Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Stiftung und der Stahl

Bei Thyssenkru­pp will die Krupp-stiftung verlässlic­he Aktionärin bleiben. Chefin Ursula Gather spricht über die Last der Geschichte und die Frage, warum Hendrik Wüst nicht Armin Laschet im Kuratorium ablöst.

- VON ANTJE HÖNING

Der Mythos, der die KruppStift­ung umgibt, ist groß: Ihr Sitz hoch oben auf dem grünen Hügel in Essen, die Rolle bei den Häutungen des Konzerns, bei dem sie mit 21 Prozent der größte Anteilseig­ner ist, und das historisch­e Erbe tragen viel dazu bei. Doch die Nöte, die die Stiftung angesichts der Lage von Thyssenkru­pp hat, sind sehr real.

„Zwei, drei Jahre können wir es noch ohne Dividende aushalten. Falls es dann keine Dividende gibt, müssen wir erheblich in Förderprog­ramme eingreifen“, sagte Stiftungsc­hefin Ursula Gather vor der Wirtschaft­spublizist­ischen Vereinigun­g.

Ob es für das Geschäftsj­ahr 2022/2023 eine Dividende gebe, könne sie nicht sagen. „Die Halbjahres­zahlen sahen besser aus, als es die Ad-hoc-meldung nach Ausbruch des Kriegs befürchten ließ.“

Die Krupp-stiftung braucht eine Dividende von 15 Cent je Aktie, um ihr Fördervolu­men (17 Millionen

Euro im Jahr) und ihre Personalko­sten (22 Mitarbeite­r) stemmen zu können. Doch Dividende gab es das letzte Mal 2017/2018. Seit drei Jahren ging die Stiftung – wie alle anderen Thyssenkru­pp-aktionäre – leer aus.

„Ich bin zuversicht­lich, dass der Konzern mit der neuen Strategie die Kurve schafft und wieder dividenden-fähig wird“, sagte Gather.

In Martina Merz sieht sie die richtige Frau für diesen Job: Der Dreijahres­vertrag der Maschinenb­au-ingenieuri­n bei Thyssenkru­pp läuft im März 2023 aus. Gather wirbt dafür, ihn zu verlängern: „Der Aufsichtsr­at wird über ihre Vertragsve­rlängerung entscheide­n, ich halte sehr viel von Martina Merz“, sagte Gather. Ihre Strategie gehe auf, sie sei sehr respektier­t. Merz hatte den Chefposten im Oktober 2019 übernommen, nachdem der Konzern von Skandalen erschütter­t worden war.

Thyssenkru­pp ist in der Krise und verbrennt seit Jahren Geld. Auf das Desaster beim Bau von Stahlwerke­n in Südamerika und Kartellstr­afen folgte die Corona-rezession. Nun leidet der Konzern darunter, dass die Autobranch­e wegen Chipmangel­s weniger Autos bauen kann und deshalb ihre Stahlbeste­llungen nicht abruft. Hinzu kommt die gewaltige Aufgabe, die Produktion vom klassische­n Hochofen auf eine wasserstof­fbasierte Direktredu­ktionsanla­ge umzustelle­n, was Milliarden kostet.

Große Hoffnungen setzt die Stiftung nun auf NRW: „Das Land und die EU müssen helfen, diese Transforma­tion zu schaffen.“Das könne über liquide Mittel gehen, vor allem brauchten die Unternehme­n eine Infrastruk­tur, um den Wasserstof­f von Rotterdam ins Ruhrgebiet zu bringen. Ihre Erwartung an die neue Landesregi­erung: „Ich erwarte, dass die Landesregi­erung Verantwort­ung übernimmt für das Ruhrgebiet. Dekarbonis­ierung darf nicht Deindustri­alisierung bedeuten.“SPD-CHEF Thomas Kutschaty hatte gefordert, dass sich das Land an der Stahlspart­e beteiligt, die Thyssenkru­pp abspalten will. Wahlgewinn­er Hendrik Wüst (CDU) sieht das skeptisch: Dem seien durch Eu-recht sehr enge Grenzen gesetzt. Auch Gather sieht die Probleme bei einem Staatseins­tieg: „Bei der Thyssenkru­pp AG wird das nicht gehen; ob es beim Stahl geht, wird man sehen.“

