Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Was Glasgow für die Ampel bedeutet
Die Ergebnisse der Klimakonferenz werden auch die Koalitionsverhandlungen in Deutschland prägen. Die Grünen pochen bereits auf geteilte Verantwortung bei dem Thema.
Die Klimakonferenz von Glasgow ist vorbei, jetzt geht es an die Umsetzung der Beschlüsse und definierten Klimaschutzziele. Auch für Deutschland, das beim Klimaschutz seit Jahren eine Vorreiterrolle für sich beansprucht, gibt Glasgow Hausaufgaben auf. Denn die Bundesrepublik ist nach Ansicht von Experten längst noch nicht auf dem richtigen Pfad, um die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts bei 1,5 Grad zu begrenzen.
Und so hat Glasgow direkten Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP, die an diesem Montag auf Spitzenebene weitergehen sollen. Grünen-coChef Robert Habeck forderte im Vorfeld der Gespräche konsequente Klimaschutzpolitik im neuen Koalitionsvertrag. „Das Abschlussdokument von Glasgow weist, wenn auch zaghaft, den Weg in eine Zukunft ohne Kohleverstromung“, sagte Habeck unserer Redaktion. „Der Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters ist eingeläutet und zumindest das ist eine gute Nachricht für den Klimaschutz.“Leider sei es aber immer noch nicht gelungen, die Staatengemeinschaft auf den 1,5 GradPfad zu lenken. „Auch dem Letzten, der sich beim Klimaschutz ambitionierten Zielen und Maßnahmen verweigert, muss klar sein: Wenn wir das Klima schützen, schützen wir unsere Freiheit“, sagte Habeck. Das sei eine Daueraufgabe, die die nationalen Regierungen immer aufs Neue mit Leben füllen müssten. „Für die künftige Bundesregierung muss der Schutz des Klimas und damit unserer Freiheit Grundlage allen Handelns sein“, sagte Habeck.
„Ziel muss sein, eine kohärente Klimapolitik auf den Weg zu bringen, die sich durch alle Ressorts zieht und die Verantwortung entsprechend verteilt. Dazu gehört ein Klimaschutz-sofortprogramm genauso wie der Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen“, sagte der Grünen-vorsitzende. „Das sind die unabdingbaren Voraussetzungen dafür, dass Deutschland endlich wieder zum Vorreiter beim Klimaschutz wird.“Es werde sich in den nächsten Tagen und dann Jahren zeigen, ob Deutschland konkreter und entschiedener Klima-politik betreibt. „Unsere Rolle auf der nächsten Konferenz wird sich im eigenen Land entscheiden. Wer von anderen etwas fordert, muss zu Hause seine Hausaufgaben erledigen. Jedenfalls alles dafür tun, dass sie erledigt werden können“, sagte Habeck.
FDP-CHEF Christian Lindner bewertet das Ergebnis der Weltklimakonferenz unterdessen vorsichtig optimistisch, zeigte sich aber unzufrieden beim Fortschritt von Handelszertifikaten für Klimaschutz. Inwiefern dies in die Beratungen der Ampel-parteien einfließen wird, ist offen.
Der deutsche Greenpeace-chef Martin Kaiser sieht Deutschland in der Pflicht. Die Hoffnung, die globale Temperatur noch unter 1,5 Grad stabilisieren zu können, hänge nun an denjenigen Ländern, die ihre Verantwortung wahrnehmen wollen, sagte er. „Für Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Robert Habeck und
Christian Lindner ist das Ergebnis von Glasgow ein klarer Auftrag, diese Verantwortung zu übernehmen“, so Kaiser weiter. Nötig seien Sofortmaßnahmen. „So ist der Kohleausstieg bis 2030 zwingend notwendig. Ab heute dürfen unsere Steuergelder nicht mehr für Kohle, Öl und Gas eingesetzt werden.“
Ähnlich äußerte sich Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. „Von der COP in Glasgow gehen klare Signale für die deutschen Koalitionsverhandlungen aus: Kohleausstieg bis spätestens 2030, Ausstieg aus der internationalen Förderung von Öl und Gas, die internationale Klimafinanzierung muss bis 2025 stark aufgestockt werden“, sagte er.
Andersherum hatten jedoch auch die laufenden Ampel-verhandlungen Einfluss auf die Beschlüsse von Glasgow. So kam es beispielsweise nicht zu einer Unterschrift eines Nebenabkommens, das das Ende von Verbrenner-autos ab 2040 vorsieht. In der amtierenden Regierung und innerhalb der Ampelparteien gibt es unterschiedliche Auffassungen zum Einsatz von synthetischem Kraftstoff, der im Abkommen ausgeschlossen wird.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zeigte sich unzufrieden mit den Ergebnissen des Weltklimagipfels. „Die Industrie bedauert, dass auf der Weltklimakonferenz in Glasgow der dringend notwendige große Wurf für den Klimaschutz nicht gelungen ist“, erklärte Bdi-präsident Siegfried Russwurm am Sonntag. Er äußerte die Sorge, dass Unternehmen in der EU Wettbewerbsnachteile erleiden könnten. „Es ist gefährlich und schadet dem Klima, wenn die Unterschiede im Ehrgeiz für Klimaschutz bestehen oder gar zunehmen“, kritisierte der BDI-CHEF. „Dies verlagert die Emissionen in Länder mit weniger strengen Klimaschutzmaßnahmen und belastet einseitig Unternehmen, die, etwa in der EU, bereits große finanzielle Belastungen stemmen müssen“, sagte Russwurm. Er forderte mehr Marktmechanismen beim Klimaschutz – eine klare Erwartung auch an die Ampelparteien.