Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Heinoisierung der Klassik
Mehr Gegensatz geht nicht. In der Düsseldorfer Tonhalle gab Heino seinen Liederabend, die Rheinoper brachte Mozarts „Titus“. Wie sich beide geschlagen haben.
Der Brustton der Überzeugung ist das Allerwichtigste, wenn ein Sänger sein Publikum erobern will. Natürlich sollte er eine geölte Gurgel besitzen, zwei herrliche Stimmbänder und großartige Resonanzräume. Doch wenn er erkennbar nicht daran glaubt, was er singt, dann sieht es finster aus.
In dieser Hinsicht bestehen bei dem aus Düsseldorf stammenden Vortragskünstler Heino nicht die geringsten Bedenken. Wenn einer seine Lieder liebt und lebt, dann ist es Heinz Georg Kramm. Vom blauen Enzian bis zur schwarzen Barbara hat er alle Angebote der Natur höchstpersönlich genossen. Hin und wieder verlässt er freilich das Milieu der Scheunen, Hafenstädte, Alpen und rustikalen Holzbänke und begibt sich auf gewienertes Parkett – wenn er Klassik singt.
So auch jetzt, da Heino seinen „deutschen Liederabend“unter dem Hauptmotto „Heino goes Klassik“in der Tonhalle gibt. Mancher, der aus dem Lockdown angemessen vorsichtig ans musikalische Weltlicht drängt, benötigt vermutlich solche niederschwelligen Angebote, wie Heino sie verspricht. Einen Passierschein muss der Künstler selbst nicht lösen, wenn er sich Mozart aufs Pult legt. Es darf ja jeder vortragen, wie er lustig ist, solange es nicht so klingt, als habe er schwarzbraune Haselnüsse im Mund. Nein, Heino singt alles ganz geradeaus und stramm und mit Einheits-forte, sein Bariton ist immer noch rüstig, und die Welt liebt ja Oldtimer mit H-kennzeichen. H wie Heino.
Ja, in dieser Heinoisierung der Musik wird vieles passend gemacht, tiefer transponiert und leider auch gesanglich unzureichend dargeboten (Mozarts „Ave verum“) oder knarrend mit deutschem Text verschraubt ( Thema aus Tschaikowskis b-moll-klavierkonzert), wodurch die Hoffnung mancher Gäste auf einen „deutschen Liederabend“sowieso beerdigt ist. Macht nichts, die Leute sind selig, dass Heino aus der Pandemie beinahe unverändert als Heino herausgekommen ist.
Der Künstler hat sich Gehilfen mitgebracht, die ihm Verschnaufpäuschen ermöglichen, etwa den unverwüstlichen Organisten Franz Lambert mit seinen „magischen Händen“, der seine Wersi-orgel anfangs in der „Rheinischen“von Schumann zum Orchestersimulator macht, wobei das Stück nach nur wenigen Takten abgewürgt wird. Es ist der Gruß aus der Küche.
Yuri Revich, Russe mit österreichischem Pass, ist Geiger und bedient eine Stradivari mit maximaler Hingabe, einiger Virtuosität und mehr Schmalz als Schmelz. Bisweilen macht das Instrument sogar Lärm, dann wirkt Revich wie Nick Knatterton. Trotzdem, man kann Sarasates „Carmen-fantasie“auch viel schlechter spielen.
Der Abend dauert knapp zweieinhalb Stunden, weil Heino und die etwas unbedarfte Moderatorin Nicole Mieth fortwährend Applaus einklagen. Hat Yuri Revich gegeigt, bekommt er Applaus. Sogleich kommt Heino zurück und pumpt das Publikum an: „Ist Yuri nicht ein ganz großartiger Künstler?“Wieder Applaus. Fast glaubt man, die Leute bezahlen das ganze Geld, damit sie mal wieder in echt und nicht nur vor dem Fernseher applaudieren dürfen. Allerdings ist nicht alles sittlich. Wenn Heino sich eine Gitarre umhängt, kommen zahllose Töne erkennbar nicht aus dem Instrument; man muss schon sehr blind sein, um das zu übersehen. Manche sagen sogar, er singe auch gar nicht live, und verlassen die Tonhalle vorzeitig.
Wir halten fest: Heino hat einen sehr weiten Klassik-begriff, auch Seemannslieder trägt er als klassisches Bildungsgut vor, dazu „Junge“von den Ärzten und „Vogel der Nacht“von Stephan Remmler. Das garantiert dem Abend einen sehr hohen Unterhaltungswert auf sehr flachem Niveau.
Einen etwas engeren Klassik-begriff hortet die Deutsche Oper am Rhein, die am Tag nach Heino mit Tito herauskam, genauer: mit Mozarts Oper „La Clemenza di Tito“, einem spannenden Stück über Liebe, Treue, Staatsräson und Moral. Es wurde ein großer Abend, bei dem nach fabelhaften Arien ebenfalls rege applaudiert wurde.
Die wunderbare musikalische Wirkung hat sehr viel mit der Dirigentin Marie Jacquot zu tun, die am Pult der Düsseldorfer Symphoniker die Mischung aus Erhabenheit und Leidenschaft vorzüglich trifft. Sie pointiert, wo sie kann, doch hat sie auch ein Ohr für das Elegische, Fragende des Stücks. In manchen Passagen ist „Tito“Mozarts tiefste Trauermusik. Das Orchester folgt Jacquot sehr fein, in den Accompagnati gibt es zuweilen kleine Turbulenzen; die Hörner sitzen zu weit von den Holzbläsern weg (was man hört), doch insgesamt ist es großartiger Mozart.
Die Sänger wissen, dass es hier um alles geht, und wir haben das Glück, ein völlig intaktes Ensemble zu erleben: mit einer grandios zerrissenen, stimmlich überwältigenden Maria Kataeva als Sesto. Mit Anna Harvey als Annio und Heidi Elisabeth Meier, die das Duett „Ah perdona il primo affetto“zum intensivsten Moment des Abends machen. Mit Jussi Myllys, der seine kostbare Tenorstimme gewinnbringend einsetzt; leider geraten ihm die Koloraturen in „Se all'impero amici Dei“etwas steif. Herrlich der Chor in „Ah grazie si rendano“. Sarah Ferede als Vitellia gefällt mit starker Bühnenpräsenz, Torben Jürgens stellt den Publio ins Zwielicht des Vollstreckers, der seinen größten Auftritt beim geänderten Schluss bekommt.
Regisseur Michael Schulz sieht in der Güte des Titus eine Tarnung, in Wirklichkeit ist dieser Musterkaiser kaltblütig und lässt hinter seiner generösen Fassade jede Milde fahren. Das bestimmt den Abend, dem in Personenführung und banal-funktionaler TreppenhausBauweise mit Galeriegängen (Dirk Becker) alle Anzeichen einer Pandemie-inszenierung innewohnen: Bitte halten Sie Abstand! Titus lässt die Gipsbüsten seiner Vorgänger in Schränke räumen, das Volk bekommt Titus-bildchen aus dem cäsarischen Fotokopierer, Widersacher werden liquidiert. Das stellt den Schluss der Oper auf den Kopf, ist allerdings konsequent.
Heino und Rheinoper – mehr Gegensatz geht nicht. Wir sehen es patriotisch und sagen im Brustton der Überzeugung: Beides ist Düsseldorf, wie es singt und lacht.