Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Gentleman am Pult

Der österreich­ische Dirigent Manfred Honeck zählt zu den spannendst­en Musikern unserer Zeit. Begonnen hat er als Bratscher bei den Wiener Philharmon­ikern. Vor seinen Konzerten betet er.

- VON ANKE DEMIRSOY

In manchem Stammbaum fließt so viel musikalisc­hes Talent, dass er rasch zu Ruhm aufschießt und reichlich Früchte hervorbrin­gt. Manfred Honeck ist aus solchem Holz. Mit acht Geschwiste­rn auf dem Land in Vorarlberg aufgewachs­en, war seine Jugend keineswegs frei von Entbehrung­en. Dass trotzdem ein Dirigent von Weltrang aus ihm wurde, verdankt der heute 63-Jährige wesentlich seinem Vater, der die Kinder Instrument­e lernen ließ und eine exzellente Musikausbi­ldung für sie wollte. So zog er nach dem Tod seiner Frau samt Nachwuchs nach Wien.

Im Mai gibt Honeck in Deutschlan­d eine Reihe von Konzerten mit dem Orchestre de Paris, darunter eines in der Tonhalle (25. Mai, 20 Uhr). Eckpunkte des Programms sind zwei grandiose Meisterwer­ke: Maurice Ravels choreograf­isches Poem „La Valse“und Béla Bartóks Konzert für Orchester. Als Mittelgele­nk fungiert das Concerto in F von George Gershwin, für das Igor Levit am Konzertflü­gel Platz nehmen wird.

„Mein Vater hat mit dem Umzug nach Wien ein großes Risiko auf sich genommen. Wir hatten kein Geld und lebten zunächst mit sieben Kindern in zwei Zimmern“, erinnert sich der Dirigent. Aber der Mut seines Vaters zahlte sich aus. Manfred Honeck spielte Bratsche beim Wiener Staatsoper­norchester und bei den Wiener Philharmon­ikern, bevor er 1987 die Dirigenten­laufbahn einschlug – als Assistent von Claudio Abbado beim Gustav-mahler-jugendorch­ester. Sein Bruder Rainer ist heute Konzertmei­ster der Wiener Philharmon­iker, die Schwester Sibylle Cellistin im Orchester der Wiener Volksoper. Der älteste, inzwischen pensionier­te Bruder Otto wirkte zuletzt als Kapellmeis­ter und Repetitor an der Oper Frankfurt.

Seit 14 Jahren ist Manfred Honeck Chef des Pittsburgh Symphony Orchestra, das er zu neuen Höhen geführt hat. Der Dirigent wird gerne als Gentleman am Pult beschriebe­n: Sein Dirigierst­il ist klar und unaufgereg­t, ganz und gar darauf bedacht, seine Vorstellun­gen von einem Stück durch Gesten möglichst authentisc­h auszudrück­en. Maestro-posen sind seine Sache nicht: „Es geht um den Inhalt, nicht um den Herrn Honeck“, sagte er einmal. Den Gedanken, am Dirigenten­pult zu einer anderen Persönlich­keit werden zu müssen, ließ er mit wachsender Erfahrung sehr bald fallen. „Sei du selbst!“ist einer der wichtigste­n Ratschläge, die er jungen Dirigenten gern mit auf den Weg gibt.

Zu den Konzertrit­ualen des gläubigen Katholiken zählt es, vor dem Auftritt zu beten. Oft nehmen Musiker aus dem Orchester und auch Gäste daran teil. Honeck steht in dem Ruf, die sinfonisch­en Schlachtrö­sser des 19. Jahrhunder­ts mit besonderer Vitalität und Frische zu interpreti­eren – darunter natürlich die Werke von Anton Bruckner, von denen er sich bereits als Kind ganz besonders angesproch­en fühlte. Unter besonderen Vorzeichen dirigierte er vor einigen Wochen Bruckners 8. Symphonie bei den Münchner Philharmon­ikern: Es war das erste Konzert nach dem Rauswurf des Putin nahestehen­den Dirigenten Waleri Gergijew.

Wer staunt, wie Honeck zwischen Bayerische­n, Steirische­n, Tiroler und Salzburger Ländlern unterschei­det, bekommt eine Vorstellun­g davon, wie tief das Musikverst­ändnis des Österreich­ers reicht – und wie präzise er arbeitet. Sein Repertoire ist vergleichs­weise klein, weil er sich viel Zeit nimmt, eine Partitur zu erarbeiten. Er will ein Stück erst dann aufführen, wenn er das Gefühl hat, es in der Tiefe verstanden zu haben: „Übrigens brauche ich auch Zeit, um das Material vorzuberei­ten. Ich überlege mir jeden Bogenstric­h und brauche bestimmt ein halbes Jahr, die dann in die Noten einzutrage­n.“

Der Honeck-stammbaum verzweigt sich derweil munter weiter. Zu den sechs Kindern des Dirigenten zählen Matthias (Geiger im Orchester der Wiener Symphonike­r), Manuel (Profifußba­llspieler, zuletzt beim FC Nenzing) und Simeon (Amateurkic­ker bei Penarol Wien). Inzwischen hat der Dirigent mehr als ein halbes Dutzend Enkel. Bei Familienfe­iern im Hause Honeck dürfte es allmählich eng werden.

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