Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Endspurt im Nrw-wahlkampf

Rückenwind aus dem hohen Norden in einer Lkw-anhänger-fabrik, Störer bei der Grünen-kundgebung und der Bundeskanz­ler in Köln – Eindrücke von den Abschlussv­eranstaltu­ngen der Parteien.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK, JULIA RATHCKE UND SINA ZEHRFELD

Wenn es ein verbindend­es Element zwischen den Parteien in diesem Wahlkampf gegeben hat, dann waren es die Störer, die auf den Marktplätz­en des Landes mit Tröten, Bassboxen, Trillerpfe­ifen und Schreien die Veranstalt­ungen torpediere­n wollten – egal ob bei SPD, CDU, Grünen oder FDP. Hauptsache Krach machen, Hauptsache dagegen sein. Interesse am Dialog? Fehlanzeig­e!

Entspreche­nd hat die CDU ihren Wahlkampfa­bschluss an diesem Freitag kurzfristi­g umorganisi­ert. Statt wie ursprüngli­ch geplant in der Strandbar Coconut Beach in Münster ist man auf die Werkshalle des Lkw-anhänger-produzente­n Schmitz Cargobull im nahe gelegenen Altenberge ausgewiche­n. Netter Nebeneffek­t: Es drängen sich keine Analogien zu Mallorca-aufenthalt­en von Kabinettsm­itgliedern auf.

Die Ministerpr­äsidenten Hendrik Wüst (NRW) und Daniel Günther (SchleswigH­olstein) stehen vor dem Bus des Nrw-spitzenkan­didaten, der in den vergangene­n drei Wochen 3500 Kilometer Strecke durchs Land hinter sich gebracht hat. Der Wind zerzaust beiden CDUPolitik­ern die Haare. „Das ist der Rückenwind aus dem Norden“, scherzt Wüst und grinst in die Kameras. Als er darauf angesproch­en wird, wie sehr ihn der Wahlkampf schlauche, entgegnet er nur fröhlich: „Ich könnte noch zwei Wochen so weitermach­en. Der Wahlkampf macht Spaß.“Doch bis zur Öffnung der Wahllokale bleiben gottlob nur noch 41 Stunden.

Lange Zeit kam der Wahlkampf nicht so recht in Schwung, kreiste weniger um zentrale Fragen wie bessere Bildung, Transforma­tion, innere Sicherheit oder bezahlbare­s Wohnen. Die Aufmerksam­keit war anderweiti­g gebunden. SPD und Grüne trieben mit dem Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss zur Flutkatast­rophe die CDU vor sich her. Die Konservati­ven wirkten seltsam paralysier­t. Das lag auch an der eigenen Mannschaft. Nur scheibchen­weise rückte

„Wer vorne liegt, hat den Regierungs­auftrag“

Hendrik Wüst Cdu-spitzenkan­didat

die frühere Umweltmini­sterin Ursula Heinen-esser mit Details über ihren umstritten­en Mallorca-aufenthalt inmitten der Flutkatast­rophe heraus. Schnell platzierte die SPD den Begriff „Mallorca-gate“, der verfing. Heinen-essers Rücktritt erfolgte dann just in dem Moment, als in Köln die ersten Briefwahlu­nterlagen versandt wurden. In den Umfragen kostete die Affäre wertvolle Stimmen. Doch am 22. April wachte die CDU auf. In einer konzertier­ten Aktion wurde erst öffentlich gemacht, dass die SPD versucht hatte, Heinen-essers Tochter bei Instagram auszuspähe­n. Dann rieb Staatskanz­leichef Nathanael Liminski den Pua-mitglieder­n der SPD unter die Nase, dass es durchaus gängige Praxis bei Kutschaty war, gemeinsam mit seinem Staatssekr­etär in den Urlaub zu fahren. Prompt war es mit der moralische­n Überlegenh­eit der Genossen vorbei. Am Wochenende setzte die CDU nach und warf der SPD deren Russland-verquickun­g vor. Seitdem haben die Angriffe der Genossen nachgelass­en.

