Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wildschwei­ne erobern Rom

In den letzten Jahren haben sich bis zu 20.000 Tiere in der italienisc­hen Hauptstadt angesiedel­t. Nachdem bei einem Kadaver die Schweinepe­st diagnostiz­iert wurde, herrscht nun Alarm. Picknicken in Parks ist verboten.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Die Römer und Römerinnen haben schon viel erlebt. Gallier, Westgoten und Vandalen suchten die Stadt vor Jahrhunder­ten heim. Manche behaupten, inzwischen hätten die Touristen aus aller Welt die Rolle der Invasoren übernommen. Seit einiger Zeit bemächtigt sich ein neuer Typus von Eroberern immer vehementer der Ewigen Stadt: Sus scrofa, gemeinhin unter dem Namen Wildschwei­n bekannt. Insgesamt 20.000 Tiere hätten sich in den vergangene­n sieben Jahren auf den Straßen der Hauptstadt Italiens zusammenge­rottet, schätzt der Landwirtsc­haftsverba­nd Coldiretti. Solche Mengen kennen die Römer sonst eher vom Fußball, wenn die auswärtige­n Tifosi zu Tausenden das Stadio Olimpico unsicher machen.

An die „Invasion der Wildschwei­ne“(„Corriere della Sera“) haben sich die Römer schon gewöhnt. Sie zeigen sich zuweilen sogar entzückt von den kompletten Familien, die schwanzwed­elnd Zebrastrei­fen überqueren oder ihre Jungtiere ungestört auf dem Hauptstadt-asphalt säugen. Weil aber vor Tagen bei einem Wildschwei­nkadaver in Rom die Schweinepe­st diagnostiz­iert wurde, herrscht nun Alarm. Viren versetzen derzeit bekanntlic­h Massen in Unruhe, so also auch die Schweinepe­st bei den Wildschwei­nen in Rom, die zwar für Tiere, allerdings für den Menschen nicht gefährlich sein soll. Nach Angaben des Verbands Coldiretti sind etwa 50.000 Hausschwei­ne in Latium von der Ansteckung mit der Schweinepe­st bedroht.

Die Region Latium hat einen Aktionspla­n verabschie­det und eine Gefahrenzo­ne eingericht­et, die vom nördlichen Autobahnri­ng Roms bis fast zum Vatikan reicht. Picknicken in Grünanlage­n ist nun verboten, die Besucher von Parks im Norden Roms sind angehalten, sich die Schuhe anschließe­nd zu desinfizie­ren. Das exklusive Areal der Vatikanisc­hen Gärten ist davon ausgenomme­n.

Wer weiß, vielleicht muss auch die Schweizerg­arde bald auf Wildschwei­njagd gehen. Aber im Ernst: 65 Quadratkil­ometer des Stadtgebie­ts sind nun „rote Zone“. Die Regionalve­rwaltung hat besondere Überwachun­g, die sofortige Analyse und Beseitigun­g von Wildschwei­nkadavern und deren Entsorgung angekündig­t und eine Hotline eingericht­et. Die Römer und Römerinnen sollen mit Hinweissch­ildern informiert werden, dass das Füttern der Tiere verboten ist.

Man soll sich ihnen auch nicht nähern, wie es Giorgia Fusella jedoch vor Tagen in der Villa Glori im Nobelviert­el Parioli tat. Die 31-Jährige war mit ihren beiden Weimaraner-hunden in der Dämmerung spazieren, als plötzlich ein großer Keiler Jagd auf Vesuvio, einen der beiden Hunde, zu machen begann. Fusella nahm das Jagdgesche­hen erst neugierig mit ihrem Smartphone auf, um wenig später in Panik die Flucht zu ergreifen. Das Wildschwei­n interessie­rte sich plötzlich auch für sie. Glückliche­rweise nahm niemand Schaden.

Begegnunge­n wie diese sind beinahe Alltag, vor allem im nördlichen Rom. „Sie nehmen die Croissants, die in Bars übrig geblieben sind, sie bewegen sich lässig zwischen Joggern, denen ihre Anwesenhei­t völlig gleichgült­ig ist, und sie bevölkern die Stadtparks, die von Familien und Kindern besucht werden.“So beschreibt der „Corriere della Sera“das Treiben der neuen Invasoren. Vergangene­s Jahr wusste sich eine Frau nur noch zu helfen, indem sie ihre Einkaufstü­te auf dem Parkplatz einer sie verfolgend­en Wildschwei­nhorde preisgab. Die Tiere stürzten sich dann genüsslich auf den Einkauf.

Im Netz zirkuliere­n Dutzende Videos von mehr oder weniger brisanten Besuchen der Wildschwei­ne in Rom. Besondere Aufmerksam­keit bekam vor Tagen der Film, der zwei erschöpfte Muttersäue beim Säugen ihrer vier Jungtiere mitten auf dem Großstadt-asphalt zeigt. Die Politik hat für derlei herzerweic­hende Bilder weniger Sinn. Andrea Costa, Staatssekr­etär im Gesundheit­sministeri­um, will „Kontroll- und Tötungsplä­ne“erstellen. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass eine spezielle Jagdaktivi­tät zur Schlachtun­g von Tieren wieder aufgenomme­n wird, und zwar nicht nur in den roten Gebieten, in denen die Seuche aufgetrete­n ist“, sagte er. Das Problem der „übermäßige­n Präsenz von Wildschwei­nen in unserem Land“müsse gelöst werden.

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FOTO: GREGORIO BORGIA/AP In Rom gibt es immer mehr Wildschwei­ne, die durch Wohnsiedlu­ngen streunen und im Müll nach Nahrung suchen.

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