Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wie Länderspiele an Wert verlieren
ANALYSE Pläne für eine WM alle zwei Jahre, eine Nations League unterm Radar, immer mehr Teilnehmer bei Turnieren und belanglose Spiele – Auftritte von Nationalteams drohen zur Massenware zu werden.
Am Freitag herrschte Aufruhr im englischen Fußball. Premier-league-klub Newcastle United wurde an ein Konsortium aus Saudi-arabien verkauft. Martin Schneider, Journalist bei der „Süddeutschen Zeitung“, nahm das mit Blick auf die Wm-qualifikationsspiele am Abend zum Anlass für einen zynischen Tweet. „Man kann ja sagen, was man will, aber das Gute an Nationalmannschaften ist, dass sie bis auf eine Ausnahme noch nicht Saudi-arabien gehören“, schrieb er. Und es stimmt, Investoren sind noch kein Problem von Nationalteams, hier droht ein anderes: Der Fußball ist dermaßen eifrig dabei, die Auftritte von Nationalmannschaften zur Massenware abzuwerten, dass man schon lange suchen muss, um die Geschichte zu einem Länderspiel auszumachen. Und wenn dem Fußball die Geschichten ausgehen, hat er ein Problem.
Welche Geschichte machte im Vorfeld den Reiz des Spiels Deutschland gegen Rumänien aus? Was sollte diese siebte von zehn WM-QUAlifikationspartien zum Straßenfeger machen? Es gab nichts, so wie abseits nationaler Folklore die Geschichten zu fast allen Spielen in allen Qualifikationsgruppen, von A bis J, fehlen. Das Ganze ist ein aufgeblähter Apparat, bei dem sich die üblichen Verdächtigen durchsetzen, die dann bei der wohl umstrittensten WM aller Zeiten im Winter 2022 in Katar antreten.
Oder nehmen wir die Nations League: Hand hoch, wem im Vorfeld der vergangenen Woche bewusst war, dass hier die Endrunde ansteht. Und wo? Und welche Teams dabei sind? Na, hätten Sie es gewusst? Und was sagt es aus, wenn die Uefa den Abschluss dieses Wettbewerbs irgendwo zwischen zwei Wm-qualifikationsspieltage einbaut? Einbauen muss? Quetschen muss? Und wenn Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps vor dem Halbfinale gegen Belgien sagt: „Früher gab es zwei: Europameister und Weltmeister, jetzt gibt es die Nations League. Das ist unser Ziel“– wirkt das nicht wie aus einem Werbeprospekt der Uefa, den vorzulesen er verpflichtet ist? Als ob irgendjemand die Nations League einer EM oder WM gleichstellen würde. Fußballfans merken, wenn ihnen Geschichten aufgetischt werden, die konstruiert sind.
Doch der Weltfußball will das Rad noch weiterdrehen. Will die Milchkuh Nationalmannschaft noch weiter melken. Mit einer WM, die künftig alle zwei Jahre stattfinden soll. Mit noch mehr Teilnehmern, damit nicht immer so viele Länder in der Qualifikation scheitern. An dieser Stelle entlarvt sich das Fußballgeschäft immer am schönsten: Wenn Fifa und Uefa rein materielle Interessen hinter dem Vorwand verstecken, etwas Karitatives zu tun. Man muss die Verbandsoberen fast dafür bewundern, dass sie beim Erzählen dieser Märchen nicht laut loslachen.
Auftritte von Nationalmannschaften funktionierten jahrzehntelang auch deshalb, weil sie etwas Besonderes waren. Eben kein Alltag. Der fand in der Liga statt. Länderspiele waren extra. Da durften Kinder länger aufbleiben, die musste man gesehen haben, um am nächsten Morgen auf der Arbeit mitreden zu können. Länderspiele waren mal wie Schwarzwälder Kirschtorte. Die ist ein paar Mal im Jahr etwas Tolles, alle 14 Tage kommt sie einem irgendwann zum Hals heraus.
Die Nationalmannschaften geraten immer mehr in einen Machtkampf zwischen Fifa und Uefa. Beide großen Verbände gehen bei immer mehr Punkten auf Konfrontationskurs. Rahmenterminpläne eines Jahres sind zum Bersten gefüllt, die Belastungen für Spieler werden immer höher. Und die Vereine, die diese Spieler zwölf Monate lang im Jahr bezahlen, auch wenn sie Monate bei ihren Auswahlteams verbringen, sind immer weniger bereit, diesem Treiben taten- und wehrlos zuzuschauen.