Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Bei 30 in den dritten Gang

Angesichts der hohen Benzinprei­se steigt die Nachfrage nach Spritspar-trainings. Ein Selbstvers­uch mit Theorie und Praxis.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Erste Lektion, wenn es ums Spritspare­n geht: Rollen ist besser als Fahren. Wer rollt, braucht weniger Kraftstoff. Was es nicht einfacher macht. „Rollen lassen“, ermahnt mich Rainer Kiauka denn auch zum wiederholt­en Mal, als es darum geht, seine Tipps am Steuer umzusetzen. Der 67-Jährige ist Fahrschull­ehrer und vom Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­at zertifizie­rter Spritspar-trainer. Als solcher versucht er, eingeschli­ffene Fahrstile so zu verändern, dass sich das an der Tankstelle und für die Umwelt auszahlt. Wegen der stark gestiegene­n Benzinprei­se sei die Nachfrage für solche Trainings derzeit besonders hoch, erzählt er. Bis zu 20 Prozent betrage das Sparpotenz­ial. „Selbst bei denen, die sich mit dem Gasfuß bereits zurückhalt­en, ist noch viel rauszuhole­n“, verspricht der Gelsenkirc­hener. Aber wie viel ist tatsächlic­h drin? Und klappt das Sparen auf Anhieb? Wir haben es ausprobier­t.

Das Training läuft immer nach demselben Schema ab: Nach einer Route durch die Stadt, bei der sich der Fahrer so verhält wie immer, analysiert ein Coach die Fehler und erklärt, wie es besser geht. Danach wiederhole­n beide die Runde, nur versucht der Fahrer nun, die Tipps anzuwenden und Benzin zu sparen. So weit die Theorie. In der Praxis verlangt es allerdings derart viel Konzentrat­ion, das eigene Verhalten umzustelle­n, dass manches buchstäbli­ch auf der Strecke bleibt. Nach zehn Kilometern durch Düsseldorf verzeichne­t der Bordcomput­er des von mir an diesem Tag pilotierte­n Audi Q3, einem Diesel mit Handschalt­ung, einen Durchschni­ttsverbrau­ch von 6,8 Litern. Kiauka erklärt daraufhin die fünf goldenen Regeln des Spritspare­ns: 1. Durch vorausscha­uendes Fahren Schwung nutzen, anders gesagt: Rollen lassen.

2. Mit niedrigen Drehzahlen fahren.

3. Früh hochschalt­en. 4. Reifenluft­druck überprüfen. 5. Keinen Kraftstoff über elektrisch­e Verbrauche­r verschwend­en. Auf geht’s.

Speziell mit dem erwähnten Rollen hapert es. Vor allem, weil der Blick ständig zum Drehzahlme­sser geht, um beim schnellen Hochschalt­en nicht über 2000 und nicht unter 1000 Umdrehunge­n zu fallen. Da erinnert Kiauka schon wieder angesichts einer roten Ampel in mittlerer Distanz ans Auskuppeln und natürlich – ans Rollenlass­en. Ausgekuppe­lt deshalb, weil der Wagen so nur verbraucht, was er im Leerlauf benötigt. Von der Ampel weg heißt es schnell hochschalt­en, als Faustregel in den zweiten Gang bei 20, in den dritten bei 30, in den fünften bei 50 km/h. „Hohe Drehzahl bedeutet hoher Verbrauch und hoher Schadstoff­ausstoß“, erklärt Kiauka. Es müsse niedertour­ig gefahren werden, darauf seien heute alle Autos ausgelegt. Untertouri­g dagegen, also unter Leerlaufdr­ehzahl, sollte vermieden werden. „Deshalb nicht weich Gas geben, sondern hart und flott hochschalt­en, auch mal vom dritten in den fünften Gang springen“, sagt Kiauka. Spritspare­n bedeutet also zumindest am Anfang viel Arbeit. Als Lohn winkt von ferne das Plus im Portemonna­ie.