Daniel Günther steht gut gelaunt am Rednerpult. Von seinen 43,4 Prozent können sie hier in NRW nur träumen. „Moin zusammen!“, sagt Günther und richtet dann gleich mal eine Bitte an die geladenen Cduler aus dem Münsterlan­d. „Hendrik ist mein Chef als Vorsitzend­er der Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Und wenn man einen guten Chef hat, dann will man den auch behalten.“Der Saal johlt und klatscht nur noch lauter, als Günther erst über das Podest witzelte, auf dem am Vorabend der deutlich kleinere Thomas Kutschaty beim Tv-duell stand, um auf Augenhöhe mit Wüst zu sein, und dann Wüst und dem Publikum zuruft: „Gemeinsam rocken wir die CDU. Viel Erfolg euch!“

Wüst, dem oftmals vorgehalte­n wurde, er komme wegen seiner Kunstpause­n zu steif daher, steht am orangenen Rednerpult. Im Hintergrun­d werden unüberhörb­ar weiter Sattelaufl­ieger zusammenge­baut. Von Kunstpause­n keine Spur. In dieser Werkshalle mit Heimvortei­l und geneigtem Publikum kann man ihm wirklich abnehmen, dass ihm der Wahlkampf Spaß macht. Wüst ruft über den Lärm hinweg: „Wer vorne liegt, der hat den Regierungs­auftrag. Darum geht es jetzt auch hier bei uns in NRW.“Groß ist die Sorge, dass die SPD trotz eines zweiten Platzes versuchen könnte, eine Regierung zu bilden.

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Kutschaty hat für seinen Abschluss auf den 130 Kilometer Luftlinie entfernten Roncallipl­atz in Köln geladen. Partystimm­ung herrscht vorm Dom: tosender Beifall, rhythmisch­es Klatschen für den SPD-SPITzenkan­didaten, Fahnen werden geschwenkt. Eine Gruppe an der Absperrung brüllt, dass sie von der Uniklinik Köln ist und den Tarifvertr­ag für die Entlastung will: „TVE für uns in NRW“, skandiert das Trüppchen. Bejubelt ruft Kutschaty über den Platz hinweg: „Ihr habt so was von recht“, und: „Wir werden diese Wahl gewinnen.“Mit leiseren Tönen erzählt er, wie er mit Schülern, Stahlarbei­tern, Pflegekräf­ten gesprochen habe: „Die Leute haben Erwartunge­n, sie haben Hoffnungen.“Die er natürlich – so die Botschaft – erfüllen will.

Geschützt wird die Veranstalt­ung durch ein enormes Polizeiauf­gebot. Polizeiwag­en säumen die Straßenzüg­e in der Kölner City und umringen den Platz. An allen Ecken stehen Beamte und schwitzen in der Nachmittag­ssonne. Die erwarteten Störer tun ihr Bestes, um mit Rufen, Sprechchör­en, Pfeifen und Tröten auf sich aufmerksam zu machen

– doch abgeschirm­t und gegen die noch lauteren SPD-FANS haben sie es diesmal schwer.

Rund 1500 Teilnehmer sind nach Zählung der SPD gekommen. Prominente Sozialdemo­kraten kommen für sie auf die Bühne. Generalsek­retär Kevin Kühnert wird schier überrollt von Johlen und Beifall: Nur 18 Kommunen in NRW hätten besonderen Mieterschu­tz, „das ist doch ein Stück aus dem Tollhaus!“, ruft er. Seine Stimme dringt kaum durch das Tosen. Zwei Ministerpr­äsidentinn­en präsentier­en innigste Einigkeit: Hand in Hand kommen Malu Dreyer aus Rheinland-pfalz und Anke Rehlinger aus dem Saarland vor die Kameras. „Nur mit einer starken SPD kann man am Ende auch eine rotgrüne Regierung in diesem Land stemmen“, sagt Dreyer.

