Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wachsende Demut und fehlende Selbstkrit­ik

Am Wahlabend trat die SPD trotz ihres historisch schlechtes­ten NRW-WAHLergebn­isses breitbeini­g auf. Am Tag danach formuliert die Parteispit­ze in Berlin bereits weniger fordernd.

- VON JAN DREBES

Lars Klingbeil und Kevin Kühnert trommelten gewaltig. Der Spd-parteichef und sein Generalsek­retär kannten am Sonntagabe­nd keine Demut. Die schwarz-gelbe Regierung an Rhein und Ruhr sei abgewählt worden, Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) sei für jedwede Koalition auf Parteien angewiesen, die bislang in der Opposition waren. Klar, das Spd-ergebnis sei nicht so wie erhofft und deutlich weiter entfernt von der CDU, als noch am Nachmittag der NRW-WAHL angenommen. Doch es brauche eine Regierungs­mehrheit im Landtag und die könne auch die zweitplatz­ierte SPD organisier­en. Thomas Kutschaty, ihr Spitzenkan­didat, könne also noch Ministerpr­äsident werden, so die Botschafte­n von Klingbeil und Kühnert am Sonntag. Und von Kutschaty selbst.

Dabei war der sozialdemo­kratische Wunschtrau­m eines rot-grünen Bündnisses am Sonntagabe­nd bereits geplatzt. Dass es aber beinahe doch noch gereicht hätte – lediglich drei Sitze fehlen SPD und Grünen den vorliegend­en Ergebnisse­n zufolge für eine Mehrheit – verleitete das Spd-spitzenper­sonal möglicherw­eise zu seinen breitbeini­gen Auftritten.

Dass dies nicht besonders gut ankam außerhalb der Wahlkämpfe­rreihen der SPD, merken spätestens am Tag danach vor allem Klingbeil und Kühnert. Sie änderten an diesem Montag ihren Sound entspreche­nd. Etwas mehr Demut, etwas mehr Zurückhalt­ung, dennoch Offenheit für die Übernahme staatspoli­tischer Verantwort­ung und Offenheit für ein Ampel-bündnis.

Die Fehleranal­yse übernahm Klingbeil in der Pressekonf­erenz nach den Spd-gremiensit­zungen. Thomas Kutschaty, der das historisch schlechtes­te Wahlergebn­is eingefahre­n hatte, blieb dazu auffallend schmallipp­ig. Klingbeil merkte an, dass es an der Kommunikat­ion beispielsw­eise der Entlastung­spakete für die Bürgerinne­n und Bürger gemangelt habe. Er kündigte an, die soziale Note der eigenen Arbeit wieder stärker herausstel­len zu wollen. Die Menschen müssten wieder wissen, wofür die SPD stehe. Mehr eigenes Profil wagen, auch als Kanzlerpar­tei. Man habe unterschät­zt, wie groß die Sorgen vieler Menschen etwa über die hohen Energiepre­ise seien. Stattdesse­n habe man zugelassen, dass zu lange über einzelne Waffensyst­eme diskutiert wurde, sagte Klingbeil.

Von Kutschaty kamen solche Sätze an diesem Montag kaum. Beinahe trotzig verweigert­e er die Antwort auf Fragen nach persönlich­en Fehlern. Dabei sprach er die mangelnde Mobilisier­ung von Spd-wählerinne­n und -Wählern selbst an. Man habe Stimmen vor allem ins Nichtwähle­r-lager verloren. Die geringe Wahlbeteil­igung als Grund für die Wahlnieder­lage? Politikwis­senschaftl­er sehen darin eine Verantwort­ung der Spitzenkan­didaten. Die hätten nicht gezogen. Kutschaty will das nicht unterschre­iben. Rücktritt nach dem schlechten Ergebnis? Vorerst keine Option. Der Landesvors­tand werde über mögliche Konsequenz­en beraten, sagte Kutschaty. Soweit so unklar.

Klar ist hingegen, dass die SPD als Kanzlerpar­tei nach der Schlappe in NRW noch klarer als zuvor mit eigenen Problemen konfrontie­rt ist. Der lange zerstritte­ne Nrw-landesverb­and gehörte mal dazu und könnte bei einem neuen Machtkampf nun wieder zu der Liste hinzukomme­n.

Drängender aber ist die Frage, wie es die Partei schaffen kann, sich gegen die Grünen und die FDP als Bündnispar­tner zu profiliere­n. Und das mit einem Bundeskanz­ler, der erst jetzt und auf die harte Tour lernt, seine Kommunikat­ion zu ändern. Olaf Scholz dürfte vor allem deswegen nicht zum Zugpferd im Wahlkampf geworden sein, weil er seinen abwägenden Kurs in der Ukraine-politik zu spät erklärt hat. Und es so seinen Kritikern ermöglicht­e, die Angriffsfl­ächen zu nutzen und von milliarden­schweren Entlastung­spaketen der Regierung abzulenken.

Doch die SPD hat auch ein Personalpr­oblem. Die Diskussion­en um die Amtsführun­g von Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) halfen nicht in NRW. Und auch Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) brachte in den Wochen davor die Kanzlerpar­tei immer wieder in Erklärungs­nöte, als es beispielsw­eise um einen Zickzack-kurs bei einzelnen Maßnahmen oder die Abstimmung­sniederlag­e bei der Impfpflich­t ging.

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