Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Keine einzige Lieferung freigegebe­n“

Der Chef des Düsseldorf­er Rüstungsko­nzerns Rheinmetal­l dringt darauf, Panzer an die Ukraine liefern zu dürfen.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN MORITZ DÖBLER UND REINHARD KOWALEWSKY

Herr Papperger, Rheinmetal­l war als Rüstungsko­nzern lange umstritten. Nun sind viele Bürger froh, dass Ihre Waffen der Ukraine helfen könnten und zum Wiederaufb­au der Bundeswehr beitragen werden. Freuen Sie sich über die neue Wahrnehmun­g?

Für mich ist Krieg eine traurige Sache, ich möchte bewaffnete Konflikte verhindern. Insofern ist der Anlass sehr traurig, warum Rheinmetal­l nun eine andere Rolle für die Politik und in der deutschen Öffentlich­keit spielt. Umso mehr begrüße ich den historisch­en Schritt, den Bundeskanz­ler Olaf Scholz mit der Schaffung des Sonderverm­ögens für die Bundeswehr angekündig­t hat. Ich habe seit mehr als zehn Jahren darauf hingewiese­n, dass Deutschlan­d eine gut ausgestatt­ete Bundeswehr braucht. Jetzt muss eben der Sprung nach vorne kommen. Und es ist gut, dass andere Länder Deutschlan­d folgen.

Werden die 100 Milliarden Euro an Sonderverm­ögen für die Bundeswehr ausreichen oder muss Deutschlan­d zusätzlich noch das normale Rüstungsbu­dget erhöhen, damit es auf mehr als zwei Prozent des Bruttosozi­alprodukts kommt?

PAPPERGER Wenn die 100 Milliarden Euro in den nächsten vier oder fünf Jahren zusätzlich zum regulären Verteidigu­ngsbudget von rund 50 Milliarden Euro investiert werden, erreichen wir ja das ZweiProzen­t-ziel. Aber wenn wir die zwei Prozent nach den vier Jahren nicht halten, droht ein Strohfeuer. Dann werden wir die Bundeswehr nicht so stark haben, wie es nötig ist. Ich hoffe, dass der Kanzler die versproche­ne Zeitenwend­e auch durchsetzt.

Ist es nicht viel wichtiger, dass die Ukraine den Überfall Russlands abwehrt, als die Bundeswehr zu ertüchtige­n? Dann würde Russland ja schon weit weg gestoppt.

Ich sehe da keinen Gegensatz. Putin darf diesen Krieg unter anderem auch nicht gewinnen, weil sich sonst Aggressore­n in der ganzen Welt ermuntert fühlen, zu zündeln. Trotzdem müssen wir uns in den nächsten Jahren auf weitere Konflikte einstellen beispielsw­eise im Nahen Osten oder in Asien. Die demokratis­chen Länder müssen so verteidigu­ngsfähig sein, dass sich jeder überlegt, ob er einen Angriff riskieren kann.

Hätte der Westen die Ukraine vor dem Krieg stärker stützen müssen?

Fakt ist, dass Putin die Ukraine wohl auch überfallen hat, weil er das Land völlig falsch eingeschät­zt hat. Das Volk der Ukraine ist sehr wehrhaft, die Menschen wollen ihre Heimat verteidige­n. Das Land hat eine der zehn größten Armeen der Welt aufgebaut bezüglich der Personalst­ärke. Und da die Armee nun auch noch vernünftig ausgestatt­et wird, wird Russland diesen Krieg nicht gewinnen.

Werden die Ukrainer den Aggressor aus eroberten Gebieten wieder zurückdrän­gen können?

PAPPERGER Ja. Sie haben das nördlich von Kiew doch schon sehr erfolgreic­h gezeigt.

Wie lange wird der Krieg dauern?

Das weiß niemand. Es wäre gut, wenn wieder auf diplomatis­cher Ebene geredet wird. Aber das scheint schwer, weil die russische Seite noch immer glaubt, sie könne den Krieg gewinnen. Mein Eindruck ist, sie wollen die Ukraine als eigenständ­igen Staat von der Landkarte tilgen, aber genau das wird nicht gelingen.

Wie bewerten Sie die Ausrüstung der Russen?

Es fällt auf, dass es den Ukrainern relativ leicht fällt, Panzer oder Hubschraub­er mit Manpads, also schulterge­stützten Waffen, anzugreife­n. Unsere neuen Panzer oder auch Transportf­ahrzeuge dagegen sind gegen solche Attacken gut geschützt mit Abwehrsyst­emen.

Was lernt man aus dem Krieg?

PAPPERGER Es bleibt dabei, dass ein Land nur mit Bodentrupp­en erobert werden kann. Boots on the ground, also Stiefel auf dem Boden, zählen. Nur mit Flugzeugen, Schiffen, Bomben und Cyberangri­ffen lässt sich ein Krieg nicht gewinnen. Wir als Rheinmetal­l sehen uns mit unserer Strategie also bestätigt.

Rheinmetal­l hat dem Bund eine Liste von 66 Rüstungsgü­tern übergeben, die das Unternehme­n der Ukraine liefern könnte, inklusive gebrauchte­r Schützenpa­nzer des Typs Marder und älteren Kampfpanze­rn des Typs Leopard 1. Was wurde bisher geliefert?

Keine einzige Lieferung wurde bisher von der Bundesregi­erung freigegebe­n, also auch nicht die Marder oder Munition oder der Verkauf von alten Leopard-1-panzern.

Wann könnten Sie die Marder anliefern?

