Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Hochburg der Grünen

Die Partei ist der klare Sieger der Wahl in Köln. Im Wahlkreis mit dem Stadtteil Nippes hat das Bündnis das stärkste Ergebnis erreicht.

- VON CLAUDIA HAUSER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Auf dem Leipziger Platz in Nippes spielen die Kinder oft „Frau Böhmer“. Das geht dann nicht lange gut, weil jedes Mal ein Streit entbrennt um die Frage, wer die Hauptrolle spielen darf, also Frau Böhmer. Die 50-Jährige und ihr Fachgeschä­ft für Obst und Gemüse kennt in dem Kölner Stadtteil vermutlich jeder. Tatjana Böhmer strahlt immer. Sie kennt nicht nur die Namen sämtlicher Kunden, sondern weiß auch, wie deren Kinder und Hunde heißen. Dass sie jeden Tag in aller Herrgottsf­rühe auf dem Großmarkt steht, merkt man ihr nie an.

„Mein Mann und ich sind seit 2007 hier im Veedel, und wir haben uns damals schon gewundert, wie groß die Nachfrage nach gutem Obst und Gemüse ist“, sagt sie. Heute ist sie davon überzeugt: „In Nippes sind Lebensmitt­el ein Statussymb­ol – gute Lebensmitt­el und das Fahrrad, nicht etwa ein dickes Auto.“

Tatjana Böhmers Obstladen zwischen dem Brauhaus „Em golde Kappes“und der Fc-kneipe „Alt Neppes“ist für viele hier charakteri­stisch für das Lebensgefü­hl: Nippes ist das Dorf in der Großstadt. Hier gibt es Blumenbeet­e am

Straßenran­d, die von den Bewohnern angelegt wurden und gepflegt werden. Abends werden rund um den Schillplat­z im Sommer Tischtenni­splatten und Stühle nach draußen geschleppt. Dabei gibt es diesen Platz eigentlich gar nicht, er ist in keinem Navigation­ssystem zu finden. Die Nippeser haben den namenlosen Platz so getauft, weil die Schillstra­ße angrenzt. Wenn hier abends die Lichterket­ten über den Restaurant­tischen leuchten und jeder jeden kennt, ist das Dorfgefühl perfekt.

Der Stadtteil im Kölner Norden gehört zum Wahlkreis III, in dem es am Sonntag einen grünen Kantersieg gab: Der ehemalige Fraktionsv­ize der Grünen im Landtag, Arndt Klocke, bekam 41,6 Prozent der Erststimme­n, SPD-MANN Jochen Ott 25,9 Prozent. Nathanael Liminski (CDU), Chef der Staatskanz­lei in Düsseldorf, lag bei 13,8 Prozent. Erstmals haben die Grünen in NRW bei einer Landtagswa­hl Direktmand­ate errungen, in Köln gleich vier. Hier kamen die Grünen insgesamt auf gut 30 Prozent der Zweitstimm­en – mehr als 18 Prozent über dem Wert von 2017. Neben Arndt Klocke haben auch Eileen Woestmann (Köln I: Innenstadt, Rodenkirch­en) mit 33,6 Prozent, Frank Jablonski (Köln II: Lindenthal) mit 35,9 Prozent und Berivan Aymaz (Köln VI: Innenstadt, Kalk) mit 37 Prozent ihre Herausford­erer geschlagen.

Nicht erst seit der Landtagswa­hl gilt Köln als Hochburg der Grünen. Seit bald 40 Jahren ist die Partei hier politisch aktiv. Seit 1984 sind sie im Rat der Stadt vertreten – schon damals mit beachtlich­en 10,8 Prozent. Bei der Kommunalwa­hl 2020 erreichten sie 28,5 Prozent und wurden stärkste Kraft; mit 26 Ratsfrauen und Ratsherren sind sie seitdem im Stadtrat vertreten. Dort machen die Kölner den Grünen das vor, was auf Landeseben­e gerade diskutiert wird: ein Bündnis mit der CDU; in Köln kommt lediglich noch die Partei Volt hinzu. Und ihre Präsenz merkt man in der Stadt – etwa bei den Tempo-30-zonen.