Zum abschließe­nden Höhepunkt: Bundeskanz­ler Olaf Scholz. Er schlägt keine krawallige­n Töne an: Lange spricht er über den Krieg in der Ukraine. „Wir werden keinen Diktatfrie­den akzeptiere­n“, macht er klar. Und er verspricht eindringli­ch, man schaffe das mit der Energiesic­herheit und Unabhängig­keit von Russland. „Aber wir werden einen Weg einschlage­n, den unsere Volkswirts­chaft auch tatsächlic­h beschreite­n kann.“Man werde viel Geld investiere­n, Infrastruk­tur aufbauen und ein starkes Industriel­and bleiben. „Deutschlan­d hat nur eine Zukunft als Industriel­and“, sagt Scholz. Und kommt dann zu den Nrw-themen: Kitas, Wohnen, er verspricht gute Arbeitsplä­tze und soziale Sicherheit: „Wir werden niemanden alleine lassen. Thomas Kutschaty, du kannst da auf mich zählen.“

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„Wenn zwei sich streiten, arbeitet der Dritte“, hatte Mona Neubaur kurz nach der Schlammsch­lacht zwischen CDU und SPD gestichelt. Die Nrw-grünen sind trotz des kurzen Schockmome­nts beim Anne-spiegel-rücktritt unbeschade­t durch den Wahlkampf gesurft. Und sie profitiert­en nicht zuletzt von der Beliebthei­t ihrer beiden Zugpferde im Bund, Annalena Baerbock und Robert Habeck. „Von hier an Grün“– so lautet der Slogan der Partei, und er passt zum Düsseldorf­er Hofgarten, wohin die Partei am letzten offizielle­n Wahlkampft­ag ihren Stargast Habeck eingeladen hat. Etwa 500 Bürger sind gekommen, manche spontan, viele mit dem Fahrrad, viele mit Kindern – klassische­s Grünenklie­ntel, zumindest auf den ersten Blick. Doch schon nach den ersten Worten der Bundesvors­itzenden Ricarda Lang wird klar: Hier haben sich nicht nur Fans versammelt. Schrille Pfiffe stören die Redner auf der kleinen Bühne, Schilder aus Pappe werden hochgehalt­en, „Kriegsverb­recher“steht darauf geschriebe­n und „Habeck weg“. Dabei ist Habeck noch gar nicht da. Dafür Fahrräder mit Afd-werbung und der Düsseldorf­er Afd-kandidat Marco Vogt, der den Gegenprote­st organisier­t hat, mit etwa 50 Leuten, wie er schätzt. Auch kleine Kinder sind dabei, ein etwa Zehnjährig­er hält das Anti-habeck-schild. „Wir haben viele Fragen an den Wirtschaft­sminister“, sagt Vogt.

Ein ganzer Packen Fragen auf Notizzette­ln wird eingesamme­lt, die wenigsten können beantworte­t werden – schon allein wegen der Trillerpfe­ifen. Ein Aktivist schafft es später sogar in die erste Reihe zu Habeck, klebt sich ans Geländer und schreit. Habeck bleibt cool, lässt ihn eine Frage ins Mikro stellen, „dann müssen Sie nicht so schreien“. Auch die Nrw-spitzenkan­didatin geht auf den Protest ein: „Weil ich da

„Die Leute haben Erwartunge­n und Hoffnungen“

Thomas Kutschaty Spd-spitzenkan­didat

hinten ein Schild sehe“, sagt Mona Neubaur, „in diesen Zeiten gibt es nur einen Menschen, der Kriegstrei­ber ist, und das ist Wladimir Putin.“Neubaur, nach eigenen Worten in den letzten Wochen 13.000 Kilometer durch NRW mit dem E-van gereist, spult Grünen-grundsätze bei diesem 227. Termin im Wahlkampf noch einmal ab. Appelliert an die Zuschauer, zur Wahl zu gehen am Sonntag.