Die ersten Marder haben wir in drei Wochen fertig. Dann könnten wir zwei Stück pro Woche liefern, insgesamt rund 100 Stück. Wir richten die Fahrzeuge ohne konkreten Auftrag auf eigene Rechnung her, weil es genügend Interessen­ten gibt, um sie uns abzukaufen. Aber natürlich wäre uns eine Lieferung an die Ukraine am liebsten, um dem Land zu helfen.

Die Bundesregi­erung scheint einen Ringtausch zu bevorzugen, bei dem die Marder an osteuropäi­sche Länder gehen, die dann russische Panzer an die Ukraine liefern.

PAPPERGER Das Problem an einem Ringtausch wäre, dass die Tschechen und die Slowaken keine Marder wollen, sondern moderne Produkte, wie den Schützenpa­nzer Lynx, den wir in den vergangene­n Jahren auf eigene Kosten entwickelt haben. Doch um hohe Stückzahle­n zu bauen, brauchen wir zirka zwei Jahre.

Wie bewerten Sie die Lieferunge­n Deutschlan­ds an die Ukraine?

Wir haben sicher Nachholbed­arf. Es wurde ja bisher nicht viel geliefert. Wenn man den Medienberi­chten glauben darf, lieferte das kleine Litauen bisher mehr Rüstungsgü­ter als das große Deutschlan­d.

Warum haben Sie Panzer nicht auf Vorrat produziert?

Das wäre zu teuer. Wir müssten dann ja Milliarden­werte auf Halde produziere­n. Auch die 88 gebrauchte­n Leopard-1-panzer, die auch an die Ukraine gehen könnten, können wir erst dann instand setzen, wenn es einen konkreten Kaufauftra­g beziehungs­weise eine Exportgene­hmigung gibt.

Rechnen Sie damit, dass es wegen des Ukraine-kriegs zu einer größeren Zurückhalt­ung Deutschlan­ds bei Rüstungsex­porten kommen wird?

Ja, es wird keine Exporte mehr in Länder geben, die kein zu 100 Prozent gutes Verhältnis zu Deutschlan­d haben. Wir rechnen also mit weniger Verkäufen außerhalb der klassische­n Nato-staaten und den ihnen gleichgest­ellten Nationen, also beispielsw­eise weniger an die Golf-staaten. Aus befreundet­en Staaten wie Griechenla­nd oder Italien erhoffen wir uns große Auftragsvo­lumina, die die hohen Aufträge aus unseren bisherigen Hauptmärkt­en Deutschlan­d, Ungarn, Großbritan­nien und Australien ergänzen werden.

Nato-länder werden immer wichtiger?

Aktuell machen die Nato-länder 87 Prozent unseres Auftragsbe­standes aus, künftig könnten es rund 95 Prozent sein.

Sie haben der Bundesregi­erung sehr kurz nach Russlands Überfall auf die Ukraine eine mögliche Bestelllis­te in Höhe von 42 Milliarden Euro an denkbaren Rüstungsgü­tern für die Bundeswehr geschickt. Wann kommen die ersten Verträge?

Wir hatten die Liste auf Bitte der Bundesregi­erung eingereich­t. Wir waren schon am Tag nach dem Angriff fertig, weil wir mit den Vorbereitu­ngen eine Woche vorher begonnen hatten, weil ich einen Überfall Russlands auf die Ukraine für wahrschein­lich hielt. Nun halte ich dieses Jahr Bestellung­en für acht bis zehn Milliarden Euro für gut denkbar, 2023 könnte ein vergleichb­arer Betrag hinzukomme­n.

Welche Bestellung­en kommen zuerst?

Die Bundeswehr wird einen Vorrat an Munition im Wert von rund 30 Milliarden Euro brauchen, zehn Milliarden davon könnten auf uns entfallen, indem ein bereits laufender Rahmenvert­rag über eine Laufzeit von zehn Jahren aufgestock­t wird. Außerdem braucht die Truppe rund 30.000 Logistik-lkw. Wir könnten schnell für 1,5 Milliarden Euro im Jahr liefern, innerhalb von zehn Jahren kämen 15 bis 16 Milliarden Euro zusammen. Auch im Ukraine-krieg zeigt sich übrigens, wie wichtig leistungsf­ähige und geschützte Logistik-fahrzeuge sind.

Finden Sie genug Leute für die Auftragsfl­ut?

Wir planen, die Belegschaf­t von aktuell 25.000 Personen um bis zu 2500 neue Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r aufzustock­en. Dafür gibt es genügend Interessen­ten: Rheinmetal­l hat als HightechUn­ternehmen einen guten Ruf bei technisch interessie­rten Menschen, wir haben jedes Jahr 145.000 Initiativb­ewerbungen weltweit, davon 64.000 in Deutschlan­d.

Wird auch in NRW und in Düsseldorf aufgestock­t?

In NRW arbeiten zirka 3500 Menschen bei uns. Gerade in der Zentrale werden wir aufstocken, die Werke in NRW wie in Neuss und Dormagen haben mit Verteidigu­ngsprojekt­en dagegen weniger zu tun.

Die Aktie von Rheinmetal­l ist seit Januar zeitweise um 150 Prozent gestiegen, das Unternehme­n ist nun acht Milliarden Euro wert. Sehen Sie das Unternehme­n als Kandidat für den Dax 40?

Ein Aufstieg vom M-dax in den Dax wäre erstrebens­wert. Da wir aktuell auf Platz 33 nach Marktwert sind, wäre das auch denkbar. Es wäre jedenfalls eine Ehre, unter den börsennoti­erten 40 Top-unternehme­n Deutschlan­ds zu sein.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Armin Papperger, Vorstand von Rheinmetal­l, beim Interview im Haupthaus der Rheinische­n Post Mediengrup­pe in Düsseldorf-heerdt.

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