Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Taktisch wählen in NRW
ANALYSE Die Landtagswahl im größten deutschen Bundesland ist so spannend wie selten. Möglich sind Zweier- und Dreierkoalitionen. Wer also ein bestimmtes Bündnis will, sollte nicht automatisch für die Lieblingspartei stimmen.
Sie ist der erste große Stimmungstest seit dem Sieg der SPD im Bund im September des vergangenen Jahres – die Landtagswahl in Nordrhein-westfalen. Nicht umsonst wird sie auch kleine Bundestagswahl genannt. Der Urnengang zwischen Rhein und Weser könnte darüber hinaus die Konstellationen für die Bundespolitik entscheidend verändern.
So würde im Falle einer Ampelkoalition in Düsseldorf das Gewicht dieses Bündnisses auch im Bund weit stärker. Denn statt zehn Sitzen im 69-köpfigen Bundesrat hätte die Berliner Regierungskonstellation dann 16 Stimmen in der Länderkammer. Bleibt es bei Schwarz-gelb, könnte die Union ihre jetzige Oppositionsrolle in gleicher Stärke beibehalten, bei Schwarz-grün würde die Alternative zur jetzigen Regierung deutlich.
Legt man die jüngsten Umfragen von Forsa, Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen zugrunde, wäre in allen drei Fällen als einzige Zweierkonstellation in NRW eine schwarz-grüne Koalition möglich. Bei den Dreierbündnissen hätte laut allen Umfragen auch die Ampel (SPD, Grüne, FDP) eine Mehrheit. Rot-grün hat lediglich in einer der drei Umfragen, nämlich bei der Forschungsgruppe Wahlen, eine Mehrheit, Schwarz-gelb derzeit in keiner. Je nach Koalitionspräferenz ergibt es deshalb für manche Anhänger einer Partei durchaus Sinn, nicht die eigene Farbe zu wählen.
Schwarz-grün Wer als Cdu-wähler diese Konstellation für wünschenswert hält, sollte in jedem Fall die Christdemokraten wählen. Bei einem Kreuz für die Grünen würde er hingegen das aus seiner Sicht bestehende Risiko von RotGrün erhöhen. Eine Wählerin der Grünen, die gern die CDU mit in der Regierung sähe, sollte sich schon überlegen, ob sie taktisch die Christdemokraten wählt. Sie senkt damit die Chancen für eine Ampel. Zwar könnte sie am Ende schwarz-gelb regiert werden, doch diese Konstellation ist derzeit eher unwahrscheinlich. Besteht also nur die Alternative zwischen Schwarz-grün und einer Ampel, wäre eine Stimme für die CDU ein Zuwachs für das oben gewünschte Bündnis.
Die Spitzenkandidatin der Grünen, Mona Neubaur, hat Schwarz-grün nicht ausgeschlossen, selbst wenn es für eine Ampel reicht. Damit möchte sie Wähler halten, die zur Union abwandern könnten. Wer also umgekehrt als Grünen-wähler eine Koalition mit der CDU strikt ablehnt, muss die SPD wählen. Das gilt für eine CDUWählerin mit der gleichen Abneigung gegen Schwarz-grün nicht. Denn eine Stimme für die FDP würde das sogenannte bürgerliche Lager insgesamt nicht stärken. Andererseits wächst bei einem Kreuz für die Liberalen die Chance für eine Ampel, und das dürfte ein Anreiz sein, lieber ein schwarz-grünes Bündnis in Kauf zu nehmen.
Rot-grün Hier sind die Konstellationen eindeutiger. Da die SPD nur mit den Grünen oder in einer Ampel-formation eine Chance hat, den Ministerpräsidenten zu stellen, sollten sowohl sozialdemokratische als auch grüne Wähler und Wählerinnen ihr Kreuz am kommenden Sonntag bei den Roten machen. Voraussetzung ist freilich, dass sie diese Konstellation auch wirklich wünschen. Wer in diesem Fall trotzdem Grün wählt, geht zumindest das Risiko ein, dass am Ende Schwarz-grün die Regierung stellt.
Wer ein solches Bündnis hingegen als Grünen- oder Spd-wähler verhindern will, sollte für das andere Lager und für die dort bevorzugte Partei stimmen. Allerdings gibt es auf beiden Seiten nur wenige Wählerinnen und Wähler, die ein solches Bündnis noch vehement ablehnen. Das ist also eher eine theoretische Annahme.
Schwarz-gelb Wer auf diese Koalition setzt, ist am besten beraten, die FDP zu wählen. Denn die CDU schielt aus dieser Sicht bedenklich in Richtung grün, um wertkonservative Anhänger der Öko-partei zu gewinnen. Eine solche Wahlentscheidung ist aber nur sinnvoll, wenn die CDU hinreichend stark abschneidet, also Wähler von der SPD gewinnt. Denn sonst besteht das Risiko, dass sich die FDP am Ende zur Ampel hinreißen lässt. Sie würde bei einer fehlenden Mehrheit für Schwarz-gelb in der Opposition landen. Wer also die Ampel vehement ablehnt und in einem solchen Fall Schwarz-grün für die bessere Lösung hält, sollte selbst als liberale Wählerin bei der Union bleiben. Die FDP hat sich in jüngster Zeit – trotz aller Treuebekundungen – von ihrem jetzigen Koalitionspartner entfernt, um auch für eine Ampel koalitionsfähig zu werden.
Ampelkoalition Wer als Wählerin der Sozialdemokraten in Nordrhein-westfalen unbedingt die FDP dabeihaben möchte, sollte auf die Liberalen setzen. Denn die Gefahr für Schwarz-gelb ist derzeit eher gering, umgekehrt ist Rot-grün als alleinige Konstellation laut Umfragen gut möglich. Das gilt noch mehr für Grünen-wähler, die die FDP unbedingt als Korrektiv in der Regierung haben wollen. Nur so lässt sich ein reines rot-grünes Bündnis verhindern. Für manche, die eher grundsätzlich eine Regierungsbeteiligung der Liberalen wünschen, spielt allerdings die FDP derzeit in Berlin eine eher unglückliche Rolle, weil sie mit ihrer Corona- und Spritpreispolitik auf populistische Themen setzt.
Das gilt nicht in gleicher Weise für NRW. Dort sind die Freidemokraten seriöser und setzen eher auf Wählerwanderungen von links. Eine Stärkung des liberalen Elements könnte deshalb auch Wähler und Wählerinnen der Grünen im Land durchaus veranlassen, für die FDP zu stimmen. Besonders dann, wenn sie weder Rot-grün noch Schwarz-grün wünschen.