Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Vorfreude aufs Neun-euro-ticket
Das Neun-euro-ticket erlebt gerade eine typisch deutsche Karriere. Erst das Staunen darüber, dass auch hierzulande mal was rausgehauen wird. Einfach so. Für alle. Keine Staffelungen, keine Anträge, keine Berechtigungsprüfung. Einfach fast freie Fahrt für freie Bürger. Booster für Bus und Bahn. Doch die Vorfreude hat sich längst getrübt. Und natürlich gibt es gute Gründe für Kritik am Neun-euro-ticket, weil damit Subventionen ausgegossen werden, weil es punktuell und zeitlich begrenzt wirkt statt strukturell. Weil es viel Geld kostet, das nachhaltiger in die marode Infrastruktur hätte fließen können. Alles wahr. Aber könnte es sein, dass dieses Ticket den Leuten ein paar positive Ausblicke für den Sommer beschert? Und dass es gute Effekte haben könnte, wenn es nicht totgekrittelt wird?
Schließlich gibt es auch andere Subventionen, die besser in den öffentlichen Nahverkehr flössen. Außerdem muss man sich ja nicht in überfüllte Züge nach Berlin quetschen, man muss nicht 1001 Stunden nach München gondeln oder an die Strände von Sylt, nur weil das ginge. Man kann das Neun-euro-ticket einfach für die vielen Kurzstrecken nutzen, für die man sich sonst im Auto durch die Städte quält, Parktickets zieht, Knöllchen kassiert. Gut möglich, dass es Menschen nach der Corona-entwöhnung wieder auf den Bus- und Bahn-geschmack bringt. Und zwar in allen Gesellschaftsschichten. Das wird aber schwierig, wenn statt Vorfreude Häme grassiert. Und sich nur noch negative Erwartungen erfüllen können.
Man kann das Neun-euro-ticket auch verwenden, um das zu tun, was viele während der Pandemie doch für sich entdeckt haben: für Nahurlaub. Jenseits der Stoßzeiten. Auf den anderen Routen, die ins Bergische führen, in die Eifel, an den Niederrhein. Man wagt es kaum zu sagen, aber das könnte schön werden. Und das Ticket ein Erfolg.