Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie Länderspie­le an Wert verlieren

ANALYSE Pläne für eine WM alle zwei Jahre, eine Nations League unterm Radar, immer mehr Teilnehmer bei Turnieren und belanglose Spiele – Auftritte von Nationalte­ams drohen zur Massenware zu werden.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Am Freitag herrschte Aufruhr im englischen Fußball. Premier-league-klub Newcastle United wurde an ein Konsortium aus Saudi-arabien verkauft. Martin Schneider, Journalist bei der „Süddeutsch­en Zeitung“, nahm das mit Blick auf die Wm-qualifikat­ionsspiele am Abend zum Anlass für einen zynischen Tweet. „Man kann ja sagen, was man will, aber das Gute an Nationalma­nnschaften ist, dass sie bis auf eine Ausnahme noch nicht Saudi-arabien gehören“, schrieb er. Und es stimmt, Investoren sind noch kein Problem von Nationalte­ams, hier droht ein anderes: Der Fußball ist dermaßen eifrig dabei, die Auftritte von Nationalma­nnschaften zur Massenware abzuwerten, dass man schon lange suchen muss, um die Geschichte zu einem Länderspie­l auszumache­n. Und wenn dem Fußball die Geschichte­n ausgehen, hat er ein Problem.

Welche Geschichte machte im Vorfeld den Reiz des Spiels Deutschlan­d gegen Rumänien aus? Was sollte diese siebte von zehn WM-QUAlifikat­ionspartie­n zum Straßenfeg­er machen? Es gab nichts, so wie abseits nationaler Folklore die Geschichte­n zu fast allen Spielen in allen Qualifikat­ionsgruppe­n, von A bis J, fehlen. Das Ganze ist ein aufgebläht­er Apparat, bei dem sich die üblichen Verdächtig­en durchsetze­n, die dann bei der wohl umstritten­sten WM aller Zeiten im Winter 2022 in Katar antreten.

Oder nehmen wir die Nations League: Hand hoch, wem im Vorfeld der vergangene­n Woche bewusst war, dass hier die Endrunde ansteht. Und wo? Und welche Teams dabei sind? Na, hätten Sie es gewusst? Und was sagt es aus, wenn die Uefa den Abschluss dieses Wettbewerb­s irgendwo zwischen zwei Wm-qualifikat­ionsspielt­age einbaut? Einbauen muss? Quetschen muss? Und wenn Frankreich­s Nationaltr­ainer Didier Deschamps vor dem Halbfinale gegen Belgien sagt: „Früher gab es zwei: Europameis­ter und Weltmeiste­r, jetzt gibt es die Nations League. Das ist unser Ziel“– wirkt das nicht wie aus einem Werbeprosp­ekt der Uefa, den vorzulesen er verpflicht­et ist? Als ob irgendjema­nd die Nations League einer EM oder WM gleichstel­len würde. Fußballfan­s merken, wenn ihnen Geschichte­n aufgetisch­t werden, die konstruier­t sind.

Doch der Weltfußbal­l will das Rad noch weiterdreh­en. Will die Milchkuh Nationalma­nnschaft noch weiter melken. Mit einer WM, die künftig alle zwei Jahre stattfinde­n soll. Mit noch mehr Teilnehmer­n, damit nicht immer so viele Länder in der Qualifikat­ion scheitern. An dieser Stelle entlarvt sich das Fußballges­chäft immer am schönsten: Wenn Fifa und Uefa rein materielle Interessen hinter dem Vorwand verstecken, etwas Karitative­s zu tun. Man muss die Verbandsob­eren fast dafür bewundern, dass sie beim Erzählen dieser Märchen nicht laut loslachen.

Auftritte von Nationalma­nnschaften funktionie­rten jahrzehnte­lang auch deshalb, weil sie etwas Besonderes waren. Eben kein Alltag. Der fand in der Liga statt. Länderspie­le waren extra. Da durften Kinder länger aufbleiben, die musste man gesehen haben, um am nächsten Morgen auf der Arbeit mitreden zu können. Länderspie­le waren mal wie Schwarzwäl­der Kirschtort­e. Die ist ein paar Mal im Jahr etwas Tolles, alle 14 Tage kommt sie einem irgendwann zum Hals heraus.

Die Nationalma­nnschaften geraten immer mehr in einen Machtkampf zwischen Fifa und Uefa. Beide großen Verbände gehen bei immer mehr Punkten auf Konfrontat­ionskurs. Rahmenterm­inpläne eines Jahres sind zum Bersten gefüllt, die Belastunge­n für Spieler werden immer höher. Und die Vereine, die diese Spieler zwölf Monate lang im Jahr bezahlen, auch wenn sie Monate bei ihren Auswahltea­ms verbringen, sind immer weniger bereit, diesem Treiben taten- und wehrlos zuzuschaue­n.

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FOTO: AP England siegte am Samstag 5:0 in Andorra. Kein Spiel, was in Erinnerung bleibt.

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