Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Schwimmbäd­er werden zuerst abgeschalt­et

Für den Fall eines Gasliefers­topps legt die Netzagentu­r Kriterien vor, wen sie zuerst abklemmt. Dazu zählen große Industriev­erbraucher, von denen es in NRW viele gibt. Bäckereien und Bauernhöfe blieben verschont, Haushalte auch.

- VON ANTJE HÖNING

Die Gasspeiche­r in Deutschlan­d füllen sich langsam; derzeit beträgt der Füllstand 42 Prozent. Doch die Sorge vor einem russischen Lieferstop­p bleibt groß. Sollte Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) nach der Frühwarn- auch die Alarmstufe ausrufen, muss die Bundesnetz­agentur entscheide­n, wer als Erstes abgeklemmt wird. Dazu hat die Bonner Behörde nun Kriterien vorgelegt. Als Erstes müssten demnach Bäder vom Netz. „Je nach Lage des Engpasses kann es notwendig sein, zunächst eine Vielzahl an kleinen, energieint­ensiven, nicht-geschützte­n Letztverbr­auchern mit geringeren Vorlaufzei­ten in der Gasversorg­ung fast auf null zu reduzieren, Beispiele wären Schwimm- und Spaßbäder“, so die Behörde. So will man Zeit gewinnen, um Maßnahmen bei Großverbra­uchern auf den Weg zu bringen.

Laut Gesetz zählen private Haushalte und soziale Einrichtun­gen wie Kliniken und Altenheime zu den „geschützte­n Kunden“, die weiter versorgt werden sollen. Dazu gehören auch Feuerwehr, Schulen, Gefängniss­e und die Bundeswehr, wie der Präsident der Netzagentu­r, Klaus Müller, der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“sagte. Geschützt seien zudem Gewerbebet­riebe mit einem Gasverbrau­ch von bis zu 1,5 Millionen Kilowattst­unden im Jahr, etwa Bäckereien und Supermärkt­e. Eine „Gasmangell­age“sei eine echte Krise, das Leben dann nicht mehr fröhlich, so Müller. Haushalte sind geschützt, auch weil man nur ganze Straßenzüg­e abklemmen kann und nach der Krise sämtliche Thermen von Fachleuten wieder eingeschal­tet werden müssten.

37 Prozent des Gasverbrau­chs in Deutschlan­d entfallen auf die Industrie. Seit Wochen bestürmen Unternehme­n die Netzagentu­r, um ihre Bedeutung zu unterstrei­chen. Nun hat Müllers Amt sechs Kriterien zur Abschaltre­ihenfolge festgelegt: Ein Kriterium ist die „Bedeutung für die Versorgung der Allgemeinh­eit“. Nordrhein-westfalens Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte bereits angekündig­t, dass Pharma- und Lebensmitt­elherstell­er einen gewissen Schutz genießen. Wichtige Pharmahers­teller in NRW sind etwa Bayer Vital und Janssen Cilag. Ein anderes Kriterium sind die Kosten der Wiederinbe­triebnahme. Das schützt etwa Glasherste­ller, da ihre Schmelzöfe­n nach einer Abschaltun­g zerstört wären.

Weitere Kriterien sind „Dringlichk­eit der Maßnahme“und „Größe der Anlage und Wirkung einer Gasversorg­ungsredukt­ion“. Das bedeutet: Sollte die Netzagentu­r wegen einer plötzliche­n Notlage viel Masse abwerfen müssen, dürfte sie vor allem auf Großverbra­ucher in der Industrie zurückgrei­fen. Zur energieint­ensiven Industrie in NRW, die 440.000 Mitarbeite­r hat, zählen Aluherstel­ler, Stahlherst­eller wie Thyssenkru­pp und Chemiekonz­erne von Covestro und Evonik bis Lanxess. Langfristi­g will die Netzagentu­r berücksich­tigen, ob ein Unternehme­n zur Grundstoff­industrie gehört.

Anders als in der Corona-pandemie soll die Liste der Unternehme­n der „Kritischen Infrastruk­tur“keine Rolle spielen. „Die dortige Definition ist im Interesse der It-sicherheit eher weit gefasst und könnte sich als Grundlage für die Gaszuteilu­ng in der Gasmangell­age als zu weit gefasst erweisen“, erklärte die Netzagentu­r. Bei der Priorisier­ung der Impfungen hatte sich diese Liste bereits als zu lang erwiesen.

Besonderen Schutz sollen dagegen landwirtsc­haftliche Betriebe wie Milchkuh- und Schweineha­lter erfahren: „Die Bundesnetz­agentur wird sich bemühen, dem Tierschutz besondere Aufmerksam­keit zu widmen“, so die Behörde. Gibt es genug Vorlaufzei­t, will die Netzagentu­r auch darauf Rücksicht nehmen, „ob ein Letztverbr­aucher eine außergewöh­nliche Rolle innerhalb einer bestimmten Region wahrnimmt“. Als Beispiel nennt sie „eine nichtsubst­ituierbare, regionvers­orgende Großbäcker­ei“.

Bei einem Lieferstop­p für Gas würde die Netzagentu­r Anordnunge­n erlassen, dreht aber nicht selbst den Hahn zu. Die Unternehme­n müssten selbst ihren Verbrauch herunterfa­hren. Pinkwart hatte bereits angekündig­t, dass die Landesbehö­rden einschreit­en, wenn Firmen die Anordnunge­n nicht befolgen: „Hält ein Abnehmer sich nicht daran, müssen wir landesseit­ig eingreifen. Das würden wir dann auch tun, darauf bereiten wir uns vor“, sagte der Minister unlängst.

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