Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ukrainerin gibt Deutschkurse in der VHS
Liliya Pogosyan (56) ist Ende Februar vor dem Krieg in ihrer Heimatstadt Charkiw zu ihrem Lebensgefährten nach Wesel geflohen. Hier hat die pensionierte Lehrerin eine neue, für sie beglückende Aufgabe gefunden.
Keine Frage, dass sämtliche Dozenten, die in der Weseler Volkshochschule Flüchtlingen im Rahmen von sogenannten Erstorientierungskursen die Grundzüge der deutschen Sprache beibringen wollen, ihre Sache sehr gut und auch sehr gewissenhaft machen. Doch gibt es ganz aktuell eine Lehrerin, die vor allem bei den vielen aus der Ukraine stammenden Kursteilnehmern ganz besonders hoch im Kurs steht. Und das ist Liliya Pogosyan.
Die 56-Jährige stammt aus Charkiw, mit 1,4 Millionen Menschen hinter Kiew die zweitgrößte Stadt der Ukraine und als Stadt der Kultur und Wissenschaft bekannt. „Eine wunderschöne und moderne Metropole, in der Blumen und Parkanlagen eine ganz besonders große Rolle spielen“, schwärmt die temperamentvolle Lehrerin beim Besuch unserer Redaktion im Büro von
Liliya Pogosyan ist ein Glücksfall für uns und für die vielen Ukrainer in unseren zehn Erstorientierungskursen“
Andreas Brinkmann Direktor der Volkshochschule in Wesel
Vhs-direktor Andreas Brinkmann. Wobei die Stadt unweit der russischen Grenze seit Putins Angriffskrieg, der bekanntlich am 24. Februar begonnen hat, größere Schäden erlitten hat. Das weiß Liliya Pogosyan aus Medienberichten und Telefonaten mit ihrer besten Freundin. Die lebt nämlich noch in Charkiw. „Von ihr weiß ich auch, dass mein Haus dort noch steht.“
Lilya Pogosyan, die 56-jährige Mutter von drei Söhnen (33, 30, 16), ist kurz nach Beginn des Kriegs mit dem Zug über Polen an den Niederrhein gereist. Und das hat einen ganz bestimmten Grund. „Ich hatte schon Wochen vorher Flugtickets für den 28. Februar gekauft. Denn ich wollte zu meinem Lebensgefährten nach Wesel“, erzählt sie. Den hatte sie 2021 über das Internet kennen und schließlich auch lieben gelernt. Im vergangenen Jahr war sie bereits in Wesel und im Januar dieses Jahres auch für drei Wochen. Auch ohne den Krieg wäre sie also Ende Februar erneut nach Wesel gekommen. Zumal die beiden älteren Söhne schon längere Zeit in Deutschland wohnen – beide unweit von München. Auch der jüngste lebt mittlerweile dort. Und zwar bei einer Familie, in der der ältere Sohn vor Jahren als Aupair vier Kinder betreut hatte.
„Liliya Pogosyan ist ein Glücksfall für uns und für die vielen Ukrainer in unseren mittlerweile zehn
Erstorientierungskursen“, lobt VHSChef Andreas Brinkmann. „Ihr fliegen die Herzen zu.“Und Liliya Pogosyan ist voll des Lobes über Wesel und die hilfsbereiten Menschen hier und ist froh, dass sie als Deutschlehrerin in der VHS an zwei Tagen in der Woche ihren extrem wissbegierigen Landsleuten helfen kann, möglichst schnell die Sprache ihres Gastgeberlandes zu lernen, so dass sie sich möglichst schnell einleben und hier auch eine Arbeit finden. „Denn eine Aufgabe zu haben, das ist auch für mich unendlich wichtig. Ansonsten würde ich auch viel zu viel rumsitzen und nachdenken.“
Was wohl kaum jemandem bekannt ist: In vielen ukrainischen Schulen wird Deutsch unterrichtet. Liliya Pogosyan selbst war als Schülerin schon angetan von der deutschen Sprache. Ihre Liebe zu Deutschland hat sie spätestens 1986 entdeckt, als sie als Studentin in Rostock war. „Ich habe damals davon geträumt, einmal West-berlin sehen zu können“, erzählt die Frührentnerin. Mit 56 schon Frührentnerin? Liliya Pogosyan lacht. „Wer in unserem Land 25 Jahre pädagogische Arbeit geleistet hat, der darf schon in Rente.“Weil sie aber so quirlig und voller Tatendrang ist, hatte sie in der Ukraine einfach weiter als Deutschlehrerin gearbeitet. Aber nicht in einem Klassenraum, sondern via Skype. „Wer in die EU kommen will, benötigt entsprechende Sprachkenntnisse.“
Zu ihren Schülern gehörten meist Ukrainerinnen, die übers Internet einen deutschen Mann kennengelernt hatten. Um aber dauerhaft in Deutschland bleiben zu können, benötigten sie nun mal besagten Deutschkursus auf Sprachniveau A 1. Das bedeutet, dass man sich nach rund 100 bis 200 Unterrichtsstunden, die innerhalb von sechs bis acht Wochen stattfinden, schon vergleichsweise gut im Alltag verständigen kann. Es folgt in aller Regel ein dreimonatiger Orientierungskursus, der mit 300 Stunden angesetzt ist. Ist auch der bestanden, folgt der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) finanzierte Integrationskurs, der mit einer B 1 Zertifikatsprüfung und einem Einbürgerungstest abschließt, so dass die Teilnehmenden ein Integrationszertifikat bekommen mit dem Ihnen dann das Berufsleben offensteht.
Andreas Brinkmann ist nur zu gerne bereit, dem Wunsch unserer Redaktion zu entsprechen, Liliya Pogosyan zu Beginn einer Unterrichtsstunde über die Schulter zu schauen. Auch sie selbst hat nichts dagegen, ebenso nicht die rund 15 Kursteilnehmer. Die sind zwischen 15 und 82 – darunter auch eine Hochschulprofessorin.
Jeder, der während seiner Schulzeit eine oder auch mehrere Fremdsprachen erlernt hat, kann nachvollziehen, wie sich die Kursteilnehmer fühlen, wenn der Unterricht komplett in der ungewohnten Sprache stattfindet. „Wo lebst Du?“, lautet die Frage, die Liliya Pogosyan in die Runde stellt. Eine junge Frau antwortet: „In Wesel.“– „Wie ist dein Name?“– „Ich heiße Nathalie“, antwortet sie wahrheitsgemäß und bekommt dafür ein Lob der Kursleiterin, die allerdings, wenn es ganz kompliziert wird, auch kurzzeitig etwas in Ukrainische erklärt. Aber wirklich nur in Extremfällen. „Es ist wichtig, dass die Kursteilnehmer die Grammatik verstehen. Und dann ist es manchmal einfacher, etwas in der Muttersprache zu erklären“, sagt Liliya Pogosyan. Wenn allerdings auch nur ein Kursmitglied aus einem anderen Land kommt, unterrichtet sie ausschließlich in Deutsch, um niemanden zu benachteiligen.
In der kommenden Woche wird sie übrigens einen zweiten VHSKurs übernehmen, in dem vermutlich auch Nicht-ukrainerinnen und -Ukrainer Deutsch lernen wollen. Auch wenn Liliya Pogosyan dann nicht mehr kurzzeitig zwischen Ukrainisch und Deutsch wechseln kann, ist sie überzeugt, dass am Ende alle so gut die neue Sprache erlernt haben, dass sie sich – kurzoder vielleicht auch längerfristig – in Wesel wohlfühlen und zurechtfinden können.