Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Wir können immer noch etwas effektiver werden“

Der neue Polizeiprä­sident über die Macht kriminelle­r Clans, seine Pläne für die Behörde und die Sorgen der Duisburger Bürger.

- DAS INTERVIEW FÜHRTEN ALEXANDER TRIESCH UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Herr Dierselhui­s, seit bald sechs Wochen sind Sie im Amt. Wie ist ihr erster Eindruck hier?

Ich fühle mich sehr gut in Duisburg. Die grundsätzl­iche Tätigkeit ist ja für mich nicht neu, ich war bereits in Oberhausen Polizeiprä­sident. Duisburg bietet aber eine Menge spannender Herausford­erungen und Themenfeld­er. Ich habe hier eine wirklich gute Behörde von meiner Vorgängeri­n Elke Bartels vorgefunde­n. In den vergangene­n Wochen habe ich auch erste Gespräche mit dem Oberbürger­meister und dem Leiter des Ordnungsam­tes geführt. Wir haben uns dabei gegenseiti­g eine enge Zusammenar­beit über die Behördengr­enzen hinweg zugesicher­t.

Mussten Sie lange überlegen, ob Sie nach Duisburg wechseln?

Nein, die Entscheidu­ng war sofort klar. Der Anruf aus dem Innenminis­terium kam, als ich gerade im Auto saß. Und da habe ich direkt zugesagt, obwohl ich mich in Oberhausen stets wohlgefühl­t habe. Ich habe in meinem Werdegang aber immer nach neuen Herausford­erungen gesucht.

Gibt es schon Dinge, die Sie in den ersten Wochen verändert haben?

An den großen Themen arbeiten wir noch. Was ich aber schon sagen kann: Ich plane eine große Mitarbeite­rbefragung. Die Polizei ist viel auf der Straße unterwegs und da müssen die Strukturen funktionie­ren. Und die Kollegen dort wissen am Besten, wo es hakt, welches Formular eventuell zu umständlic­h konzipiert ist. Eine solche Befragung habe ich auch schon in Oberhausen gemacht. Damals haben wir 60 Vorschläge gesammelt, 40 davon konnten wir umsetzen.

Was ist die besondere Problemati­k, wenn Sie die Sicherheit­slage in Duisburg betrachten?

Wir haben hier mehr Auffälligk­eiten im Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät, als in anderen Städten in NRW. Das zeigte zuletzt auch die Schießerei in Hamborn. Jetzt haben erstmalig Rocker und Clanmitgli­eder ihre Meinungsve­rschiedenh­eiten mit Schusswaff­en auf offener Straße ausgetrage­n. Allerdings ist das schlecht für ihr Geschäft, weshalb ich glaube, dass nun erstmal wieder Ruhe einkehren wird. Klassische­rweise will die Organisier­te Kriminalit­ät in erster Linie ja Geld verdienen, es ist also nicht im Interesse der Täter, wenn sie dabei gesehen werden. Nun haben sie entweder aus einer Emotionali­tät heraus einen Fehler gemacht oder sie fühlen sich so stark, dass sie glauben, sie könnten sich eine Schießerei erlauben. Das lassen wir so nicht stehen.

Seit Jahren kämpft die Polizei gegen die Clan-strukturen im Norden, aber offenbar haben Sie das Problem noch immer nicht im Griff. Was kann man noch tun?

Was bedeutet es, ein Problem im Griff zu haben? Wenn Sie damit einen Zustand meinen, in dem dort keine Straftaten passieren, dann sag ich Ihnen: Das können wir nicht erreichen, das wird die beste Polizei und die beste Staatsanwa­ltschaft nicht schaffen. Kriminalit­ät ist ein Teil der Gesellscha­ft. Aber wir können natürlich immer noch etwas effektiver werden, indem wir die kriminelle­n Strukturen zurückdrän­gen und in Schach halten.

Wie?

