Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Baerbock verspricht Aufklärung von Kriegsgräueln
Die Bundesaußenministerin zeigt in Butscha und in Kiew Solidarität mit der Ukraine, eröffnet die deutsche Botschaft wieder – und trifft den Präsidenten.
Am Mittag ist die Nachrichtensperre endlich vorbei. Annalena Baerbock ist jetzt an dem Ort, von dem der Feind vorher nicht wissen sollte, dass sie dort ankommen würde: Butscha, Vorort von Kiew. Die deutsche Außenministerin hat sich schwer bewacht auf den Weg an jenen Ort gemacht, an dem russische Streitkräfte vor ihrem Abzug ein Massaker an rund 400 Zivilisten verübt haben sollen, deren Leichen teilweise mit auf den Rücken gefesselten Händen gefunden worden waren. Baerbock ist als erstes Mitglied der Bundesregierung in dem Kriegsgebiet angekommen, in Normalzeiten keine zwei Flugstunden von Berlin entfernt.
Aber seit dem 24. Februar sind die Zeiten alles andere als normal. Baerbocks Reise in die Ukraine ist aus Sicherheitsgründen ebenso gründlich vorbereitet wie geheim gehalten worden. Medienvertreter aus Deutschland hat sie nicht mitgenommen. Schon am Vortag hatte Eu-ratspräsident Charles Michel in der ukrainischen SchwarzmeerMetropole Odessa erlebt, dass russischer Raketenbeschuss auch vor Eu-prominenz nicht haltmacht.
Die deutsche Außenministerin geht durch die Straßen von Butscha, steht zwischen zerbombten Häuserhöhlen und verspricht Aufklärung für die Gräueltaten. „Das sind wir den Opfern schuldig. Und diese Opfer, auch das spürt man hier so eindringlich, diese Opfer könnten auch wir sein.“Die Menschen hier hätten gelebt, wie viele Menschen leben: „Morgens aufstehen, einkaufen gehen.“Und dann seien sie kaltblütig ermordet worden.
Die Ministerin hört Sätze wie: „Wir haben auch solche Leichen, die wir überhaupt nicht identifizieren können.“Baerbock wird von der ukrainischen Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa begleitet, die mit ihrem Team Beweise für die vermuteten Massaker sucht. Butscha sei ein Ort, an dem „die schlimmsten Verbrechen“verübt worden seien. Dabei sei Butscha ein Ort normalen Lebens gewesen. „Ein Vorort wie Potsdam von Berlin.“
Etwas später steht Baerbock in einer anderen Trümmerlandschaft. Im schwerbeschädigten Vorort Irpin drückt sie auch ihre eigene Hilflosigkeit aus: „Sie sind ein sehr tapferes Land, und alles, was wir tun können, ist, an Ihrer Seite zu stehen.“Irpins Bürgermeister Olexander Markuschyn erzählt Baerbock von schweren Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte. Zivilisten seien erschossen, Frauen vergewaltigt, Wohnungen geplündert worden. Baerbock betritt ein völlig zerbombtes Mehrfamilienhaus in der Stadt. Sie sagt: „Außenministerin eines Landes in Frieden zu sein, ist einfach.“Pause. „Aber eine ganz andere Sache ist es, Bürgermeister im Krieg zu sein. Mein ganz großer Respekt!“
Von Irpin geht es zurück in die Stadt, wo sich die deutsche Außenministerin mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba trifft. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz stellt Baerbock dann trotz aller Solidarität klar, dass es auch für die Ukraine keinen Rabatt beim Eu-beitritt geben werde. Sie sei zuversichtlich, dass die Ukraine einen „klaren Kandidatenstatus“erhalten werde. Nur eines werde es eben nicht geben: eine Abkürzung in die EU. Aber noch eines soll die Welt wissen: Deutschland reduziere seine Abhängigkeit von russischer Energie auf null – „für immer“.
Am Nachmittag dann ein sichtbares Zeichen an die Ukrainer, aber auch an die Welt, dass Deutschland wieder einen festen Posten in der Hauptstadt hat. Baerbock eröffnet in Kiew die deutsche Botschaft wieder, die wegen des Kriegsausbruchs geschlossen worden war. Einen Tag nach dem russischen Angriff waren letzte Mitarbeiter nach Polen ausgereist und hatten dann teils von dort und teils von Berlin aus die diplomatischen Geschäfte weiterbetrieben.
Und auch Präsident Wolodymyr Selenskyj empfängt Baerbock und dankt ihr für die deutsche Unterstützung. Es sei von großem Wert, dass sich Deutschland solidarisch zeige, sagt Selenskyj einem von der Präsidialverwaltung veröffentlichten Video zufolge.