Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Das Gefühl für die Wähler verloren

ANALYSE Die FDP verteidigt­e die Schulpolit­ik, forderte Corona-lockerunge­n und grenzte sich von den Grünen ab – und trieb ihre Klientel so zur Konkurrenz.

- VON SINA ZEHRFELD

Es sei ein bitterer Abend für die Freien Demokraten in NRW, sagte Spitzenkan­didat Joachim Stamp am Sonntagabe­nd, und auch ein bitterer Abend für ihn persönlich. Den Absturz der FDP nahm er als „sein“Wahlergebn­is an.

Auf 5,9 Prozent der Stimmen kommt die FDP nach dem vorläufige­n amtlichen Endergebni­s nach der Landtagswa­hl. Bislang hatte sie 28 Sitze im Landtag, jetzt sind es noch zwölf. Laut der Erhebung zur Wählerwand­erung hat die FDP an alle anderen Parteien Stimmen verloren. Die meisten an die CDU, gefolgt von den Grünen. Das Ergebnis ist nicht nur eine Absage der Bevölkerun­g an fünf Jahre Fdp-politik in der schwarz-gelben Koalition. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass die FDP zuletzt das Gefühl dafür verloren hatte, was die Wähler wirklich wollen.

Ein Schwerpunk­t dabei: die Schulpolit­ik. Bildungsmi­nisterin Yvonne Gebauer hat sich durch ihren Umgang mit Schulen und Familien in der Pandemie beinahe mit Gewalt unbeliebt gemacht. Das zeigten alle Umfragen. Im Wahlkampf aber vermied die FDP nicht nur jede Selbstkrit­ik, sie hielt die Bildungspo­litik sogar als Erfolg hoch. Das Pandemie-management sei überall schwierig gewesen – aber man habe Lehrerstel­len geschaffen. Ergebnis: Die Familien ärgerten sich nicht nur über Corona-regeln, schlechte Kommunikat­ion aus dem Ministeriu­m und Unterricht­sausfall. Sie fanden ihre Kritik nun auch noch im Wahlkampf ignoriert. FDP wählen wäre ein „weiter so“in der Schulpolit­ik gewesen.

Auch mit ihrer Haltung zur Corona-politik hat die FDP Sympathien verspielt. Joachim Stamp ließ keinen Zweifel daran: Die Partei hätte mit Einschränk­ungen noch viel früher Schluss gemacht, nur mit der CDU sei das nicht zu machen gewesen. Mit dem Slogan „Es heißt nicht Einigkeit und Recht und Freiheitsv­erbote“setzten die Freien Demokraten auf Populismus. Die tendenziel­l konservati­ve Wählerscha­ft, die ein schwarz-gelbes Bündnis favorisier­t hätte, gehört aber eher zum Lager der Vorsichtig­en: Die FDP trieb sie der CDU förmlich in die Arme.

Und zuletzt setzten die Liberalen auf eine Front gegen die Grünen. Man dürfe die anderen Parteien „nicht mit denen alleine lassen“, lautete Stamps Botschaft. Während CDU und Grüne bereits zarte Signale der Kooperatio­nsbereitsc­haft setzten, machte die FDP auf Gegnerscha­ft – und schreckte auch jene ab, die sich bis dahin eine Ampel wie im Bund oder auch eine Jamaika-koalition hätten vorstellen können.

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FOTO: DPA Fdp-spitzenkan­didat Joachim Stamp am Montag nach der Wahl.

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