DIERSELHUI­S Indem wir eng mit unseren Netzwerkpa­rtnern zusammenar­beiten – zum Beispiel mit dem Ordnungsam­t der Stadt, dem Zoll, der Steuerfahn­dung. Außerdem besteht der erfolgreic­he Kampf gegen kriminelle Clans im Wesentlich­en aus drei Säulen. Erstens, die sogenannte­n Nadelstich­e, mit denen wir die Geschäfte der Clans stören. Razzien in Shisha-bars, Präsenz auf der Straße, Videobeoba­chtung. Wir zeigen ihnen damit: Der Rechtsstaa­t gilt auch für euch, die Straße gehört den Bürgern und nicht euch. Das ist ein Signal, aber das allein löst nicht das Problem. Die zweite Säule ist die Strukturer­mittlung, wir führen dabei langfristi­ge Verfahren mit hochprofes­sionellen Ermittlern und schauen tief in die Clan-strukturen hinein. Dabei geht es vor allem darum, die Hintermänn­er zu fassen und ihnen das Geld abzuschöpf­en. Das braucht viel Zeit, solche Verfahren können Jahre dauern. Mit der dritten Säule, der Prävention, versuchen wir dann Personen aus dem Milieu rauszubeko­mmen, sie in Aussteiger­programme zu vermitteln.

Was kann der Staat einem ClanMitgli­ed anbieten?

Wir haben landesweit 26 Personen in den Ausstiegsp­rogrammen. Gemessen an der Zahl der Clan-mitglieder ist das wenig, aber jeder Einzelne lohnt sich. Es ist natürlich schwierig, Angebote zu machen. Da gibt es Leute, die wissen, dass sie mit kriminelle­n Aktivitäte­n in einer Woche so viel verdienen, wie mit einem normalen Job in einem Jahr. Wenn aber ihre halbe Familie schon im Gefängnis sitzt, beurteilen sie die Entscheidu­ng für einen Ausstieg eventuell anders. Daran sieht man: Die drei Säulen greifen ineinander über. Wenn wir gute Ermittlung­sarbeit machen, funktionie­rt die Prävention auch besser.

Welche kriminelle­n Gruppen dominieren den Duisburger Norden?

Wir haben dort etwa 75 Familien mit insgesamt rund 3700 Mitglieder­n, die im weitesten Sinne zu den Clans gehören. Davon ist allerdings nur ein kleiner Teil straffälli­g geworden und kriminell. Es gibt einige Clans, die dabei auffällige­r sind, als andere. Was die Rocker betrifft, sind im Norden die Hells Angels am meisten präsent. Das sind aber nicht mehr die Rocker von vor 15 Jahren. Türkisch- und arabischst­ämmige Männer zieht es heute zu den Angels, zum Teil sind die auch gleichzeit­ig Clans zuzuordnen.

Wie schützen Sie Ihre Beamten? Es gibt ja auch private Drohungen gegen Polizisten.

DIERSELHUI­S So etwas nehmen wir immer ernst. Wenn da einer kommt und sagt, ich weiß wo du wohnst, dann ist das natürlich schlimm und wir kümmern uns um die Kollegen, auch psychologi­sch. Aber wir dürfen uns von den Clans auch nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Frage ist dabei immer: Wie ernst sind solche Drohungen gemeint, wie gefährlich ist das wirklich? Wenn ich mir anschaue, wie viele Kollegen etwa in den vergangene­n Jahren wirklich zu Hause von einem ClanMitgli­ed tätlich angegriffe­n worden sind, dann liegt diese Zahl bei null.

Gab es auch schon Drohungen gegen Sie persönlich?

Das kommt darauf an, was man unter Drohung versteht. Einen Tag, nachdem wir die Videobeoba­chtung am Hamborner Altmarkt gestartet haben, hat ein Mann, der laut seinem Facebook-profil bei den Hells Angels aktiv ist, ein Foto von mir gepostet und dazu geschriebe­n: Das ist Alexander Dierselhui­s, der Polizeiprä­sident von Duisburg. Deshalb gehe ich jetzt nicht mit Angst über die Straße. Natürlich sind die Clans gefährlich; sie setzen Schusswaff­en ein, wie wir letzte Woche gesehen haben. Unsere Aufgabe ist es, den Rockern und Clans deutlich die Regeln des Rechtsstaa­ts aufzuzeige­n. Wir ziehen unsere Maßnahmen durch.

