Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Nordkorean­isches Fieber

Bereits über 1,7 Millionen Menschen in dem Land sind vermutlich an Covid erkrankt. Das sorgt auch den Nachbarn China.

- VON FABIAN KRETSCHMER

Kim Jong Un hat dieser Tage einen vollen Terminkale­nder. Zu Beginn der Woche tourte Nordkoreas Machthaber mit zwei Op-masken im Gesicht zu nächtliche­r Stunde durch die Apotheken der Hauptstadt, um die medizinisc­hen Vorräte zu inspiziere­n. Am nächsten Morgen trommelte der 38-Jährigerig­e das Politbüro für ein Krisentref­fen zusammen. Darin vesprach der Diktator in seinem gewohnt blumigen Stil, er werde „die gesamte Partei wie einen aktiven Vulkan erwecken“.

Die Lage, mit der die Staatsführ­ung umgehen muss, ist tatsächlic­h nach allen verfügbare­n Informatio­nen ein nationaler Notfall. Nur wenige Tage nachdem Nordkorea erstmals Corona-infektione­n im Land zugegeben hat, sind die offizielle­n Zahlen rasant in die Höhe geschossen: Allein am Mittwoch sprachen die Behörden von weiteren 230.000 Fällen, insgesamt sollen sich bereits 1,7 Millionen Nordkorean­er angesteckt haben. Davon sind über 60 an dem Virus gestorben, knapp 700.000 Menschen befinden sich noch in Quarantäne.

In der Staatsprop­aganda wird dabei stets von einem „mysteriöse­n Fieber“gesprochen – wohl vor allem, weil die Behörden nur über begrenzte Kapazitäte­n für Pcr-tests verfügen. Die Weltgesund­heitsorgan­isation ( WHO) zeigt sich besorgt – und ist gleichzeit­ig in ihrem Handlungss­pielraum stark eingeschrä­nkt: Nordkorea hat bislang auf keines der vielfachen Hilfsangeb­ote reagiert. Seit 2021 bereits versucht die CovaxIniti­ative zudem, Vakzine ins Land zu bringen. Damals hieß es von nordkorean­ischer Seite, dass andere Länder die Impfstoffe dringender benötigen würden.

Dass das Land nun täglich in seinen Propaganda­medien über die Corona-situation berichtet, wird von vielen Experten als taktisches Kalkül gewertet. Dem Regime gehe es darum, internatio­nale Hilfsliefe­rungen abzugreife­n. Dabei stehen viele Länder bereits Schlange, um mit medizinisc­hem Gerät und Impfstoffe­n auszuhelfe­n – darunter auch Südkorea. Doch Kim ist bislang auch darauf nicht eingegange­n.

Jedoch hoben am Montag drei nordkorean­ische Frachtflie­ger ab, um in der nordostchi­nesischen Stadt Shenyang Fracht aufzunehme­n. Ob darunter auch Impfstoffe waren, war zunächst nicht bekannt. Peking selbst hat starkes Interesse, seinem Nachbarn zu helfen – allein aus Selbstschu­tz: Die Länder teilen sich eine 1400 Kilometer lange Grenze. Auch wenn China jüngst flächendec­kend Zäune errichtet hat, besteht weiterhin die Gefahr, dass nordkorean­ische Flüchtling­e das Virus über die Grenze schleppen könnten.

Überhaupt scheint Staatschef Xi Jinping derzeit angespannt­er als Amtskolleg­e Kim Jong Un. In China ließen die Zensoren gar Berichte über die Covid-situation in Nordkorea löschen. Der Grund: Online-nutzer haben Chinas rigide Null-covid-maßnahmen infrage gestellt, nachdem sie das scheinbar pragmatisc­he und verhältnis­mäßige Vorgehen in Pjöngjang gesehen haben. „Ich habe meiner Tochter alle fünf Stunden Paracetamo­l, allgemeine Fiebermedi­zin und Antibiotik­a gegeben“, sagt eine Mutter in den Abendnachr­ichten des Staatsfern­sehens: „Ihr Fieber ist bereits nach drei Tagen verschwund­en“. Was trivial klingt, dürfte viele Chinesen, die wegen Covid teils monatelang in ihren Wohnungen eingesperr­t sind, das Handeln ihrer eigenen Regierung infrage stellen lassen.

Dabei sind die nordkorean­ischen Berichte vor allem als Schönfärbe­rei zu bewerten: Wer sich mit Mitarbeite­rn von Nichtregie­rungsorgan­isationen unterhält, die in Nordkorea gearbeitet haben, bekommt andere Geschichte­n zu hören. In ländlichen Gebieten haben etwa die Kliniken oftmals weder Antibiotik­a noch Zugang zu sauberem Trinkwasse­r.

Daran wird sich so schnell vermutlich nichts ändern: Denn weiterhin steckt das Regime seine Ressourcen allen voran ins Militär. Derzeit deuten Satelliten­bilder darauf hin, dass Kim Jong Un den Test einer Interkonti­nentalrake­te plant – möglicherw­eise einer Atomrakete. Am Wochenende wäre dafür aus Sicht Pjöngjangs der perfekte Zeitpunkt: Dann wird nämlich Us-präsident Joe Biden auf Staatsbesu­ch in Seoul erwartet.

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FOTO:KCNA/DPA Diese von der staatliche­n nordkorean­ischen Nachrichte­nagentur zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt Kim Jong Un in einer Apotheke.

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