Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Sieben neue Fragen zum Impfen
Warum Deutschland nicht Dänemark ist, warum Moderna zum Ladenhüter wird, warum die Apotheker impfen sollen und wer alles eine Auffrischungsimpfung bekommen soll.
DÜSSELDORF Die Debatte um die vierte Welle der Pandemie ist voll entbrannt. Dabei geht es um den Stand beim Impfen und ein mögliches Ende der Corona-maßnahmen.
Was sagen die Ärzte? Der Chef der Kassenärzlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, fordert ein Ende der Corona-maßnahmen nach dem Vorbild Dänemarks. „Was die Dänen können, müssen wir auch können. Es ist an der Zeit, jetzt alle Corona-maßnahmen zu beenden – nach dem Vorbild Dänemarks“, sagte Gassen der „Bild“Zeitung. Die Lage in Deutschland sei derzeit wie in Dänemark am 10. September, als dort die Corona-regeln beendet wurden, „wenn nicht sogar besser“– dank der laut dem Robert-koch-institut vermutlich deutlich höheren Impfzahlen.
Wie sieht es in Dänemark aus? Der Spd-gesundheitsexperte Karl Lauterbach mahnt: „Die Forderungen von Herrn Gassen, nach dem Vorbild Dänemarks alle Corona-maßnahmen jetzt komplett zu beenden, sind verfrüht und riskant. In Dänemark ist die Impfquote bei den über 60-Jährigen entscheidende fünf bis zehn Prozent höher als in Deutschland, auch die Quote bei den unter 60-Jährigen ist bei uns noch etwas zu gering.“In der Tat: Während die Impfquote der über 60-Jährigen bei uns bei 84,6 Prozent liegt, sind es in Dänemark mehr als 95 Prozent, wie aus den Daten des dänischen Institutes SSI hervorgeht. Auch bei Jüngeren sind die Unterschiede groß: In Deutschland liegt die Quote bei den Zwölf- bis 17-Jährigen bei 37 Prozent, in Dänemark bei mehr als 55 Prozent. Lauterbach mahnt: „Helfen würden mehr 2G-regeln und mehr Impfanreize. Dann bekommen wir die notwendige Impfquote auch hin.“
Wie hoch sind die Impfquoten nun wirklich? Das RKI hatte unlängst erklärt, bei der bislang veröffentlichten Impfquote müsse eine „Unterschätzung von bis zu fünf Prozentpunkten angenommen werden“. Es sei von einem Anteil mindestens einmal geimpfter Erwachsener von bis zu 84 Prozent und bis zu 80 Prozent bei voll Geimpften auszugehen. Grund für die Verzerrung ist, dass nicht alle Impfstellen pünktlich melden. Durch eine telefonische
Befragung versucht das RKI, sich ein korrigiertes Bild zu machen. Für eine Herdenimmunität sind aber auch die korrigierten Quoten noch zu niedrig. Laut RKI sind mindestens 85 Prozent nötig – und zwar bei allen ab zwölf Jahren.
Wer soll nun eine Auffrischung bekommen? Alle über 80 sollen eine Booster-impfung erhalten wie auch alle, die zweimal mit Astrazeneca oder einmal mit Johnson& Johnson ( J& J) geimpft wurden. Unlängst hat die Stiko dies erweitert: Auch für über 70-Jährige wird nun eine Auffrischung empfohlen. „Die Auffrischimpfung mit einem mrna-impfstoff soll frühestens sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung erfolgen, unabhängig davon, welcher Impfstoff zuvor verwendet wurde“, so die Stiko. Das heißt: Sechs Monate nach der zweiten Impfung mit Biontech, Astrazeneca oder Moderna oder nach der Einfach-dosis mit J& J soll es den Booster geben.
Wo gibt es die Auffrischung? Seit die Impfzentren geschlossen sind, sind allein Praxen gefragt. Auf sie kommt ein wahrer Impfwinter zu. Lauterbach forderte, die Apotheker einzubeziehen. „Mehrere Tausend Apotheken werden diese Saison Grippeimpfungen anbieten, es sollte möglich sein, dort auch gegen Covid zu impfen“, sagte er der
„Welt“. Beim Impfvorgang selbst gebe es „so gut wie nie“Komplikationen. „An Rhein und Ruhr sind wir dafür gut vorbereitet“, sagt Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein: „Mit etwa 1000 für das Impfen ausgebildeten Apothekern könnten Corona-impfungen unverzüglich in 500 Apotheken angeboten werden.“Das sei hier jede vierte Apotheke.
Wird Moderna zum Ladenhüter?
Am meisten wird in Deutschland der Impfstoff von Biontech gegeben. Der mrna-impfstoff von Moderna entwickelt sich hingegen vom Hoffnungsträger zum Ladenhüter. Zunächst hatte eine Studie zu hohen Wirkungsraten für Schwung gesorgt. Dann setzten Schweden und Dänemark die Impfung für Jüngere aus. Hintergrund sind Berichte über mögliche, sehr seltene Nebenwirkungen wie Herzmuskelentzündungen. „In den Apotheken treffen nur sehr wenige Bestellungen des Impfstoffes von Moderna ein. Nachfragen beim Großhandel haben ergeben, dass weniger als fünf Prozent der bestellten Impfungen auf Moderna entfallen“, sagt Apotheker Preis. Ähnlich sei es bei Johnson& Johnson. Er verweist auf praktische Gründe bei Moderna: „Jedes Impffläschchen enthält zehn Impfungen, das ist für die Praxen organisatorisch aufwendiger. Bei Biontech sind es nur sechs.“
Wie viel Geld hat der Staat für die Gratis-bürgertests ausgegeben? Seit Montag müssen die Bürger ihre Corona-tests in der Regel selbst bezahlen. Ein Argument: Die staatlichen Ausgaben seien der Allgemeinheit nicht mehr zuzumuten, weil es nun ein Impfangebot für alle gibt. Tatsächlich haben die Gratis-tests Milliardenkosten verursacht. Die Ausgaben beliefen sich bis Mitte September auf mehr als fünf Milliarden Euro. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium mit. Demnach zahlte der Bund bis zum 15. September allein für Leistungen der Labordiagnostik 1,124 Milliarden Euro, die Sachkosten für die Antigen-schnelltests (Poc-verfahren) beliefen sich auf 1,4 Milliarden, weitere Leistungen wie die Abstrichnahmen kosteten 2,4 Milliarden Euro. Zusätzlich zahlte der Bund bis Mitte September rund 92 Millionen Euro für Tests in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und Obdachlosenunterkünften.