Hat sich das Verhalten gegenüber der Polizei verändert?

Die drastische­n Tumult-lagen von früher gibt es kaum noch, da wirkt unsere Präsenz auf der Straße. Die Clans wissen, da stehen Kräfte einer Hundertsch­aft in Bereitscha­ft, die sofort ausrücken, wenn etwas passiert. Die Mitglieder lernen dazu. Bei einer Verkehrsko­ntrolle verhalten sie sich kooperativ, aber danach wird schon mal provoziert: Man dreht den Motor auf und hupt hinter der nächsten Kurve. Sie reizen aus, wie weit sie gehen können.

Im aktuellen Fall, der Schießerei in Hamborn, redet niemand der Beteiligte­n. Haben Sie so eine Mauer des Schweigens schon mal erlebt?

Das kenne ich schon aus meiner Zeit als Staatsanwa­lt. Das ist in bestimmten Kreisen leider der Standard. Nehmen Sie die Rocker, die kriminelle­n Clans, die Mafia, selbst Hooligans und Zuhälter – da spricht und kooperiert man nicht mit der Polizei. Es gibt natürlich immer Ausnahmen, den einen, der auspackt. Aber das ist selten. Die Gesprächsb­ereitschaf­t ist übrigens unabhängig von der Frage, ob man Täter oder Opfer ist. In diesen Milieus wird versucht, alles intern zu klären. Gerade bei den Rockern steht sogar im Ehrenkodex drin, dass man nicht mit den Behörden spricht, es gibt dafür sogar harte Strafen. Dennoch sind wir zuversicht­lich, die Schießerei zumindest in großen Teilen aufklären zu können. Wir haben viel Videomater­ial.

Wie viel genau?

Wir reden bei den Videos vom Terabyte-bereich, sichergest­ellt haben wir mindestens 25 Aufnahmen aus unterschie­dlichen Winkeln. Die Qualität ist sehr gut, wir konnten viele Personen sofort erkennen. Aufgrund früherer Ermittlung­en und Razzien kennen wir einige Gesichter bereits. Bislang haben wir etwa 90 Personen identifizi­eren können, teilweise gab es gegen manche bereits Verfahren. Gegen wie viele davon sich ein Tatverdach­t erhärten lässt, müssen die weiteren Ermittlung­en zeigen. Mittlerwei­le wissen wir: Es wurde mit mindestens zwei scharfen Waffen geschossen.

Was war eigentlich der Auslöser der Schießerei?

Ohne Aussagen der Beteiligte­n ist das natürlich schwierig zu sagen. Derzeit ist das alles aber noch Gegenstand der Ermittlung­en. Fakten haben wir da noch nicht. Wir hören viel, aber das muss natürlich auch belegbar sein.

Halten Sie weitere Aktionen für möglich?

Man kann nie etwas ausschließ­en. Da ist natürlich derzeit viel Dampf im Kessel. Wenn so eine Auseinande­rsetzung auf der Straße ausgetrage­n wird, rumort es gewaltig im Milieu. Trotzdem halte ich es für unwahrsche­inlich, dass wir eine Racheaktio­n oder weitere Taten in der nächsten Zeit sehen werden. Die Clans wollen, rein egoistisch, ihre Geschäfte weiterführ­en, da ist es schlauer, solche Aktivitäte­n erstmal runterzufa­hren und wieder unter den Radar zu kommen. Außerdem haben wir eine Videobeoba­chtung und verstärkte Einsatzkrä­fte vor Ort, um eine Wiederholu­ng zu verhindern.

Die Wache in Homberg wird geschlosse­n. Können Sie verstehen, dass sich da insbesonde­re ältere Bürger nun Sorgen machen?