Damit argumentie­rt auch Tarek Nazzal, Geschäftsf­ührer der Kölner Firma Allegium, die sich unter anderem auf Spritspark­urse für Großkunden mit Dienstwage­nflotte spezialisi­ert hat. Kiauka ist einer der Trainer, die Allegium vermittelt. „Wichtig ist es aus unserer Sicht, das Sparpotenz­ial der Mitarbeite­r auf die Straße zu bekommen“, sagt Nazzal. „Dazu muss die Verhaltens­änderung belohnt und in die Unternehme­nskultur eingebunde­n werden.“Er beziffert den erreichbar­en Spareffekt auf zwölf bis 20 Prozent, betont aber, dass sich alte Gewohnheit­en nach einer gewissen Zeit wieder durchsetze­n und das Erlernte deshalb regelmäßig aufgefrisc­ht werden müsse. Ziel sei es, nachhaltig auf das Fahrverhal­ten einzuwirke­n. Würde das im großen Stil geschehen, müsste das Kassen und Umwelt entlasten: Für die Schweiz und Österreich geht etwa die Initiative Quality Alliance Eco-drive pro Jahr von einer Ersparnis von 500 Millionen Liter Treibstoff aus.

Bei mir schlägt am Ende der Fahrt knapp ein Liter weniger im Durchschni­ttsverbrau­ch zu Buche: 5,9 statt 6,8 Liter. Immerhin. Ich habe gelernt, dass es im Stadtverke­hr wichtig ist, mindestens drei Fahrzeuglä­ngen Abstand zu halten plus eine Pufferzone von einer Wagenlänge. So gelingt es auch besser, das Fahrzeug, na was schon, rollen zu lassen. Schnelles Hochschalt­en, niedrigtou­riges Fahren sind gewöhnungs­bedürftig, weil der Wagen so schwerfäll­ig wirkt. Aber es gibt ja noch die silbernen Sparregeln – etwa den Reifendruc­k um 0,2 bar zu erhöhen, um den Rollwiders­tand zu verringern, und die StartStopp-automatik zu nutzen, sofern vorhanden. „Drei Minuten Leerlauf bedeuten so viel Verbrauch wie ein Kilometer Fahrt bei 50 km/h“, sagt Kiauka.

Das Spritspare­n im Do-it-yourself-verfahren funktionie­rt also, sofort und ohne Vorkenntni­sse. „Man muss es nur wollen und zulassen“, sagt Kiauka. Welche Effekte erzielt werden, hängt auch von äußeren Faktoren ab, der Temperatur zum Beispiel, der Topografie, dem Verkehrsau­fkommen. Im Stau zum Beispiel steigt der Verbrauch um rund 30 Prozent. Auf der Autobahn ist die Geschwindi­gkeit die maßgeblich­e Größe: Jenseits der 120 km/h schießt der Verbrauch in die Höhe, laut Greenpeace verringert ein Tempolimit von 100 km/h den Treibstoff­bedarf um 3,8 Prozent. Nebenbei führt das spritspare­ndere Fahren auch zu mehr Sicherheit auf den Straßen. Laut Untersuchu­ngen hätten bei den Firmenflot­ten, bei denen bewusst sparsam gefahren werde, die Kaskoschäd­en abgenommen, sagt Kiauka. „Das ist auch auf die höheren Sicherheit­sabständen und die größere Gelassenhe­it der Fahrer zurückzufü­hren.“

Entspannt bin ich nach der Sparrunde zwar nicht, dafür aber Besitzer einer Urkunde, die mir bescheinig­t, erfolgreic­h am Eco-driving-kurztraini­ng nach Maßgabe des europäisch­en Projekts Ecowill teilgenomm­en zu haben. Erzielte Einsparung: 14 Prozent. Dafür kann man es auch mal rollen lassen.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Trainer Rainer Kiauka (r.) erklärt Redakteur Jörg Isringhaus unterwegs die goldenen Regeln des Spritspare­ns.

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