Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Corona wird uns noch Jahre begleiten“

Die Infektiolo­gin erklärt, was bei der Pandemie als nächstes kommt und wie gefährlich die Kombivaria­nte Deltakron ist. Zum Winter, sagt sie voraus, werde die Maskenpfli­cht in Innenräume­n zurückkehr­en.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Frau Addo, die Corona-infektions­zahlen sinken derzeit. Ist die Pandemie bald vorbei oder erleben wir nur ein Durchatmen vor der nächsten Welle?

Das ist schwer zu sagen. Wir werden einen guten Sommer haben. Im Herbst werden die Fallzahlen wieder steigen. Wir sind aber besser vorbereite­t als 2021: Viele Menschen sind geimpft, wenn auch nicht genug. Wir haben eine höhere natürliche Immunität durch die vielen Infektione­n.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach hält es für möglich, dass im Herbst eine „Killervari­ante“kommt – gefährlich wie Delta, ansteckend wie Omikron. Was sagen Sie?

Es ist zu früh zu sagen, welche Variante im Herbst kommt. Es zirkuliere­n viele Varianten in der Welt, etwa in Südafrika (B.4 und B.5) und den USA (BA.2.12.1, eine Untervaria­nte von BA.2), das müssen wir engmaschig beobachten. Es gibt auch bereits „Deltakron“-fälle, doch bislang hat sich diese Kombivaria­nte nicht durchgeset­zt.

Werden wir im nächsten Winter wieder Masken tragen und Lockdowns haben?

Ich gehe davon aus, dass Maßnahmen wie die Maskenpfli­cht im Winter zurückkomm­en – jedenfalls im öffentlich­en Raum und in Innenräume­n, wo Abstandhal­ten schwierig ist. Lockdowns erwarte ich wegen der wachsenden Immunität derzeit nicht.

Gibt es eigentlich ein klassische­s Muster für Pandemien? Wird ein Virus im Laufe einer Pandemie immer ansteckend­er, aber ungefährli­cher?

Je mehr Menschen geimpft oder infiziert sind, desto größer ist der Immundruck der Gesellscha­ft. Es kostet das Virus oft etwas, sich anzupassen. Daher kann es bei manchen Viren von Welle zu Welle zu einer sinkenden Pathogenit­ät, also Gefährlich­keit, kommen. Es kann aber auch anders sein, zumal unter anderem aus dem Tierreich neue Varianten auf den Menschen überspring­en können.

Wie war es bei anderen Infektions­krankheite­n?

Allein mit Coronavire­n hatten wir in den vergangene­n 20 Jahren drei große Ausbrüche: 2002, 2013 und 2020. Sars-cov-1 ist einfach wieder verschwund­en, das ist bis heute nicht ganz verstanden. Beim Mers-coronaviru­s, das auf der Arabischen Halbinsel auftrat, haben wir uns wegen der Mortalität (bis zu 35 Prozent) zunächst große Sorgen gemacht, doch es hat sich global nicht effektiv ausgebreit­et.

Wie lange wird uns die aktuelle Pandemie noch beschäftig­en?

Das Coronaviru­s wird uns noch Jahre begleiten, aber 2023 könnte es endemisch werden. Das Szenario könnte dann so aussehen: Wie bei der Influenza gehen die Zahlen im Winter hoch, Risikogrup­pen müssen sich schützen. Ansonsten aber helfen Hygiene, Lüften, Abstand halten.

Im September soll es einen an Omikron angepasste­n Impfstoff geben. Soll man mit dem zweiten Boostern darauf warten?

Nein. Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) empfiehlt, dass sich über 70-Jährige und Risikopati­enten jetzt ein zweites Mal boostern lassen sollten. Der Empfehlung sollte man folgen. Auch für über 60-Jährige kann das Sinn machen, wie der Bundesgesu­ndheitsmin­ister empfiehlt.

Was ist mit denen, die dreimal geimpft und infiziert sind? Sollen sie sich auch ein zweites Mal boostern lassen?

ADDO Sie können wahrschein­lich erst einmal den Sommer abwarten. Im Herbst wird man sehen, ob sie eine vierte Impfung benötigen.

Werden wird uns jetzt alle jeden Winter boostern lassen müssen?

Davon gehe ich nicht aus. Auch wenn die Antikörper abnehmen, bleibt ein Immungedäc­htnis und ein Niveau an T-zellen erhalten. Sie können infizierte Zellen vernichten. Ältere Menschen und Risikopati­enten werden dagegen wahrschein­lich regelmäßig ihren Impfschutz auffrische­n müssen. Ob das aber jedes Jahr sein muss, wird man sehen.

Sie selbst entwickeln mit Ihrem Team auch einen Vektorimpf­stoff gegen das Coronaviru­s. Wie ist der Stand?

ADDO Es hat Verzögerun­gen gegeben, wir mussten den Impfstoff anpassen, nun aber laufen weitere klinische Studien mit Probandinn­en und Probanden aus Hamburg und Köln. Der Impfstoff wird gut vertragen, und die Probanden bilden Antikörper.

Hat Ihr Corona-impfstoff denn wirtschaft­lich überhaupt noch eine Chance? Die beiden MRNA-HERsteller Biontech und Moderna beherrsche­n doch bereits den globalen Markt.

Bei unserem Projekt geht es zu diesem Zeitpunkt mehr um akademisch­e Fragen. Wir sehen unseren Impfstoff als Plattform, die man auch in anderen Pandemien nutzen kann. Denn die nächste Pandemie kommt bestimmt. Ähnliches gilt auch für andere Entwickler: Es gibt noch 196 Impfstoff-kandidaten in präklinisc­hen Studien und 117 in klinischen Studien. Davon wird nur ein kleiner Bruchteil auf den Markt kommen.

Laut einer aktuellen kalifornis­chen Studie (von Sara Tartof ) verringert sich bei den mrna-impfstoffe­n der Impfschutz gegen Krankenhau­sEinweisun­gen bereits nach einigen Monaten. Lohnt sich das Impfen überhaupt?

Auf jeden Fall. Das Papier zeigt zwar, dass der Schutz vor Hospitalis­ierung mit der Zeit auf 88 Prozent sinkt, durch einen Booster aber wieder auf 97 Prozent ansteigt. Das sind erfreulich­e Daten, die zeigen, dass sich Impfen und Boostern lohnen.

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