Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Wir können immer noch etwas effektiver werden“
Der neue Polizeipräsident über die Macht krimineller Clans, seine Pläne für die Behörde und die Sorgen der Duisburger Bürger.
Herr Dierselhuis, seit bald sechs Wochen sind Sie im Amt. Wie ist ihr erster Eindruck hier?
Ich fühle mich sehr gut in Duisburg. Die grundsätzliche Tätigkeit ist ja für mich nicht neu, ich war bereits in Oberhausen Polizeipräsident. Duisburg bietet aber eine Menge spannender Herausforderungen und Themenfelder. Ich habe hier eine wirklich gute Behörde von meiner Vorgängerin Elke Bartels vorgefunden. In den vergangenen Wochen habe ich auch erste Gespräche mit dem Oberbürgermeister und dem Leiter des Ordnungsamtes geführt. Wir haben uns dabei gegenseitig eine enge Zusammenarbeit über die Behördengrenzen hinweg zugesichert.
Mussten Sie lange überlegen, ob Sie nach Duisburg wechseln?
Nein, die Entscheidung war sofort klar. Der Anruf aus dem Innenministerium kam, als ich gerade im Auto saß. Und da habe ich direkt zugesagt, obwohl ich mich in Oberhausen stets wohlgefühlt habe. Ich habe in meinem Werdegang aber immer nach neuen Herausforderungen gesucht.
Gibt es schon Dinge, die Sie in den ersten Wochen verändert haben?
An den großen Themen arbeiten wir noch. Was ich aber schon sagen kann: Ich plane eine große Mitarbeiterbefragung. Die Polizei ist viel auf der Straße unterwegs und da müssen die Strukturen funktionieren. Und die Kollegen dort wissen am Besten, wo es hakt, welches Formular eventuell zu umständlich konzipiert ist. Eine solche Befragung habe ich auch schon in Oberhausen gemacht. Damals haben wir 60 Vorschläge gesammelt, 40 davon konnten wir umsetzen.
Was ist die besondere Problematik, wenn Sie die Sicherheitslage in Duisburg betrachten?
Wir haben hier mehr Auffälligkeiten im Bereich der Organisierten Kriminalität, als in anderen Städten in NRW. Das zeigte zuletzt auch die Schießerei in Hamborn. Jetzt haben erstmalig Rocker und Clanmitglieder ihre Meinungsverschiedenheiten mit Schusswaffen auf offener Straße ausgetragen. Allerdings ist das schlecht für ihr Geschäft, weshalb ich glaube, dass nun erstmal wieder Ruhe einkehren wird. Klassischerweise will die Organisierte Kriminalität in erster Linie ja Geld verdienen, es ist also nicht im Interesse der Täter, wenn sie dabei gesehen werden. Nun haben sie entweder aus einer Emotionalität heraus einen Fehler gemacht oder sie fühlen sich so stark, dass sie glauben, sie könnten sich eine Schießerei erlauben. Das lassen wir so nicht stehen.
Seit Jahren kämpft die Polizei gegen die Clan-strukturen im Norden, aber offenbar haben Sie das Problem noch immer nicht im Griff. Was kann man noch tun?
Was bedeutet es, ein Problem im Griff zu haben? Wenn Sie damit einen Zustand meinen, in dem dort keine Straftaten passieren, dann sag ich Ihnen: Das können wir nicht erreichen, das wird die beste Polizei und die beste Staatsanwaltschaft nicht schaffen. Kriminalität ist ein Teil der Gesellschaft. Aber wir können natürlich immer noch etwas effektiver werden, indem wir die kriminellen Strukturen zurückdrängen und in Schach halten.
Wie?
DIERSELHUIS Indem wir eng mit unseren Netzwerkpartnern zusammenarbeiten – zum Beispiel mit dem Ordnungsamt der Stadt, dem Zoll, der Steuerfahndung. Außerdem besteht der erfolgreiche Kampf gegen kriminelle Clans im Wesentlichen aus drei Säulen. Erstens, die sogenannten Nadelstiche, mit denen wir die Geschäfte der Clans stören. Razzien in Shisha-bars, Präsenz auf der Straße, Videobeobachtung. Wir zeigen ihnen damit: Der Rechtsstaat gilt auch für euch, die Straße gehört den Bürgern und nicht euch. Das ist ein Signal, aber das allein löst nicht das Problem. Die zweite Säule ist die Strukturermittlung, wir führen dabei langfristige Verfahren mit hochprofessionellen Ermittlern und schauen tief in die Clan-strukturen hinein. Dabei geht es vor allem darum, die Hintermänner zu fassen und ihnen das Geld abzuschöpfen. Das braucht viel Zeit, solche Verfahren können Jahre dauern. Mit der dritten Säule, der Prävention, versuchen wir dann Personen aus dem Milieu rauszubekommen, sie in Aussteigerprogramme zu vermitteln.
