Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der bunte Bundesrat

ANALYSE Der Ausgang der Sondierung­en ist noch offen. Das lässt die Arbeit von Regierung und Parlament weitgehend stillstehe­n, aber die Länderkamm­er tagt weiter. Sie ist zum Seismograf­en und Korrektiv der Bundespoli­tik geworden.

- VON GREGOR MAYNTZ

Dass der Bundesrat nicht irgendein Mitsprache­gremium ist, sondern eins der höchsten Verfassung­sorgane, und dass er auch als solches wahrgenomm­en wird, das zeigte sich zuletzt am vergangene­n Freitag. Um 9.32 Uhr begann für gleich zwei prominente Christdemo­kraten ein eher schmerzlic­h empfundene­r Abschied in

Berlin. Armin

Laschet hört als nordrhein-westfälisc­her Ministerpr­äsident auf und hielt deshalb kurz vor seinem Ausscheide­n als Mitglied des Bundesrats eine letzte Rede als überzeugte­r

Europäer. Der andere war Reiner Haseloff, der zwar gerade im

Sommer als Ministerpr­äsident

Sachsen-anhalts wiedergewä­hlt wurde und somit der Länderkamm­er fünf weitere Jahre angehören kann. Aber er hielt ebenfalls eine Abschiedsr­ede – und reichte nach einem Jahr die hohe Würde des Bundesrats­präsidente­n turnusgemä­ß weiter an den Regierungs­chef des nächstklei­neren Bundesland­es: den Linken-politiker Bodo Ramelow.

Als Christian Wulff 2012 als Bundespräs­ident hinwarf, war Deutschlan­d nicht kopflos. In derselben Sekunde war Bundesrats­präsident Horst Seehofer amtierende­s Staatsober­haupt. Und so wäre es von November an auch Ramelow, wenn Frank-walter Steinmeier nicht mehr zur Verfügung stünde.

Die Bundestags­wahl hat ein optisches Gestaltung­svakuum geschaffen. Der neu gewählte Bundestag konstituie­rt sich erst am 26. Oktober. Bis dahin sind formal noch die eigentlich abgewählte­n Abgeordnet­en am Ruder. Sollte eine ganz dringende Gesetzesno­velle oder ein Auslandsei­nsatz die Zustimmung des Parlaments benötigen, müssten sie noch einmal zusammenge­trommelt werden, obwohl viele bereits ihre

Büros geräumt und an ihre „Nachmieter“übergeben haben.

Ähnlich verhält es sich mit der Bundesregi­erung. Noch sind alle Minister – bis auf die in Berlin mit der Bildung der Landesregi­erung beschäftig­te Franziska Giffey – im Amt. Und nach der Konstituie­rung des Bundestage­s wird Angela Merkel sie bitten, ihre Geschäfte weiterzufü­hren. So hält es auch die Kanzlerin, denn sie ist von diesem Bundestag nicht gewählt und wird es auch nicht. Deshalb wickelt das Kabinett nur Routineges­chäfte ab. Für jede Initiative bräuchte es eine Mehrheit im Bundestag.

Umso mehr fällt auf, dass der Bundesrat weitermach­t, als sei nichts geschehen. Die neuen Regeln im Straßenver­kehr, die erhöhten Hartz-iv-sätze, die Warnungen vor Salmiak in Lakritz – das und vieles mehr machte die Länderkamm­er am Freitag amtlich. Und sie beschäftig­t sich zudem mit eigenen Initiative­n aus den Bundesländ­ern und Stellungna­hmen zu Vorhaben der Eu-kommission. Mehr Schutz für Einsatzkrä­fte, Lehren aus den Hochwasser­katastroph­en, Fortschrit­te durch Künstliche Intelligen­z – das kommt im Bundesrat ebenfalls einen Schritt weiter.

Allerdings ist die Repräsenta­nz des Wählerwill­ens stark eingeschrä­nkt. Während im Bundestag durch ein immer komplizier­ter werdendes Wahlrecht sichergest­ellt wird, dass sich die Stimmen für Parteien in der Opposition haargenau in Parlaments­sitzen abbilden, fallen sie im Bundesrat jeweils komplett unter den Tisch. Das führte dazu, dass die Farbe Grün nach einer ersten Hochphase Ende der 90er-jahre aus dem Bundesrat verschwand. Es zeugte vom gegen null tendierend­en Einfluss auf die Politik. Und umgekehrt zeichnete sich nun der Trend zur Grünen-regierungs­beteiligun­g längst im Bundesrat ab.

Die Wähler nutzen das seit Jahrzehnte­n als Möglichkei­t zur Ausbalanci­erung der Macht. Wer in der Bundesregi­erung neu und ziemlich kraftvoll auftreten kann, wird in den nachfolgen­den Landtagswa­hlen in der Regel im Bundesrat ausgebrems­t. „Durchregie­ren“klappt, wenn überhaupt, immer nur in einer kurzen Phase – und in Dreier-konstellat­ionen so gut wie gar nicht mehr. So können die Ampelkoali­tionäre in spe von SPD, Grünen und FDP bei ihren Sondierung­en mit wohl nachfolgen­den Koalitions­verhandlun­gen so viel beschließe­n, wie sie wollen – die Union wird auch aus der Opposition heraus mitregiere­n. Denn im Bundesrat hat sie Einfluss auf 52 der 69 Stimmen. Selbst wenn Mecklenbur­g-vorpommern ohne Union regiert wird, sind es noch 49.

Denn in allen Länder-koalitions­verträgen ist festgelegt, dass bei Uneinigkei­t in der Koalition im Bundesrat nur mit Enthaltung gestimmt wird. Da jedes Gesetz, das in Länderrech­te eingreift (und das tun die meisten wegweisend­en), mindestens die Zustimmung von 35 Mitglieder­n braucht, wirkt das wie ein Nein. So regiert es sich eben in einer bunten Republik.

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