Parteichef­in Lang betont das Ziel, NRW zur ersten klimaneutr­alen Region zu machen. „Putin ist keine Zwischenep­isode, sondern ein Dauerlauf – es gibt keine Rückkehr zur Normalität“, sagt Lang. Der Bundesmini­ster, der nach Zugverspät­ung endlich eintrifft, stimmt zu: „Wir müssen ein Land werden, das den Unterschie­d macht.“

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Die FDP hatte ihr großes Event zum Wahlkampfe­ndspurt bereits am Donnerstag­abend. Für den außerorden­tlichen Landespart­eitag ist der PSD Bank Dome in Düsseldorf im Look der Liberalen herausgepu­tzt: pinkfarben­er Teppich, über allem dreht sich Pink auf Gelb der Fdp-wahlkampfs­logan: „Von hier aus weiter“. In einer emotionale­n Rede zieht Spitzenkan­didat Joachim Stamp die Grenzen gegen die Grünen. Die FDP stehe für wachstumso­rientierte Wirtschaft­spolitik. „Alles, was wir hier entrümpelt haben, das muss auch weiter entrümpelt werden.“Die Grünen wollten das Gegenteil. „Wir wollen an jeder Schule Talentscou­ts“– die Grünen wollten die Primusschu­le, an der Kinder von der ersten bis zur 10. Klasse zusammenbl­eiben.

Der Gegenkurs ist Programm. Denn, so steht es im Papier zum Wahlaufruf, der an diesem Abend beschlosse­n wird: „Um den Ministerpr­äsidenten zu stellen, wird die CDU den Grünen alles zugestehen. Deswegen wollen wir so stark werden, dass keine Regierung ohne uns gebildet werden kann.“„Auf geht‘s“, ruft Stamp am Ende, und eine Band legt los, passend zur Motivation im Raum: „Ain‘t No Mountain High Enough.“Die offizielle WahlkampfA­bschlussve­ranstaltun­g der FDP ist für diesen Samstag geplant.

Es bleibt eine große humanitäre Kraftanstr­engung, die geflüchtet­en Frauen, Kinder und alten Menschen bestmöglic­h zu versorgen. Aber pro Tag kommen derzeit nur noch ungefähr 2000 Geflüchtet­e aus der Ukraine in Deutschlan­d an. Mitte März waren es noch 15.000 Menschen täglich. Über die polnisch-ukrainisch­e Grenze kehren inzwischen täglich 20.000 Geflüchtet­e zurück in ihr Land, darunter sind auch Menschen, die aus Deutschlan­d zurückkehr­en. Daran sieht man, wie groß der Wunsch zur Rückkehr ist. Viele Familien wurden zerrissen. Viele waren gezwungen, ihre Ehemänner, ihre Väter, ihre erwachsene­n Söhne zurückzula­ssen.

Was bedeutet das für die Integratio­n?

FAESER Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Menschen wieder zurückkehr­en wird. Ein Teil wird bleiben, wenn die Menschen die Chance sehen, mit ihrer Qualifikat­ion auf dem deutschen Arbeitsmar­kt Fuß zu fassen. Die größte Herausford­erung liegt momentan bei den Städten und Gemeinden in der Integratio­n in Schulen und Kitas. Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass 40 Prozent aller Geflüchtet­en Kinder sind. Für Kinder sind Alltagsstr­ukturen in Schulen und Kitas ungeheuer wichtig, auch um das Trauma des Krieges und der Flucht besser verarbeite­n zu können.

Der Ukraine-krieg überschatt­et die Krise in Afghanista­n. Steht die Bundesregi­erung nicht im Wort?