Was kann der Staat einem ClanMitglied anbieten?
Wir haben landesweit 26 Personen in den Ausstiegsprogrammen. Gemessen an der Zahl der Clan-mitglieder ist das wenig, aber jeder Einzelne lohnt sich. Es ist natürlich schwierig, Angebote zu machen. Da gibt es Leute, die wissen, dass sie mit kriminellen Aktivitäten in einer Woche so viel verdienen, wie mit einem normalen Job in einem Jahr. Wenn aber ihre halbe Familie schon im Gefängnis sitzt, beurteilen sie die Entscheidung für einen Ausstieg eventuell anders. Daran sieht man: Die drei Säulen greifen ineinander über. Wenn wir gute Ermittlungsarbeit machen, funktioniert die Prävention auch besser.
Welche kriminellen Gruppen dominieren den Duisburger Norden?
Wir haben dort etwa 75 Familien mit insgesamt rund 3700 Mitgliedern, die im weitesten Sinne zu den Clans gehören. Davon ist allerdings nur ein kleiner Teil straffällig geworden und kriminell. Es gibt einige Clans, die dabei auffälliger sind, als andere. Was die Rocker betrifft, sind im Norden die Hells Angels am meisten präsent. Das sind aber nicht mehr die Rocker von vor 15 Jahren. Türkisch- und arabischstämmige Männer zieht es heute zu den Angels, zum Teil sind die auch gleichzeitig Clans zuzuordnen.
Wie schützen Sie Ihre Beamten? Es gibt ja auch private Drohungen gegen Polizisten.
DIERSELHUIS So etwas nehmen wir immer ernst. Wenn da einer kommt und sagt, ich weiß wo du wohnst, dann ist das natürlich schlimm und wir kümmern uns um die Kollegen, auch psychologisch. Aber wir dürfen uns von den Clans auch nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Frage ist dabei immer: Wie ernst sind solche Drohungen gemeint, wie gefährlich ist das wirklich? Wenn ich mir anschaue, wie viele Kollegen etwa in den vergangenen Jahren wirklich zu Hause von einem ClanMitglied tätlich angegriffen worden sind, dann liegt diese Zahl bei null.
Gab es auch schon Drohungen gegen Sie persönlich?
Das kommt darauf an, was man unter Drohung versteht. Einen Tag, nachdem wir die Videobeobachtung am Hamborner Altmarkt gestartet haben, hat ein Mann, der laut seinem Facebook-profil bei den Hells Angels aktiv ist, ein Foto von mir gepostet und dazu geschrieben: Das ist Alexander Dierselhuis, der Polizeipräsident von Duisburg. Deshalb gehe ich jetzt nicht mit Angst über die Straße. Natürlich sind die Clans gefährlich; sie setzen Schusswaffen ein, wie wir letzte Woche gesehen haben. Unsere Aufgabe ist es, den Rockern und Clans deutlich die Regeln des Rechtsstaats aufzuzeigen. Wir ziehen unsere Maßnahmen durch.
Hat sich das Verhalten gegenüber der Polizei verändert?
Die drastischen Tumult-lagen von früher gibt es kaum noch, da wirkt unsere Präsenz auf der Straße. Die Clans wissen, da stehen Kräfte einer Hundertschaft in Bereitschaft, die sofort ausrücken, wenn etwas passiert. Die Mitglieder lernen dazu. Bei einer Verkehrskontrolle verhalten sie sich kooperativ, aber danach wird schon mal provoziert: Man dreht den Motor auf und hupt hinter der nächsten Kurve. Sie reizen aus, wie weit sie gehen können.
Im aktuellen Fall, der Schießerei in Hamborn, redet niemand der Beteiligten. Haben Sie so eine Mauer des Schweigens schon mal erlebt?
Das kenne ich schon aus meiner Zeit als Staatsanwalt. Das ist in bestimmten Kreisen leider der Standard. Nehmen Sie die Rocker, die kriminellen Clans, die Mafia, selbst Hooligans und Zuhälter – da spricht und kooperiert man nicht mit der Polizei. Es gibt natürlich immer Ausnahmen, den einen, der auspackt. Aber das ist selten. Die Gesprächsbereitschaft ist übrigens unabhängig von der Frage, ob man Täter oder Opfer ist. In diesen Milieus wird versucht, alles intern zu klären. Gerade bei den Rockern steht sogar im Ehrenkodex drin, dass man nicht mit den Behörden spricht, es gibt dafür sogar harte Strafen. Dennoch sind wir zuversichtlich, die Schießerei zumindest in großen Teilen aufklären zu können. Wir haben viel Videomaterial.
Wie viel genau?
