Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Leipzigs Fußball-realität

ANALYSE RB Leipzig hat mit dem Dfb-pokal seinen ersten Titel gewonnen – nur 13 Jahre nach der Gründung des Vereins aus Sachsen. Über seine Daseinsber­echtigung wird bis heute diskutiert. Aber wie steht es um die Beziehung zwischen den Fans und ihrem Klub?

- VON ROBERT PETERS

In der vergangene­n Woche geschah Bedeutende­s in Leipzig. Der Verein „Rasenballs­port“Leipzig feierte sein 13-jähriges Bestehen – und nur zwei Tage später im DFBPokalfi­nale den ersten großen Titel der noch jungen Vereinsges­chichte.

Aber darf man das überhaupt schreiben? Verein? Die organisier­ten Fans in Deutschlan­d und große Teile der normalen Fußball-anhänger finden: Nein. Sie bezeichnen, was am 19. Mai 2009 in der sächsische­n Stadt entstand, als „Fußballkon­strukt“, als Werbefläch­e für die Produkte des Red-bull-konzerns, der 99 Prozent des Kapitals an der ausgeglied­erten Rasenballs­port Gmbh hält. Red Bull steht auch für zwei Kunstgriff­e, die dem Unternehme­nsbestandt­eil RB auf alle Zeit die Ablehnung traditions­bewusster Fans eintrug. Weil die Satzung des Deutschen Fußball-bundes eine Vereinsnam­ensgebung zu Werbezweck­en untersagt, schufen die Leipziger den Begriff Rasenballs­port. Bei RB hört selbstvers­tändlich jeder „Red Bull“, und das soll ja auch so sein.

Weil der Konzern von Mitbestimm­ung nicht zu viel hält, bietet er nur 21 stimmberec­htigten Mitglieder­n die Möglichkei­t, sich an der Vereinspol­itik zu beteiligen, 300 fördernde Mitglieder sind ebenfalls eingetrage­n. Das macht RB in den Augen der meisten Fußballfre­unde hierzuland­e endgültig zum Kunstprodu­kt – selbst wenn jeder weiß, dass die Mitglieder der großen Vereine ebenfalls nur sehr mittelbar an den Entscheidu­ngen ihrer Klubs teilnehmen. Sie dürfen aber immerhin darüber abstimmen, wen sie in Gremien entsenden, und sie reden bei den Mitglieder­versammlun­gen über die Entscheidu­ngen des Klubs. Sehr folgenreic­h ist das freilich nicht.

Die maßgeblich­en Gremien im deutschen Fußball finden allerdings schon, dass RB Leipzig ein Verein ist. Der Nordostdeu­tsche Fußballver­band (NOFV) gestattete den Leipzigern nicht nur, mit dem Startrecht des SSV Markranstä­dt 2009 in der fünftklass­igen Oberliga anzutreten. Er urteilte auch in Gestalt seines damaligen Präsidente­n Rainer Milkoreit anlässlich des Rb-aufstiegs in die zweite Bundesliga: „Für den Osten eine tolle Entwicklun­g.“

Sogar Matthias Sammer, der sich als Dresdner mit den Gefühlen in den 32 Jahre nach der Einheit immer noch sogenannte­n neuen Ländern auszukenne­n glaubt, stellte im Blick auf Arbeitsplä­tze und entstehend­e Fankultur nach dem Bundesliga-aufstieg der Leipziger fest: „Ein paar Traditiona­listen werden wieder rumschreie­n und weinen, aber das ist nicht in Ordnung. Wenn es Lokomotive und Chemie Leipzig nach der Wende nicht geschafft haben, ihre Kraft im Interesse des Fußballs vor Ort zu bündeln – dann gibt es immer einen lachenden Dritten.“

Doch wie steht es um die Fankultur bei Rasenballs­port Leipzig? Immerhin 24.000 Fans sind in 124 Clubs organisier­t. Und unter ihnen sind sicher viele, die es für eine gute Laune des Fußball-geschäfts halten, dass Leipzig wie auch immer zum Erstliga-standort geworden ist. Bei Heimspiele­n ist der Bereich der Rb-anhänger gut gefüllt, wenn es sich nicht gerade um Wochenspie­ltage im Pokal handelt. Das liegt vor allem daran, dass die Anreise nicht zu lang und das Wochenende auf der Tribüne auch Kindern zuzumuten ist.

Dazu ein paar Zahlen: Nach statistisc­hen Erhebungen, die jüngst von der „Bild“zitiert wurden, kommen 75 Prozent der Leipziger Fans aus der Stadt oder dem direkten Umfeld, der Rest aus Sachsen, Sachsen-anhalt, Thüringen und Brandenbur­g. Im Durchschni­tt ist der Stadionbes­ucher in Leipzig 37 Jahre alt, der Dauerkarte­nbesitzer gar 47. Bei den vergleichs­weise jugendlich­en Fans hat sich noch keine tragfähige Anhängersc­haft entwickelt. Diese Zahlen erklären die erstaunlic­he Reiseunlus­t der Rb-freunde. Während andere ( Traditions-)vereine in ihrem langen Bestehen ein Fundament leidensfäh­iger Fans aufgebaut haben, die auch die Mühen kostspieli­ger Reisen in die fernsten Ecken des Kontinents für angemessen­e Beiträge zum Vereinsleb­en halten, sind die Leipziger zunächst mal zufrieden mit dem Samstagnac­hmittag-vergnügen im eigenen Stadion. Die Führung der Leipziger Fußballfir­ma wirbt mit der familienfr­eundlichen Atmosphäre. Gegner verhöhnen das „Operettenp­ublikum“.

Auswärts ist es ohnehin still im Gästeblock. Die Fanseite „fußballmaf­ia.de“führt RB mit durchschni­ttlich 435 Auswärtsfa­hrern auf Rang 16 der Bundesliga-tabelle. Und nur 97 vereinsamt­e Fans verloren sich Anfang Mai im Süden des Borussia-parks von Mönchengla­dbach. Leipzig rechtferti­gte die armselige Bilanz mit dem für jeden Arbeitnehm­er unfreundli­chen Termin am Montagaben­d. Beim Europa

League-halbfinale zogen solche Argumente nicht. Aber auch dem ersten Höhepunkt der Saison zeigten die Leipziger die kalte Schulter. Von den 2500 Karten, die der Klub Glasgow Rangers nach den Uefa-richtlinie­n für Gäste reserviere­n musste, wurden lediglich 1000 abgerufen. Wenn das eine Abstimmung des Ostens über die Bedeutung von RB war, dann sagt es: Fußball in Leipzig hat etwas von einem Konzertbes­uch mit der ganzen Familie. Das muss man nicht schlimm finden, aber mit einer lebendigen Beziehung zwischen Fans und Klub (als solcher will RB ja gelten) hat es wenig zu tun. Es ist eher das Verhältnis: Kunden – Unternehme­n, ganz so, wie Red Bull sich das wohl vorstellt.

Am Samstag im Berliner Olympiasta­dion sah das beim DFB-POkalfinal­e zumindest von den Zahlen anders aus. Alle 26.000 Karten des Kontingent­s wurden abgerufen, Tausende Fans feierten den Pokaltrium­ph des Teams. Allerdings: Vom Leipziger bis zum Berliner Stadion sind es schließlic­h auch nur 179 Kilometer.

Zweite Liga, Rückspiel

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Bei Heimspiele­n ist die Arena in Leipzig durchaus auch gut mit Rb-anhängern gefüllt.

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