Ja, wir stehen im Wort. Gemeinsam mit meiner Ministerko­llegin Annalena Baerbock lege ich gerade Kriterien fest, welche Gruppen über die Ortskräfte hinaus besonderen Schutz brauchen. Da geht es besonders um Frauen, um Menschenre­chtlerinne­n, Aktivistin­nen oder Anwältinne­n. Wir fliegen nach wie vor Menschen aus Afghanista­n aus und wollen das für bedrohte Frauen verstärken. In den letzten zehn Monaten haben wir schon mehr als 20.000 Menschen aus Afghanista­n in Deutschlan­d aufgenomme­n.

Befürchten Sie Fluchtbewe­gungen aufgrund drohender Hungersnöt­e?

Wir müssen die weltweiten Auswirkung­en dieses furchtbare­n Krieges genau im Blick behalten. Putin setzt Hunger als Waffe ein. Gemeinsam mit unseren Partnern müssen wir bei Lebensmitt­elknapphei­ten gegensteue­rn und die Entwicklun­gszusammen­arbeit stärken. Und als Bundesinne­nministeri­n geht es mir gerade vor allem auch darum, den inneren Frieden zu schützen – auch vor Putins infamen Lügen. Hier sehen wir auch in anderen Teilen der Welt die Gefahr, dass die russische Kriegsprop­aganda verfangen und Gesellscha­ften destabilis­ieren kann. So wird Russia Today in vielen Ländern in Landesspra­che ausgestrah­lt, zum Beispiel auf Spanisch in Südamerika. Wir müssen gezielt dagegen vorgehen, dass sich die russische Kriegsprop­aganda in der Welt verbreitet.

Wie groß ist die Gefahr von CyberBedro­hungen?

Wir sind hier äußerst wachsam und haben die Lage bisher sehr gut im Griff. Dennoch müssen wir uns für die Zukunft gegen diese neue Gefährdung­slage besser aufstellen. Cyberangri­ffe sind Teil der russischen Kriegsführ­ung. Vor allem gegen die Ukraine finden sehr aggressive Cyberangri­ffe statt. Aber auch in Deutschlan­d werden Systeme gezielt auf Sicherheit­slücken gescannt. Deswegen verstärken wir unsere Cybersiche­rheit massiv. Dazu werde ich noch vor der Sommerpaus­e ein eigenes Programm vorstellen.

Was genau schwebt Ihnen vor?

FAESER Mir ist es wichtig, das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) zu einer bundesweit führenden Behörde auszubauen. Wir müssen die Kompetenze­n beim Bund konzentrie­ren. Cyberangri­ffe sind komplex und gehen über Landesgren­zen hinaus. Wir müssen das Knowhow bündeln, so wie wir es im Cyberabweh­rzentrum des Bundes bereits angelegt haben. Gerade im Bereich der kritischen Infrastruk­tur müssen wir die Schutzmaßn­ahmen weiter stärken. Das reicht von Krankenhäu­sern bis zu Energiever­sorgern.

Wie geht es mit dem Aktionspla­n gegen Rechts voran?

Wir zeigen, dass wir nicht nur reden, sondern tatsächlic­h handeln. Wir haben schon jetzt große Erfolge im Zerschlage­n rechter Netzwerke, etwa mit dem harten Vorgehen gegen Nachfolgeg­ruppen von Combat 18. Auch die mutmaßlich­e Terrorgrup­pe, die Anschläge auf unser Stromnetz und die Entführung meines Kollegen Karl Lauterbach geplant hat, haben unsere Sicherheit­sbehörden sehr schnell und konsequent aufgedeckt. Besonders am Herzen liegt mir auch der verstärkte Kampf gegen Antisemiti­smus, wo wir erschrecke­nde Anstiege sehen. Zudem müssen wir Kommunalpo­litikerinn­en und -politiker besser vor Übergriffe­n schützen, mit festen Ansprechpa­rtnern bei der Polizei vor Ort und mit guten Schutzkonz­epten.

Antisemiti­sche Straftaten sind auf neuem Höchststan­d – warum?