Wir reden bei den Videos vom Terabyte-bereich, sichergestellt haben wir mindestens 25 Aufnahmen aus unterschiedlichen Winkeln. Die Qualität ist sehr gut, wir konnten viele Personen sofort erkennen. Aufgrund früherer Ermittlungen und Razzien kennen wir einige Gesichter bereits. Bislang haben wir etwa 90 Personen identifizieren können, teilweise gab es gegen manche bereits Verfahren. Gegen wie viele davon sich ein Tatverdacht erhärten lässt, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen. Mittlerweile wissen wir: Es wurde mit mindestens zwei scharfen Waffen geschossen.
Was war eigentlich der Auslöser der Schießerei?
Ohne Aussagen der Beteiligten ist das natürlich schwierig zu sagen. Derzeit ist das alles aber noch Gegenstand der Ermittlungen. Fakten haben wir da noch nicht. Wir hören viel, aber das muss natürlich auch belegbar sein.
Halten Sie weitere Aktionen für möglich?
Man kann nie etwas ausschließen. Da ist natürlich derzeit viel Dampf im Kessel. Wenn so eine Auseinandersetzung auf der Straße ausgetragen wird, rumort es gewaltig im Milieu. Trotzdem halte ich es für unwahrscheinlich, dass wir eine Racheaktion oder weitere Taten in der nächsten Zeit sehen werden. Die Clans wollen, rein egoistisch, ihre Geschäfte weiterführen, da ist es schlauer, solche Aktivitäten erstmal runterzufahren und wieder unter den Radar zu kommen. Außerdem haben wir eine Videobeobachtung und verstärkte Einsatzkräfte vor Ort, um eine Wiederholung zu verhindern.
Die Wache in Homberg wird geschlossen. Können Sie verstehen, dass sich da insbesondere ältere Bürger nun Sorgen machen?
Die Bürger hängen sehr an ihren Wachen, das verstehe ich. Grundsätzlich muss man aber sehen, was polizeitaktisch Sinn macht. Viele Gebäude sind auch schon alt, da müssen wir uns ohnehin Lösungen überlegen. Generell ist es nicht so, dass mehr Wachen auch mehr Sicherheit versprechen. Da müssen permanent Kollegen im Innendienst arbeiten, die dann nicht auf der Straße sein können. Da reden wir im Schichtbetrieb von mindestens 15 Polizistinnen und Polizisten, die ich für den Betrieb einer Wache pro Tag abstellen muss. Man muss also genau hinschauen: An welcher Stelle macht eine Wache Sinn und wo habe ich lieber mehr Beamten auf den Streifenwagen sitzen?
Laut der Kriminalitätsstatistik nimmt die Zahl der Fälle von Trickbetrug stark zu. Allein 93 waren es 2021 in Duisburg. Warum sind die Täter so erfolgreich?
Das hat unterschiedliche Gründe. Einerseits werden die Täter immer professioneller. Die Anrufer probieren täglich, Bürger um ihr Erspartes zu bringen und lassen sich dazu regelmäßig neue Geschichten einfallen. Was früher der falsche Polizeibeamte war, wurde in der Corona-pandemie der falsche Mitarbeiter vom Gesundheitsamt. Andererseits: Man kann viel Geld mit einem moderaten Risiko erbeuten. Wer bewaffnet einen Kiosk überfällt, riskiert eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren. Bei Trickbetrug liegt die Mindeststrafe selbst bei bandenmäßigen Taten bei einem Jahr. Das wissen natürlich auch die Täter. Trotzdem sind die Taten schlimm und können enorme Auswirkungen auf die Psyche der überwiegend älteren Opfer haben.
Zugleich sinkt die Zahl der Wohnungseinbrüche. Das scheint sich nicht mehr zu lohnen.
Ja, das liegt überwiegend daran, dass die Häuser viel sicherer geworden sind und wir als Polizei die Bürger im Rahmen unserer Präventionsarbeit stark sensibilisiert haben. Viele Taten bleiben deshalb heute im Versuch stecken. Die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs und Verfolgung von Tätergruppierungen war in vielen Behörden lange ein Schwerpunkt. Jetzt sitzen auch viele Täter im Gefängnis. Da ist die Mindestfreiheitsstrafe übrigens erhöht worden, von einem halben Jahr auf ein Jahr.
Sie sind fast 30 Jahre jünger als Ihre Vorgängerin. Herrscht nun ein anderer Ton im Präsidium? (lacht)
Da müssen Sie meine Mitarbeiter fragen. Ich bin ein kollegialer Typ und spreche in der Pause auch mal gerne mit den Polizistinnen und Polizisten vom Streifendienst oder mit den Angestellten vom Geschäftszimmer des Kommissariats. Mir ist wichtig, zu wissen, was die Kollegen bewegt. Aber am Ende des Tages muss ich die Entscheidungen fällen, weil ich für diese Polizeibehörde verantwortlich bin.