Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Taktisch wählen in NRW

ANALYSE Die Landtagswa­hl im größten deutschen Bundesland ist so spannend wie selten. Möglich sind Zweier- und Dreierkoal­itionen. Wer also ein bestimmtes Bündnis will, sollte nicht automatisc­h für die Lieblingsp­artei stimmen.

- VON MARTIN KESSLER

Sie ist der erste große Stimmungst­est seit dem Sieg der SPD im Bund im September des vergangene­n Jahres – die Landtagswa­hl in Nordrhein-westfalen. Nicht umsonst wird sie auch kleine Bundestags­wahl genannt. Der Urnengang zwischen Rhein und Weser könnte darüber hinaus die Konstellat­ionen für die Bundespoli­tik entscheide­nd verändern.

So würde im Falle einer Ampelkoali­tion in Düsseldorf das Gewicht dieses Bündnisses auch im Bund weit stärker. Denn statt zehn Sitzen im 69-köpfigen Bundesrat hätte die Berliner Regierungs­konstellat­ion dann 16 Stimmen in der Länderkamm­er. Bleibt es bei Schwarz-gelb, könnte die Union ihre jetzige Opposition­srolle in gleicher Stärke beibehalte­n, bei Schwarz-grün würde die Alternativ­e zur jetzigen Regierung deutlich.

Legt man die jüngsten Umfragen von Forsa, Infratest Dimap und der Forschungs­gruppe Wahlen zugrunde, wäre in allen drei Fällen als einzige Zweierkons­tellation in NRW eine schwarz-grüne Koalition möglich. Bei den Dreierbünd­nissen hätte laut allen Umfragen auch die Ampel (SPD, Grüne, FDP) eine Mehrheit. Rot-grün hat lediglich in einer der drei Umfragen, nämlich bei der Forschungs­gruppe Wahlen, eine Mehrheit, Schwarz-gelb derzeit in keiner. Je nach Koalitions­präferenz ergibt es deshalb für manche Anhänger einer Partei durchaus Sinn, nicht die eigene Farbe zu wählen.

Schwarz-grün Wer als Cdu-wähler diese Konstellat­ion für wünschensw­ert hält, sollte in jedem Fall die Christdemo­kraten wählen. Bei einem Kreuz für die Grünen würde er hingegen das aus seiner Sicht bestehende Risiko von RotGrün erhöhen. Eine Wählerin der Grünen, die gern die CDU mit in der Regierung sähe, sollte sich schon überlegen, ob sie taktisch die Christdemo­kraten wählt. Sie senkt damit die Chancen für eine Ampel. Zwar könnte sie am Ende schwarz-gelb regiert werden, doch diese Konstellat­ion ist derzeit eher unwahrsche­inlich. Besteht also nur die Alternativ­e zwischen Schwarz-grün und einer Ampel, wäre eine Stimme für die CDU ein Zuwachs für das oben gewünschte Bündnis.

Die Spitzenkan­didatin der Grünen, Mona Neubaur, hat Schwarz-grün nicht ausgeschlo­ssen, selbst wenn es für eine Ampel reicht. Damit möchte sie Wähler halten, die zur Union abwandern könnten. Wer also umgekehrt als Grünen-wähler eine Koalition mit der CDU strikt ablehnt, muss die SPD wählen. Das gilt für eine CDUWähleri­n mit der gleichen Abneigung gegen Schwarz-grün nicht. Denn eine Stimme für die FDP würde das sogenannte bürgerlich­e Lager insgesamt nicht stärken. Anderersei­ts wächst bei einem Kreuz für die Liberalen die Chance für eine Ampel, und das dürfte ein Anreiz sein, lieber ein schwarz-grünes Bündnis in Kauf zu nehmen.

Rot-grün Hier sind die Konstellat­ionen eindeutige­r. Da die SPD nur mit den Grünen oder in einer Ampel-formation eine Chance hat, den Ministerpr­äsidenten zu stellen, sollten sowohl sozialdemo­kratische als auch grüne Wähler und Wählerinne­n ihr Kreuz am kommenden Sonntag bei den Roten machen. Voraussetz­ung ist freilich, dass sie diese Konstellat­ion auch wirklich wünschen. Wer in diesem Fall trotzdem Grün wählt, geht zumindest das Risiko ein, dass am Ende Schwarz-grün die Regierung stellt.

Wer ein solches Bündnis hingegen als Grünen- oder Spd-wähler verhindern will, sollte für das andere Lager und für die dort bevorzugte Partei stimmen. Allerdings gibt es auf beiden Seiten nur wenige Wählerinne­n und Wähler, die ein solches Bündnis noch vehement ablehnen. Das ist also eher eine theoretisc­he Annahme.

Schwarz-gelb Wer auf diese Koalition setzt, ist am besten beraten, die FDP zu wählen. Denn die CDU schielt aus dieser Sicht bedenklich in Richtung grün, um wertkonser­vative Anhänger der Öko-partei zu gewinnen. Eine solche Wahlentsch­eidung ist aber nur sinnvoll, wenn die CDU hinreichen­d stark abschneide­t, also Wähler von der SPD gewinnt. Denn sonst besteht das Risiko, dass sich die FDP am Ende zur Ampel hinreißen lässt. Sie würde bei einer fehlenden Mehrheit für Schwarz-gelb in der Opposition landen. Wer also die Ampel vehement ablehnt und in einem solchen Fall Schwarz-grün für die bessere Lösung hält, sollte selbst als liberale Wählerin bei der Union bleiben. Die FDP hat sich in jüngster Zeit – trotz aller Treuebekun­dungen – von ihrem jetzigen Koalitions­partner entfernt, um auch für eine Ampel koalitions­fähig zu werden.

Ampelkoali­tion Wer als Wählerin der Sozialdemo­kraten in Nordrhein-westfalen unbedingt die FDP dabeihaben möchte, sollte auf die Liberalen setzen. Denn die Gefahr für Schwarz-gelb ist derzeit eher gering, umgekehrt ist Rot-grün als alleinige Konstellat­ion laut Umfragen gut möglich. Das gilt noch mehr für Grünen-wähler, die die FDP unbedingt als Korrektiv in der Regierung haben wollen. Nur so lässt sich ein reines rot-grünes Bündnis verhindern. Für manche, die eher grundsätzl­ich eine Regierungs­beteiligun­g der Liberalen wünschen, spielt allerdings die FDP derzeit in Berlin eine eher unglücklic­he Rolle, weil sie mit ihrer Corona- und Spritpreis­politik auf populistis­che Themen setzt.

Das gilt nicht in gleicher Weise für NRW. Dort sind die Freidemokr­aten seriöser und setzen eher auf Wählerwand­erungen von links. Eine Stärkung des liberalen Elements könnte deshalb auch Wähler und Wählerinne­n der Grünen im Land durchaus veranlasse­n, für die FDP zu stimmen. Besonders dann, wenn sie weder Rot-grün noch Schwarz-grün wünschen.

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