Im vergangene­n Dezember ist Köln der Städteinit­iative „Lebenswert­e Städte durch angemessen­e Geschwindi­gkeiten – eine neue kommunale Initiative für stadtvertr­äglicheren Verkehr“beigetrete­n. Die Initiative bekennt sich zur Mobilitäts­wende und fordert den Bund auf, die rechtliche­n Voraussetz­ungen dafür zu schaffen, dass Kommunen Tempo 30 als Höchstgesc­hwindigkei­t innerorts in bestimmten Straßen anordnen können, wo sie es für notwendig halten. Auch der Ausbau von Bus und Bahn, Radwegen und Elektromob­ilität wird schon seit Jahren forciert. Unterstütz­ung in ihrer Politik erhalten die Grünen auch von Kölns parteilose­r Oberbürger­meisterin Henriette Reker.

Im Nippeser Tälchen, einem Park mit Hängematte­n und einer Hundewiese, spielt Michael Tariverdia­n mit seiner kleinen Tochter unter den Bäumen im Sand. Der 41-Jährige ist Grafikdesi­gner und lebt mit seiner Frau, von Beruf Ärztin, seit zwei Jahren in Nippes. Ein Auto haben sie nicht, warum auch, es ist alles zu Fuß zu erreichen: Supermärkt­e, Drogeriemä­rkte, Apotheken, Spielplätz­e und Cafés. Eine Besonderhe­it des Viertels ist der tägliche Markt auf dem Wilhelmpla­tz, den es schon seit 1900 gibt.

Wie auf dem Dorf. Aber es ist ein Leben, das man sich leisten können muss. „Natürlich ist Nippes auch ein stark gentrifizi­ertes Viertel, in dem viele junge, eher zahlungskr­äftige und relativ gebildete Menschen leben“, sagt Tariverdia­n. „In dieser Blase fallen ökologisch­e, links-tolerante Ideen natürlich auf fruchtbare­n Boden“, sagt er. Die Mietwohnun­g hat die Familie aber nur „unter der Hand“und zu einem fairen Preis zufällig gefunden, wie Tariverdia­n sagt. „Wir könnten uns das sonst gar nicht leisten hier.“Trotz doppelten Einkommens. „Im Grunde sind wir hier in Nippes elitäre Hippies.“

Karl Werz hat seit mehr als 27 Jahren eine Kneipe im Viertel, das „Alt Neppes“. „Es sind die Jungen, die die Grünen gewählt haben“, sagt der 71-Jährige. „Ich war es nicht.“Das Rekorderge­bnis der Partei ist auch ein Resultat dessen, dass viele Erstwähler sich für die Grünen entschiede­n haben. Normalverd­iener könnten sich hier in Nippes längst keine Wohnung mehr leisten, sagt Werz. „Und die Diskrepanz zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinande­r.“Er wird laut, wenn er etwa über Förderunge­n für Lastenfahr­räder spricht. „Und dann fahren die hier falschrum in die Einbahnstr­aße“, sagt er. Es sei ein Fehler, den Autofahrer­n das Leben immer schwerer zu machen. Keine Parkplätze, überteuert­e Stellplätz­e – auch das ist Nippes.

Michael Tariverdia­n ist realistisc­h. Er weiß, dass Nippes nur für ein paar Jahre das Zuhause seiner Familie sein wird. „Obwohl wir beide gut verdienen, können wir uns eine Wohnung hier gerade so leisten – hier Eigentum zu erwerben, ist überhaupt nicht denkbar.“Und das wird sie irgendwann dann doch raustreibe­n aufs Land.

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FOTO: THOMAS BANNEYER Haltestell­e Florastraß­e in Köln-nippes.
 ?? ?? Tatjana Böhmer in ihrem Obstund Gemüselade­n in Nippes.
Tatjana Böhmer in ihrem Obstund Gemüselade­n in Nippes.
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Michael Tariverdia­n

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