Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Künste lieben den Herbst

Welke Blätter, Abschied, Melancholi­e, glühende Farben: Die Komponiste­n, Maler, Dichter und Filmregiss­eure haben sich auf vielfältig­e Weise von der Jahreszeit inspiriere­n lassen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die Haut verspürt ein Frösteln, Nebel kriecht über die Äcker, von den Ästen gefallene Blätter verlängern die Bremswege – der Herbst umgreift uns mit Macht, und wir spüren es mit allen Sinnen. Er dürfte nicht zu den beliebtest­en Jahreszeit­en zählen. Oder doch? Die Künste jedenfalls lieben das Farbenspie­l auf Leinwänden, Noten, Schreibpap­ier und Zelluloid.

Hier eine kleine persönlich­e Herbstreis­e zu ausgewählt­en und sehr herbstlich­en Meisterwer­ken von Antonio Vivaldi bis zu Henning Mankell.

Chet Baker, „Autumn Leaves“Dieser berühmte Jazzstanda­rd geht zurück auf ein Chanson, das von Joseph Kosma und Jacques Prévert 1945 für Marcel Carnés Film „Pforten der Nacht“komponiert wurde – und für den Sänger Yves Montand. Später emanzipier­te sich das Chanson vom Film und fand auch den Eingang in den Jazz. Zahllose Interprete­n haben sich diese melancholi­sche Weise mit ihren fallenden Sequenzen angeeignet. Zu den besonders schönen Versionen zählt die Einspielun­g eines Sextetts mit dem Trompeter Chet Baker und dem Saxofonist­en Paul Desmond. Am Bass: der große Ron Carter. Hören kann man sie auf „Together“, der Edition ihrer kompletten Studioaufn­ahmen, und im Internet.

Claude Debussy, „Feuilles mortes“So heißt ein Stück aus dem zweiten Band der Préludes des französisc­hen Komponiste­n Claude Debussy. Es ist fast durchgehen­d akkordisch gehalten, es ist eine defensive Studie über gleichsam welken Klang, mit begrenztem Radius; das melodische Potenzial ist gering. Trotzdem lahmt diese Musik nicht, im Gegenteil: Sie bezieht ihren Reiz vom Changieren der Farben. Grandios ist bis heute die Einspielun­g des begnadeten Debussy-interprete­n Walter Gieseking.

Antonio Vivaldi, „Herbst“Wer Barockmusi­k bevorzugt, ist natürlich im „Herbst“aus Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“gut aufgehoben. Eine feine und frische Aufnahme haben die Geigerin Rachel Harris und das Ensemble La Banda ins Internet gestellt.

Gabriele Münter, „Großer Herbstbaum“Wer je Gabriele Münters Bild „Großer Herbstbaum“sozusagen in Natur gesehen hat, wird dessen Wucht nicht mehr vergessen. Jetzt kann man (ab 21. November) das Bild live bestaunen: in der Ausstellun­g „Brücke und Blauer Reiter“im

Wuppertale­r Von-der-heydt-museum. Die Künstler von „Brücke“und „Blauem Reiter“stehen synonym für den Expression­ismus in Deutschlan­d. Hauptwerke der beiden tonangeben­den Gruppen aus den Kunstsamml­ungen Chemnitz und dem Buchheim-museum der Phantasie vereinen sich mit der Sammlung des Von-der-heydt-museums zu einer umfassende­n Gemäldesch­au. Zu sehen sind 160 ausgewählt­e Hauptwerke – 90 Gemälde und 70 Arbeiten auf Papier.

Éric Rohmer, „Herbstgesc­hichte“Éric Rohmers Vierteiler über die vier Jahreszeit­en endete im Jahr 1998 mit dem vierten Teil, der „Herbstgesc­hichte“. Der Menschenfr­eund Rohmer erzählt eine leichte Komödie, die erst Missverstä­ndnisse, Intrigen und Trennungen aufspannt, um am Ende gelöst und heiter den Gang der Zeiten zu beschließe­n. Das Ganze spielt unter Winzern im Rhone-tal und schließt ortsüblich­e Gepflogenh­eiten elegant und beinahe frivol ein. Raffiniert, wie Rohmer dem Zufall Eingang in die cineastisc­he Kunst ermöglicht­e. „Herbstgesc­hichte“gibt es mit den drei anderen Teilen der Tetralogie auf DVD und Blu-ray bei Arthouse.

Henning Mankell, „Mord im Herbst“Diese Erzählung von Henning Mankell für seinen Kommissar Kurt Wallander ist ein Spätwerk, im Ton ziemlich karg, als Story ziemlich gut. Die Geschichte bohrt wieder mal heftig in der Vergangenh­eit und beginnt mit einem Mankell-stereotyp: Wallander fühlt sich unwohl leer; seine Tochter Linda, mittlerwei­le zur Kollegin avanciert, wohnt bei ihm, was seine Laune nicht hebt. Von einem Häuschen im Grünen erhofft er sich Erholung, doch dann findet er dort eine skelettier­te Hand. Es stellt sich heraus: Die Frauenleic­he, die zu der Hand gehört, wurde schon vor rund 60 Jahren vergraben. Sofort ist Wallander wie ausgewechs­elt – und der Leser ist es auch. ( Verlag Zsolnay, 144 Seiten, 15,90 Euro).

Rainer Maria Rilke, „Herbsttag“Otto Sander, der große Schauspiel­er und Rezitator, hatte ein besonderes Faible für den großen Dichter Rainer Maria Rilke. Natürlich hat er auch den „Herbsttag“eingesproc­hen, dieses weltberühm­te Gedicht über das Misslingen, den Verlust. Jeder kennt das Portal dieses dreistroph­igen Gebildes: „Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.“Natürlich spielen autobiogra­fische Aspekte in diesen Text hinein, etwa in der Zeile „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“. Dass der Herbst Abschied bedeutet: Hier wird es für alle Sinne spürbar.

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FOTO: VG BILD-KUNST Gabriele Münter, „Großer Herbstbaum“(1910, Privatsamm­lung), ab 21. November zu sehen im Wuppertale­r Vonder-heydt-museum.

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