur in die eigene Tasche wirtschafteten. Sie befürwortet die Neuerung, weil die Menschen dann direkte Ansprechpartner hätten, ihre Anliegen direkt vortragen könnten und nicht im irakischen Parteienapparat untergingen.
Die Frage ist jetzt, wie die alten Parteien abschneiden, ob sie ihre Macht bewahren und weiterregieren können. Im dreimonatigen Wahlkampf haben sie alles dafür getan, ihre wankenden Positionen zu verteidigen, haben auch mit unlauteren Methoden versucht, die Menschen in dem 40-Millionen-einwohnerLand für sich zu gewinnen und die Stimmabgabe in ihre Richtung zu lenken. Wie viele tatsächlich zur Urne gehen, wird entscheidend für die Zukunft des Landes sein. Die Boykottbekundungen sind zahlreich. Vor allem Mitglieder der Protestbewegung wollten dem Urnengang fernbleiben, obwohl gerade sie es waren, die diese vorgezogenen Neuwahlen mit ihren Massenprotesten zwei Jahre lang gefordert hatten.
Sie haben den Rücktritt der damaligen Regierung erreicht und ein neues Wahlgesetz, das jetzt so viel Hoffnung auf eine Veränderung der Parteienlandschaft macht. Doch ihre Hauptforderung, die Schuldigen für den Tod von mehr als 600 Demonstranten zur Rechenschaft zu ziehen, blieb bislang unerfüllt. Der Finger der Protestler zeigt auf die von Iran unterstützten Schiiten-milizen. Doch gerade die treten auch zur Wahl an.