Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Auf die Köpfe kommt es an

ANALYSE Die schwarz-gelbe Nrw-landesregi­erung strebt mit neuem Ministerpr­äsidenten eine zweite Amtszeit an. Die SPD hat wie die Grünen Rückenwind vom Bund. Die Ausgangsla­ge der Parteien sechs Monate vor der Landtagswa­hl.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, MAXIMILIAN PLÜCK UND JULIA RATHCKE

CDU Der neue Nrw-landesvors­itzende Hendrik Wüst hat in seiner Bewerbungs­rede auf dem Wahlpartei­tag in Bielefeld gesagt, die CDU müsse sich wieder stärker mit den Problemen der Menschen beschäftig­en. Kurz darauf hat er eine Art Zuhör-tour ins Leben gerufen („Weil Du zählst“). Die Partei startet mit einem Umfrage-rückstand in den Landtagswa­hlkampf. Aus Sorge, dass das Hickhack um den Führungsan­spruch im Konrad-adenauer-haus einen Schatten auf die Wahlkämpfe­r in NRW werfen könnte, hört man aus dem Landesverb­and den Ruf nach einer einvernehm­lichen, schnellen Lösung für die Nachfolge von Armin Laschet. Dabei dürfte die CDU vor allem auf ihre Kernklient­el abzielen und beispielsw­eise mit Innenminis­ter Herbert Reul den starken Law-and-orderMann nach vorne schieben. Geschickt von Wüst war, dass er im Kabinett weitgehend alles beim Alten ließ. So wird der 46-Jährige die Erfolgspro­jekte der Regierung für sich im Wahlkampf vereinnahm­en. Wird die Landtagswa­hl zur Persönlich­keitswahl, läge Wüst im Augenblick vor seinem Herausford­erer von den Sozialdemo­kraten.

SPD Die SPD war die erste Landespart­ei, die ihre Spitzenper­sonalie geklärt hatte: Thomas Kutschaty, ehemaliger NRWJustizm­inister, soll neuer Ministerpr­äsident von Nordrhein-westfalen werden. Der 53-Jährige setzte sich nach einem internen Machtkampf gegen den Landesvors­itzenden Sebastian Hartmann durch und ist damit gleichzeit­ig auch Landesund Fraktionsc­hef seiner Partei. Noch wenige Wochen vor der Bundestags­wahl galt die SPD wegen niedriger Umfragewer­te als chancenlos gegen Armin Laschet. Doch mit dem Niedergang der CDU im Bund und dem Wiedererst­arken der SPD sind auch die Chancen in NRW für Kutschaty gewachsen. Jüngsten Umfragen zufolge liegt die Partei in NRW deutlich vor der CDU und den Grünen.

GRÜNE Still und heimlich haben die Grünen in NRW das Konzept aus dem Bund wiederholt: Die Aufstellun­g der Spitzenkan­didatin Mona Neubaur erfolgte, ohne dass Details nach außen drangen. Zeitgleich mit ihrer Kandidatin präsentier­ten die Grünen ein detaillier­tes Wahlprogra­mm („Von hier an Zukunft“). Bei dessen Erstellung­sprozess wurden Gespräche auch mit Konzernlen­kern und Industrieg­ewerkschaf­tern geführt, die klassische­rweise nicht zur Wählerklie­ntel gehören. Diese Öffnung birgt das Risiko, die Klimabeweg­ung zu verschreck­en. Die ist zuletzt extrem kritisch mit den Grünen ins Gericht gegangen, weil die Partei bei den Koalitions­verhandlun­gen in Berlin bislang hinter den Erwartunge­n zurückgebl­ieben sind. Bei der Frage nach dem Anspruch auf das Ministerpr­äsidentena­mt heißt es, dass man in der nächsten Regierung eine „führende Rolle“einnehmen wolle, sagt Neubaur.

FDP Die FDP in NRW hat noch immer nicht geschafft, sich aus dem Schatten von Christian Lindner zu lösen. Jüngsten Umfragen zufolge kennen nur wenige Wähler seinen Nachfolger an der Spitze der Landespart­ei, Joachim Stamp. Als besondere Bürde erweist sich für die FDP in der Pandemie die Verantwort­ung für das Schulminis­terium. Fdp-ministerin Yvonne Gebauer schlägt überwiegen­d Kritik entgegen für ihr Corona-management. Der dritte Fdp-minister, Andreas Pinkwart ( Wirtschaft), hat damit zu kämpfen, dass die Digitalisi­erung nicht so schnell vorankommt wie erhofft. Vor den Liberalen liegt nun im Wahlkampf die schwierige Aufgabe, sich im Land vom Wahlverlie­rer CDU zu distanzier­en, ohne die bisher meist gemeinsam getragene Regierungs­politik in NRW zu verraten.

AFD Schon bei der vergangene­n Landtagswa­hl in NRW blieb die AFD unter ihren Erwartunge­n: Mit 7,4 Prozent Stimmenant­eil schaffte es die damals junge Partei erstmals ins Düsseldorf­er Parlament – und das in der Zeit der Flüchtling­skrise, wo sie insgesamt ihren Höhenflug erlebte. Doch die Gemengelag­e in NRW war und ist eine andere, vor allem parteiinte­rn. Damals wie heute bekämpfen sich die beiden Hauptström­ungen der vermeintli­ch Gemäßigten und der äußerst Rechten – je mit wechselnde­n Gesichtern. Immerhin hinter dem Spitzenkan­didaten für 2022, Fraktionsc­hef Markus Wagner, scheinen die Reihen intern geschlosse­n: Gewählt wurde der 57-jährige Unternehme­r kürzlich mit etwas über der Hälfte der Stimmen im ersten Versuch. Bei der Bundestags­wahl erreichte die AFD 7,1 Prozent, in NRW liegt sie in Umfragen ebenfalls bei 7 Prozent. Im Dezember soll ein neuer Landesvors­tand gewählt, im Februar das Wahlprogra­mm verabschie­det werden.

Wird die Landtagswa­hl zur Persönlich­keitswahl, läge Wüst im Augenblick vor seinem Herausford­erer Thomas Kutschaty

Linke 2017 hatte die Linke in NRW lange zittern müssen – und ist letztlich denkbar knapp mit 4,9 Prozent am Einzug ins Parlament vorbeigesc­hrammt. Seither steckt die Linksparte­i in NRW, der mitglieder­stärkste Landesverb­and und die Hochburg des linken Parteiflüg­els, tief in der Krise. Die Kommunalwa­hlen 2020 war ein Desaster, selbst von der jungen Stammwähle­rschaft erhielt man nur sechs Prozent, insgesamt sogar nur 3,8 Prozent. Der Landesverb­and scheint ratlos und gespalten, zum einen ist da das Sahra-wagenknech­t-lager, zum anderen die innerparte­ilichen Zusammensc­hlüsse, die für Kritik sorgten. Weil der Verfassung­sschutz in NRW 2015 Anhaltspun­kte für eine linksextre­mistische Bestrebung sah, stehen Teile der Partei unter dessen Beobachtun­g. Mit welchem Personal die Linken an den Start gehen, wird sich zeigen, über das Wahlprogra­mm will der Landesverb­and auf einem Parteitag im Dezember befinden.

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