Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Solida soll Pillen der Zukunft herstellen
Beim Richtfest für die neue Bayer-fabrik kündigt Kanzler Scholz Entlastungen für energieintensive Unternehmen an.
Gegenwind erleben sie gerade beide – der eine in Umfragen, der andere wegen der ungelösten Glyphosat-krise. Vielleicht stimmt auch deshalb die Chemie zwischen Olaf Scholz und Werner Baumann. Gemeinsam feierten Kanzler und Bayer-chef das Richtfest für die neue Tablettenfabrik in Leverkusen, die den klangvollen Namen Solida 1 trägt. „Sicher fiebern Sie dem Wochenende entgegen“, meinte Baumann zum Kanzler – und dachte dabei nicht an die NRW-WAHL, sondern an den letzten Spieltag der Bundesliga, der darüber entscheidet, ob Scholz‘ Lieblingsverein HSV in die Erste Liga aufsteigt. Die Werkself spiele jedenfalls gerne gegen den HSV, sagte Baumann und erinnerte an mehrere 5:0-Siege für Leverkusen.
Für Scholz ein angenehmer Termin und für Bayer ein wichtiger Tag: Der Konzern investiert 275 Millionen Euro in die Fabrik, die ab 2024 Feststoff-arznei herstellen soll – Tabletten also, die in der Branche Solida heißen. Konkret geht es um Medikamente zur Behandlung von Krebsund Herz-kreislauf-erkrankungen. „Solida 1 wird eine der modernsten Arzneimittel-produktionsanlagen der Welt und eine lernende Fabrik“, kündigte Baumann an. Autonome Flurförderfahrzeuge transportieren Rohstoffe und Produkte. Roboter wuchten die Chemikalien in die Maschinen. Und die Beschäftigten arbeiten mit „Augmented Reality“Brillen, die ihnen direkt an ihrem Arbeitsplatz allerlei Daten vor die Augen spielen. So sollen die Mitarbeiter erfahren, wo bald Reparaturen nötig und wo Verbesserungen möglich sind. Den Energiebedarf deckt die Fabrik weitgehend durch eine Geothermie-anlage. Dadurch könne der Ausstoß an Kohlendioxid um 70 Prozent gegenüber herkömmlichen Anlagen reduziert werden, so Baumann. „Die Anlage setzt in puncto Digitalisierung und Effizienz Maßstäbe.“
„Die Investition beweist großes Vertrauen in den Standort Leverkusen und in die Region als Zentrum der Chemie- und Pharmaindustrie. Projekte wie diese sind entscheidend dafür, dass Deutschland auch im 21. Jahrhundert wirtschaftlich und technologisch zu den globalen Spitzenreitern gehört“, sagte der Kanzler. Als Chemieunternehmen sei Bayer an heftige Reaktionen unter höchstem Energieeinsatz gewöhnt. Seit dem 24. Februar, der Tag, an dem Russland die Ukraine angegriffen hat, gelte das umso mehr. „Der Krieg markiert eine Zeitenwende. Nun geht es auch um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes“, so der Kanzler. Deutschland wolle seine Abhängigkeit von Russland bei Öl, Kohle und Gas schnellstmöglich reduzieren. „Wir haben uns schwimmende Lng-terminals gesichert und werden schneller beim Ausbau der Infrastruktur.“Die Chemieindustrie ist auf Gas mehr als andere Branchen angewiesen – sie braucht es als Energieträger und Rohstoff. Der Verband der chemischen Industrie hält ein Embargo frühestens Mitte 2024 für verkraftbar.
Zugleich kündigte Scholz Erleichterungen für die deutsche Chemieindustrie an: „Wir bauen Bürokratie ab, um die Arzneimittelproduktion zu stärken. Wir halbieren die Dauer von Genehmigungsverfahren. Wir bauen die erneuerbaren Energien aus.“Und er kündigte Entlastungen für alle energieintensiven Unternehmen in Deutschland an: „Wir lassen die Unternehmen mit den steigenden Energiekosten nicht allein. Mit Zuschüssen und Krediten unterstützen wir Firmen.“Die energieintensiven Unternehmen wünschen sich aber mehr, nämlich dass der Staat den Strompreis für die Wirtschaft herunter subventioniert. „Mein Ziel ist ein Industriestrompreis von vier Cent“, hatte Scholz vor einem Jahr gesagt. Das wäre für viele Unternehmen eine große Erleichterung, derzeit zahlen die meisten ein Vielfaches davon.
Zugleich lobte Scholz die Sozialpartnerschaft bei Bayer: „Diese Mitarbeiter-beteiligung gehört zu den Stärken der deutschen Wirtschaft.“Solida 1 ist Teil von „Bayers Zukunftsstrategie 2025“, die Betriebsrat und Konzern ausgehandelt haben. Nach Jahren des Sparens will Bayer nun wieder Arbeitsplätze schaffen. In der Solida 1 entstehen zunächst 100 Stellen. Die Fabrik ist modular angelegt: Sie kann bei Bedarf um weitere Module erweitert werden. „Nach Jahren der Transformation gibt Bayer nun die dringend nötige Orientierung“, sagte Heike Hausfeld, die neue Chefin des Gesamtbetriebsrates. Veränderungen müssten auch weiter Bayer-like bleiben und faire, sichere und belastbare Perspektiven geben. Solida 1 ersetzt keine Fabrik, sondern entsteht zusätzlich zum SupplyCenter.
Am Ende wird ein bunter Richtkranz per Kran auf den hohen Plattenbau gezogen. Polier Thomas Schepers sorgt mit Polierspruch und Glaswurf vom Dach für Handwerker-folklore.„bayer ist in 83 Ländern aktiv, die Heimat ist Deutschland“, sagt Baumann. Die Betriebsratschefin merkt sich das. Der Kanzler lächelt und fährt zum nächsten Termin nach Köln.