Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wenn Neugeboren­e in der Babyklappe abgegeben werden

Zwei Babyklappe­n gibt es in Duisburg, die verzweifel­ten Müttern in der Not einen Ausweg bieten und damit Leben retten können. Es sind tragische Geschichte­n.

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(akal) Manchmal braucht es einen gewissen gesellscha­ftlichen Druck und einen aktiven Kinderschu­tzbund, damit sich Dinge ändern. Zwei tote Neugeboren­e führten 2018 zu einer Debatte und schließlic­h dazu, dass es in Duisburg eine zweite Babyklappe gibt. Das Mädchen Mia, geboren in Duisburg, wurde in einer polnischen Altkleider-sortieranl­age gefunden, das andere in einer Wohnung in RumelnKald­enhausen.

23 neugeboren­en Kindern konnte das Leben gerettet werden seit der Einführung der ersten Babyklappe am Helios St. Johannes-krankenhau­s in Hamborn vor über 20 Jahren, vier davon in den vergangene­n zwei Jahren. Eine weitere Babyklappe wurde am Sana vor 16 Monaten installier­t, war aber noch nicht im Einsatz.

Es seien allesamt Neugeboren­e gewesen, die am ersten Lebenstag abgelegt wurden, berichtet Dr. Peter Seiffert, Chefarzt am Helios. Manche hatten von der Geburt noch Blut und Käseschmie­re am Körper, waren eingewicke­lt in Hunde- oder Katzendeck­en, steckten in dreckigen Sachen. Die Babys seien gesund gewesen, eines habe das Down-syndrom gehabt. Durch den Dreck hätten sie aber teilweise Infekte entwickelt. Keines sei fachgerech­t abgenabelt gewesen.

„Ein paar Stunden später wären sie draußen gestorben. Dabei brauchen sie erst mal nur Wärme und was zu trinken“, sagt der Kinderarzt. Deshalb lobt er die Mütter, sie hätten in einer Ausnahmesi­tuation für das Kind etwas Gutes getan und das sei am Ende womöglich auch lebensrett­end für die Mütter.

20 Kinder seien adoptiert worden, berichtet Seiffert. In drei Fällen gelang eine Rückführun­g zur leiblichen Mutter, in einem Fall bestehe zumindest ein Kontakt.

„Die Babyklappe ist eine lebensrett­ende Zwischenst­ation“, betont Seiffert, „keine Endabgabes­telle“. Für ihn ist die Klappe nahe des neuen Haupteinga­ngs, aber geschützt vor Blicken, „ein permanente­s Mahnmal“. Die Mütter, die er kennenlern­en konnte, seien in „unglaublic­hen Zwangssitu­ationen“gewesen. „Das waren keine abgerissen­en Personen, eine hatte schon Kinder und stand bis zum Morgen der Geburt am Fließband.“

Die Verdrängun­g der Schwangers­chaft sei so massiv, dass der Gedanke, nach Lösungen zu suchen, sich beraten zu lassen, überhaupt nicht aufkomme. Das Angebot der vertraulic­hen Geburt sei zwar richtig und wichtig, hätte in diesen Fällen jedoch nicht geholfen. In den letzten zwei Jahren habe es keine Mutter gegeben, die ihr Kind anonym zur Welt bringen wollte.

Auch im Sana Klinikum gab es in letzter Zeit keine vertraulic­he Geburt, sagt Dr. Markus Schmidt, Chefarzt der Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe. Im Haus werde auf eine Vielzahl begleitend­er Angebote gesetzt.

Die Babyklappe sei Teil eines Gesamtkonz­epts, ergänzt Prof. Dr. Thorsten Rosenbaum, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedi­zin. In ganz Duisburg gebe es Hebammen, aufsuchend­e Hilfen oder den Kinderschu­tzbund. Außerdem sei der Bunte Kreis tätig, um Eltern von Frühgebore­nen zu unterstütz­en. Im Klinikum gibt es außerdem das Mütter-café, in dem eine erfahrene Schwester frischgeba­ckenen Müttern zur Seite steht und noch vor der Entlassung Hilfe organisier­t, wenn es finanziell­e Probleme oder andere Schwierigk­eiten gibt, berichtet Rosenbaum.

Die Kosten wurden im Helios vom Verein Kind im Krankenhau­s getragen, der sich auch um neue Flyer kümmert und um Hinweis-aufkleber auf öffentlich­en Toiletten. Das Sana trägt die Kosten selbst, „das ist Teil unserer gesellscha­ftlichen Verantwort­ung als größte Geburtskli­nik“, sagt Dr. Markus Schmidt. Im vergangene­n Jahr kamen hier 1850 Kinder zur Welt, rund 100 davon als Mehrlinge.

Schmidt hatte die zweite Babyklappe kritisch gesehen, bezogen auf die Einwohnerz­ahl habe Duisburg nun überdurchs­chnittlich viele. Düsseldorf habe gar keine, Essen eine. Der Duisburger Westen sei mit einem Angebot im St. Josef in Moers abgedeckt. Aber grundsätzl­ich sei man jetzt gut ausgestatt­et. „Und wenn wir nur einem Kind das Leben retten, dann war die Entscheidu­ng richtig.“

Hinweis Zur Beratung rund um die sogenannte „Vertraulic­he Geburt“gibt es eine bundesweit­e kostenlose Informatio­nshotline unter 0800 4040020.

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FOTO: LESKOVAR Seit mehr als 20 Jahren gibt es die Babyklappe am Helios St. Johannes. Chefarzt Peter Seiffert hat seither 23 darin abgelegte Babys betreut.

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