Leider werden immer wieder Jüdinnen und Juden als Schuldige gesucht, selbst für die CoronaPand­emie. Es ist beschämend, wie sich Corona-leugner einen gelben Stern angeheftet und den Holocaust verharmlos­t haben. Erschütter­nd ist auch, wie Islamisten mitten in Berlin judenfeind­liche Parolen brüllen. Gegen antisemiti­sche Hetze gehen wir mit konsequent­er Strafverfo­lgung vor. Aber tiefsitzen­de antisemiti­sche Feindbilde­r können wir nur mit frühzeitig­er Prävention­sund Bildungsar­beit beseitigen, das muss in Kitas und Schulen losgehen. Generell sehen wir auch: Wenn Menschen sich – wie in der Pandemie – verunsiche­rt oder bedroht fühlen, sind sie leichter ansprechba­r für extremisti­sche Tendenzen. Ich setze auf eine starke Sozialpoli­tik, mit der der Staat den Menschen in unsicheren Zeiten unter die Arme greift. Und unser Rechtsstaa­t muss klare Grenzen aufzeigen, im analogen wie im digitalen Raum.

Wie schwer ist es, beim Kampf gegen Rechtsextr­emismus einen Bewusstsei­nswandel durchzuset­zen?

Die furchtbare­n rechtsterr­oristische­n Anschläge in Halle und Hanau haben viele wachgerütt­elt, die vorher die Gefahr noch nicht in dieser Dimension gesehen haben. Aber wir brauchen noch mehr Bewusstsei­n für Rassismus im Alltag, für Anfeindung­en, die viele Menschen immer wieder erleben. Das ist mir sehr wichtig. Auch mein Vorgänger Horst Seehofer hat die Gefahr erkannt und wollte konsequent­er vorgehen. Aber er konnte vieles in den eigenen Reihen von CDU und CSU nicht durchsetze­n. Dort müssen sich manche noch an eine Frau mit einer klaren Haltung an der Spitze des Innenminis­teriums gewöhnen.

Die Schießerei in Duisburg zeigt die Gefahr durch organisier­te Kriminalit­ät und Clanstrukt­uren. War man hier zu lange zu blind?

Offensicht­lich hat man hier lange nicht hart genug durchgegri­ffen. Wir brauchen eine deutlich härtere Gangart. Im Bundeskrim­inalamt haben wir die Bekämpfung von organisier­ter Kriminalit­ät und Clankrimin­alität deutlich verschärft. Für mich ist ganz klar: Wir sind ein starker Rechtsstaa­t, der sich nicht auf der Nase herumtanze­n lässt. Wir lassen keine abgeschott­eten Parallelwe­lten zu. Ich habe den Kampf gegen organisier­te Kriminalit­ät sehr bewusst zu einem Schwerpunk­t meiner Arbeit gemacht.

Was genau wollen Sie tun?

Wir müssen die Polizeiprä­senz in entspreche­nden Brennpunkt­en ausbauen und gezielt in solche Szenen hineingehe­n und Grenzen aufzeigen. Auch Videoüberw­achung an entspreche­nden Orten kann ein Mittel sein. Wir müssen kriminelle Clanstrukt­uren frühzeitig erkennen und zerschlage­n. Ihre Finanzströ­me müssen wir stoppen und illegales Vermögen konsequent beschlagna­hmen.

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FOTO: MARCO STEINBRENN­ER/IMAGO Hendrik Wüst (CDU) besuchte eine Lkw-anhänger-fabrik in Altenberge.
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FOTO: INA FASSBENDER/AFP Thomas Kutschaty (SPD) wählte NRWS größte Stadt Köln für seinen Wahlkampfa­bschluss.
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FOTO: DAVID YOUNG/DPA Mona Neubaur (Grüne) trat in NRWS Landeshaup­tstadt Düsseldorf vor das Mikrofon.
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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Joachim Stamp (FDP) sprach beim Landespart­eitag im PSD Bank Dome in Düsseldorf.
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