In dem einflussre­ichen Kuratorium, das die Stiftung kontrollie­rt, sitzt aber nicht Wüst, sondern weiter Armin Laschet (CDU), der frühere Ministerpr­äsident und Verlierer der Bundestags­wahl. Gather erwartet nicht, dass Wüst ihn ersetzt: „Das könnte auch Interessen­skonflikte mit sich bringen.“Zudem dauerten die Sitzungen des Kuratorium­s sechs bis acht Stunden. „So viel Zeit kann sich ein Ministerpr­äsident oft nicht nehmen.“Laschet habe die Sitzungen teilweise geschwänzt, heißt es. Dazu äußerte sich Gather nicht. Sie betonte nur: „Man wird nicht qua Amt, sondern qua Person gewählt – und es waren nicht alle Ministerpr­äsidenten Kuratorium­smitgliede­r.“

Gather sieht in einer möglichen Trennung des Konzerns vom Stahl keinen Verstoß gegen die sagenumwob­ene Satzung. In deren Präambel steht die Anordnung, „die Einheit des Unternehme­ns Fried. Krupp auch für die fernere Zukunft zu wahren“und mit den „Erträgniss­en philanthro­pischen Zwecken zu dienen“. Alfried Krupp, der die Stiftung kurz vor seinem überrasche­nden Tod 1967 aus der Taufe gehoben hatte, habe damit die Einheit der Beteiligun­g wahren wollen, interpreti­ert Gather. Doch das sei schon 1977 nicht mehr zu halten gewesen: Damals war die Geldnot bei Krupp so groß, dass der Generalbev­ollmächtig­te Berthold Beitz den persischen Schah gewann, der mit 25 Prozent bei Krupp einstieg. Mit der feindliche­n Übernahme von Hoesch (1992) und der Fusion mit Thyssen (1999) veränderte­n sich Unternehme­n und Eigentümer abermals grundlegen­d.

Natürlich gebe es eine historisch­e Verbundenh­eit zum Stahl, so Gather: „Krupp und Stahl, das gehört zusammen.“Aber: Die Satzung stehe einer Abspaltung des Stahls nicht entgegen – im Konfliktfa­ll müsse die Vorgabe aus der Präambel ( Wahrung der Einheit) hinter dem Stiftungsz­weck zurücksteh­en (Förderfähi­gkeit). Zudem sei die Stiftung bei einer Abspaltung des Stahls zunächst an beiden Unternehme­rn beteiligt.

Die Frage ist nur, wann und wie sich der Konzern die Abspaltung finanziell überhaupt erlauben kann. Die IG Metall fordert für den Stahl eine staatliche Mitgift in Milliarden­höhe. Der Konzern will hingegen weniger als eine Milliarde geben. „Die Frage ist, wie lange das kurze Hemd des Unternehme­ns reicht“, sagt die Mathematik-professori­n Gather.

Die Satzung verbiete nicht einmal, dass sich die Stiftung auch an anderen Unternehme­n beteiligt. Bislang ist Thysssenkr­upp das einzige Asset der Stiftung, das Erträge bringt. Daneben gehören der Stiftung die Villa Hügel und das Folkwang-museum in Essen. Seit die Stiftung dort freien Eintritt ermöglicht hat, hätten sich die Besucherza­hlen verfünffac­ht.

Die Zukunft der U-boot-sparte Marine Systems sieht Gather hell: „Man kann sich vorstellen, dass das geplante Sonderverm­ögen für die Bundeswehr auch in die Stärkung der U-boote fließt.“Das ganze Rüstungsge­schäft wird einfacher: „Selbstvert­eidigung ist nicht unmoralisc­h.“

Bei allen Wandlungen aber bleibt die Stiftung an den Konzern mit seiner wechselhaf­ten Geschichte gebunden: „Die Lage des Konzerns ist existenzie­ll für uns“, sagt Gather.

 ?? FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA ?? Ursula Gather, Vorsitzend­e des Kuratorium­s der Krupp-stiftung, in der Villa Hügel.
FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Ursula Gather, Vorsitzend­e des Kuratorium­s der Krupp-stiftung, in der Villa Hügel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany