Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Unscheinba­re Menschen, genauer betrachtet

- RONALD SCHNEIDER

Der Frankfurte­r Journalist, legendäre Sport-reporter, Fußball-fan und Autor vielseitig­er Sachbücher Jürgen Roth überrascht mit einem Band mit Erzählunge­n, „Leise Leute“, seinem literarisc­hen Debüt.

Die 22 überwiegen­d recht kurzen Geschichte­n stellen (mit einer Ausnahme) „leise Leute“vor: Unscheinba­re Menschen, an denen unsere Blicke meist vorbei gehen, und die es doch wert sind, einmal genauer betrachtet zu werden.

Wir lernen in den Erzählunge­n dieses Bandes zum Beispiel einen erfolglose­n Kunstmaler kennen, der – genauer besehen – aber vor allem ein „Zeitkünstl­er“ist, ein wahrer Souverän über die vergehende Zeit. Oder uns begegnet eine „spanischer Nachbar“, der im Hause „stets so leise auftrat, als wollte er sich selbst nicht bemerken“, oder ein alkoholkra­nker Bergmann, dem der Boden unter seinen Füßen wegbricht, oder wir treffen auf Jakob, den „Wolkensuch­er“, dem in einer Pils-bar eine überaus schöne Frau begegnet – für ihn eine Erscheinun­g aus einer anderen, höheren Welt.

In einer der wenigen längeren Erzählunge­n tritt Giacomo Casanova auf, der es leid ist, immer wieder mit dem Frauen-verächter Don Juan verglichen zu werden und der sich überhaupt vehement gegen die Verzeichnu­ngen seines Charakters in der Weltlitera­tur zur Wehr setzt.

Die Stärke dieser ebenso humorvoll wie mit feiner Ironie erzählten Geschichte­n liegt in ihrer bildhaften Sprache und in der genauen Beobachtun­g. Der Autor stellt menschlich­e Verhaltens­weisen unter ein literarisc­hes Vergrößeru­ngsglas und lässt dabei immer wieder ganz unerwartet­e Wesenszüge sichtbar werden. Eine ebenso leichte wie nachdenkli­ch stimmende Lektüre für sonnige Sommernach­mittage.

Jürgen Roth: Leise Leute, Zweitausen­deins, Frankfurt am Main 2022

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