Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Ich würde mich keine starke Frau nennen“
TSITSI DANGAREMBGA Sie ist eine der wichtigsten Autorinnen und Frauenrechtlerinnen Afrikas. Ende Oktober erhält sie den Friedenspreis des Buchhandels.
DÜSSELDORF Tsitsi Dangarembga gehört zu den wohl wichtigsten Schriftstellerinnen und Filmemacherinnen in Afrika. Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse wird die 62-Jährige mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Dangarembga engagiert sich seit vielen Jahren als Aktivistin für die Rechte der Frauen und Veränderungen in ihrem Heimatland Simbabwe. Nach ihrem Aufruf zu einer Anti-korruptions-demo in Simbabwe wurde sie im vergangenen Jahr für kurze Zeit inhaftiert und auf Bewährung freigelassen. 2021 erhielt sie den Pen Pinter Prize und den Pen International Award for Freedom of Expression.
Zur Zeit sind Sie wieder in Berlin, einer Stadt, die Sie sehr gut kennen. Hat sie sich, haben sich die Menschen dort verändert? DANGAREMBGA Ich finde, Berlin ist kosmopolitischer geworden. Und es scheint mir, dass es ein bewusstes Bemühen darum gibt, Menschen mehr entgegenzukommen, die als fremd gelten.
Sie schreiben, reden und kämpfen seit vielen Jahren für die Rechte von Frauen. Hat sich die Situation von Frauen Ihrer Meinung nach insgesamt verbessert?
DANGAREMBGA Wie es in der Welt aussieht, weiß ich nicht. Ich kann aber für Simbabwe sagen, dass es für Frauen in den vergangenen Jahren noch schwieriger geworden und um ihre Rechte auch im alltäglichen Leben schlechter bestellt ist. Das hat auch zu tun mit der Wirtschaft des Landes, die in einer tiefen Krise steckt. In einer solchen Situation werden Traditionen und konservative Rollenbilder wieder hervorgeholt und verstärkt.
Würden Sie sich auch mit Ihrem Engagement denn als eine starke Frau bezeichnen?
DANGAREMBGA Nein, auf keinen Fall! Das möchte ich für mich nicht in Anspruch nehmen. Aber ich würde mich durchaus als eine Frau bezeichnen, die ein starkes Gefühl für Gerechtigkeit besitzt; und einen ausgeprägten Sinn für Verantwortung. Deswegen würde ich mich aber keineswegs eine starke Frau nennen.
Was ängstigt Sie? Was lässt Sie verzweifeln?
DANGAREMBGA Manchmal verzweifle ich an der Verteilungsgerechtigkeit in der Welt, an der Art, wie sich die Welt zu einer globalen Gesellschaft formiert hat, denn das führt zu all den Problemen, die wir gegenwärtig erleben. Was Simbabwe angeht, würde ich nicht sagen, dass ich verzweifelt bin über die Lage dort, aber ich mache mir Sorgen darüber, wie das Land regiert wird und wie die politische Führung die Gesellschaft beeinflusst, in einer Weise, die ich für negativ halte.
Im vergangenen Jahr hat man Sie inhaftiert und in ein Gefängnis gesperrt. Was mussten Sie dort erleiden?
DANGAREMBGA Die meisten Gefängnismitarbeiter haben sich uns gegenüber gut benommen. Bis auf wenige Ausnahmen. Ich habe während der Zeit im Gefängnis aber erfahren, wie zerstört das Justizvollzugssystem insgesamt ist. Die Verhältnisse im Gefängnis sind unaussprechlich.
In Ihrem ersten Roman beschreiben Sie Ihre Kindheit vor allem als eine schwierige, aber große Bildungsund Emanzipationsgeschichte. Wie weit entfernt fühlen Sie sich von den Geschichten Ihrer Kindheit, wie Sie sie in Ihrem ersten Roman erzählt haben?
DANGAREMBGA Das kann ich wirklich nicht sagen, weil ich als Schriftstellerin künstliche Welten erschaffe. Aber was ich wirklich wollte, war, eine Geschichte zu schreiben über Figuren, die jeder in Simbabwe wiedererkennen würde. Darum sind die beschriebenen Situationen wie auch die handelnden Personen sehr realistisch.
Wie wichtig war es für Sie, einen Roman über die Bedeutung von Bildung zu schreiben? DANGAREMBGA Bildung ist ein wichtiges Thema; und die Bildung von Frauen ist ein noch viel größeres Thema als die von Männern. Darum war es mir wichtig zu zeigen, dass Bildung das Leben bereichert, auch wenn sie Herausforderungen mit sich bringt. Das habe ich in meinem eigenen Leben erfahren: die Vorteile der Bildung und die Herausforderung darin.
Würden Sie sagen, dass die Probleme Afrikas mittlerweile von der restlichen Welt mehr oder weniger ignoriert werden?
DANGAREMBGA Das denke ich nicht. Die Probleme Afrikas sind durchaus bekannt, aber diese Probleme nützen mächtigen Staaten, darum werden sie nicht gelöst.
Können Bücher und Filme das Bewusstsein von Menschen ändern und beeinflussen? Ein wenig pathetisch gesprochen: Können Sie die Welt verändern? Oder wäre das jetzt ein viel zu hoher Anspruch? DANGAREMBGA Ich denke, dass Bücher das Bewusstsein von Menschen verändern können. Und das Bewusstsein von Menschen zu verändern ist ein Weg, die Welt zu verändern. Es ist sogar der einzige Weg, weil wir ein Bild von der Welt entwickeln und die Wirklichkeit dann dahin zu bringen versuchen. Wenn wir also verändern, was wir wollen und wie wir die Dinge sehen, verändern wir auch, was wir tatsächlich entwickeln. Diese Art der Veränderung ist aber sehr langsam und empfindlich etwa gegenüber Propaganda und Versuchen, das Denken der Menschen in eine Richtung zu lenken. Menschen mit visionären Ideen werden verfolgt und von Ressourcen abgeschnitten. Es gibt also viele Hürden, aber das Bewusstsein von Menschen zu verändern, ist der einzige Weg, die Welt zu verändern.
Sie haben einige Jahre in Berlin gelebt und gearbeitet. Haben Sie einen deutschen Lieblingsschriftsteller und Lieblingsfilmemacher? DANGAREMBGA Es ist für mich schwierig, Übersetzungen deutscher Autoren zu bekommen. Darum kenne ich nicht allzu viele Bü
cher. Welches Buch mich aber am meisten fasziniert, ist „Das Parfüm“von Patrick Süskind. Das ist ein Roman, der mich weiter begleiten wird. Und bei den Filmemachern sind es einige, die ich sehr schätze. Am meisten ist es aber wohl Wim Wenders und sein Film „Der Himmel über Berlin“.
Wissen Sie schon, was Sie in der Frankfurter Paulskirche sagen werden, bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels?
DANGAREMBGANOCH nicht. Ich habe bis vor Kurzem an meiner Rede zum Pen-pinter-preis gearbeitet und werde mich gleich danach an die Friedenspreisrede machen.
Ein Preis nach dem anderen… DANGAREMBGA Ja, in dieser Hinsicht ist 2021 für mich ein sehr erfolgreiches Jahr.
Die Laudatio auf Sie wird
Auma Obama halten, die Schwester des früheren Us-präsidenten. Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf sie?
DANGAREMBGA Wir haben mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels über viele Namen nachgedacht. Und als schließlich der Name Auma Obama fiel, waren alle sofort überzeugt.