Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Den Schattenkanzler im Rücken
Seit Montag hat Österreich einen neuen Bundeskanzler: Der Spitzendiplomat und bisherige Außenminister löst den gefallenen Superstar Sebastian Kurz ab, dem die Staatsanwaltschaft wegen Korruption auf den Fersen ist.
Bereits beim ersten Medienauftritt nach der Vereidigung zum Kanzler unterlief Alexander Schallenberg der erste Fehltritt. In einer kurzen Dankesadresse an seinen Vorgänger Sebastian Kurz sagte er, er sei „davon überzeugt, dass die Vorwürfe falsch sind“. Damit versagt auch Schallenberg, wie Kurz und die Österreichische Volkspartei, der unabhängigen Justiz den Respekt. Warum dies einem erfahrenen Spitzendiplomaten und studierten Rechtswissenschaftler wie Schallenberg unterläuft, lässt sich nur durch blinde Loyalität zu seinem Gönner Kurz erklären. Dafür gibt es noch andere Beispiele.
Als im vergangenen Mai die Lage in Nahost eskalierte, ließ Schallenberg auf dem Dach des Außenministeriums als Zeichen der Solidarität eine Israel-fahne hissen. Die Idee stammte von Kurz, der seinem Freund Benjamin Netanjahu einen Gefallen tun wollte. Schallenberg hätte ihm die Parteinahme als diplomatische Torheit klarmachen können. Auch in der Migrationspolitik übernahm Schallenberg Kurz' menschenverachtende Rhetorik, als er sich anlässlich des Brandes im griechischen Lager Moria über „das Geschrei nach Verteilung von Flüchtlingen“auf die Eu-länder entrüstete. Schallenberg bedauerte inzwischen diese Ausdrucksweise.
Doch das veranlasst ihn nicht, sich von Kurz zu emanzipieren, der längst als Schallenbergs „Schattenkanzler“durch die Medien geistert. Als Obmann und nunmehr auch Fraktionschef der ÖVP bestimmt Kurz weiterhin den politischen Kurs, und Schallenberg beeilte sich, in seiner ersten Ansprache zu versichern, er werde „eng mit Kurz zusammenarbeiten“.
Alexander Schallenberg ist Nachkomme eines altösterreichischen Adelsgeschlechts aus dem oberösterreichischen Mühlviertel nahe der tschechischen Grenze. Er wurde 1969 in Bern geboren, während der Amtszeit seines Vaters Wolfgang als Österreichs Botschafter in der Schweiz. Der Sohn studierte Rechtswissenschaft in Wien und Paris und gilt als Experte für Europäisches Recht. In Brüssel leitete Schallenberg jahrelang die Rechtsabteilung der österreichischen Eu-vertretung.
Das Kanzleramt ist Schallenberg nicht fremd – für Sebastian Kurz leitete er die Stabsstelle Strategie und Planung, er wurde zu einer Art Intimus des jungen österreichischen Kanzlers, obwohl er nicht zu dessen engsten Kreis zählte. Der ursprünglich parteilose Schallenberg trat erst vor wenigen Jahren der ÖVP bei. In die Politik strebte er nicht, bis er nach dem Zerfall der Regierung Kurz I als Außenminister in die Übergangsregierung unter der ersten Kanzlerin Brigitte Bierlein gerufen wurde. Das blieb Schallenberg seither auch in der Regierung Kurz II, bis ihn in der Nacht auf Freitag eine E-mail seines strafrechtlich verfolgten Gönners erreichte: Willst du Kanzler werden?