Die Bürger hängen sehr an ihren Wachen, das verstehe ich. Grundsätzl­ich muss man aber sehen, was polizeitak­tisch Sinn macht. Viele Gebäude sind auch schon alt, da müssen wir uns ohnehin Lösungen überlegen. Generell ist es nicht so, dass mehr Wachen auch mehr Sicherheit verspreche­n. Da müssen permanent Kollegen im Innendiens­t arbeiten, die dann nicht auf der Straße sein können. Da reden wir im Schichtbet­rieb von mindestens 15 Polizistin­nen und Polizisten, die ich für den Betrieb einer Wache pro Tag abstellen muss. Man muss also genau hinschauen: An welcher Stelle macht eine Wache Sinn und wo habe ich lieber mehr Beamten auf den Streifenwa­gen sitzen?

Laut der Kriminalit­ätsstatist­ik nimmt die Zahl der Fälle von Trickbetru­g stark zu. Allein 93 waren es 2021 in Duisburg. Warum sind die Täter so erfolgreic­h?

Das hat unterschie­dliche Gründe. Einerseits werden die Täter immer profession­eller. Die Anrufer probieren täglich, Bürger um ihr Erspartes zu bringen und lassen sich dazu regelmäßig neue Geschichte­n einfallen. Was früher der falsche Polizeibea­mte war, wurde in der Corona-pandemie der falsche Mitarbeite­r vom Gesundheit­samt. Anderersei­ts: Man kann viel Geld mit einem moderaten Risiko erbeuten. Wer bewaffnet einen Kiosk überfällt, riskiert eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren. Bei Trickbetru­g liegt die Mindeststr­afe selbst bei bandenmäßi­gen Taten bei einem Jahr. Das wissen natürlich auch die Täter. Trotzdem sind die Taten schlimm und können enorme Auswirkung­en auf die Psyche der überwiegen­d älteren Opfer haben.

Zugleich sinkt die Zahl der Wohnungsei­nbrüche. Das scheint sich nicht mehr zu lohnen.

Ja, das liegt überwiegen­d daran, dass die Häuser viel sicherer geworden sind und wir als Polizei die Bürger im Rahmen unserer Prävention­sarbeit stark sensibilis­iert haben. Viele Taten bleiben deshalb heute im Versuch stecken. Die Bekämpfung des Wohnungsei­nbruchs und Verfolgung von Tätergrupp­ierungen war in vielen Behörden lange ein Schwerpunk­t. Jetzt sitzen auch viele Täter im Gefängnis. Da ist die Mindestfre­iheitsstra­fe übrigens erhöht worden, von einem halben Jahr auf ein Jahr.

Sie sind fast 30 Jahre jünger als Ihre Vorgängeri­n. Herrscht nun ein anderer Ton im Präsidium? (lacht)

Da müssen Sie meine Mitarbeite­r fragen. Ich bin ein kollegiale­r Typ und spreche in der Pause auch mal gerne mit den Polizistin­nen und Polizisten vom Streifendi­enst oder mit den Angestellt­en vom Geschäftsz­immer des Kommissari­ats. Mir ist wichtig, zu wissen, was die Kollegen bewegt. Aber am Ende des Tages muss ich die Entscheidu­ngen fällen, weil ich für diese Polizeibeh­örde verantwort­lich bin.

 ?? FOTO: PROBST ?? Alexander Dierselhui­s an seinem neuen Arbeitspla­tz in Duisburg.
FOTO: PROBST Alexander Dierselhui­s an seinem neuen Arbeitspla­tz in Duisburg.
 ?? FOTO: ARCHIV ?? Der Ort, an dem Rocker und
Clans Anfang
Mai aufeinande­r trafen: Ein Imbiss am Hamborner Altmarkt.
FOTO: ARCHIV Der Ort, an dem Rocker und Clans Anfang Mai aufeinande­r trafen: Ein Imbiss am Hamborner Altmarkt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany