Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Vorfreude aufs Neun-euro-ticket

- VON DOROTHEE KRINGS

Das Neun-euro-ticket erlebt gerade eine typisch deutsche Karriere. Erst das Staunen darüber, dass auch hierzuland­e mal was rausgehaue­n wird. Einfach so. Für alle. Keine Staffelung­en, keine Anträge, keine Berechtigu­ngsprüfung. Einfach fast freie Fahrt für freie Bürger. Booster für Bus und Bahn. Doch die Vorfreude hat sich längst getrübt. Und natürlich gibt es gute Gründe für Kritik am Neun-euro-ticket, weil damit Subvention­en ausgegosse­n werden, weil es punktuell und zeitlich begrenzt wirkt statt strukturel­l. Weil es viel Geld kostet, das nachhaltig­er in die marode Infrastruk­tur hätte fließen können. Alles wahr. Aber könnte es sein, dass dieses Ticket den Leuten ein paar positive Ausblicke für den Sommer beschert? Und dass es gute Effekte haben könnte, wenn es nicht totgekritt­elt wird?

Schließlic­h gibt es auch andere Subvention­en, die besser in den öffentlich­en Nahverkehr flössen. Außerdem muss man sich ja nicht in überfüllte Züge nach Berlin quetschen, man muss nicht 1001 Stunden nach München gondeln oder an die Strände von Sylt, nur weil das ginge. Man kann das Neun-euro-ticket einfach für die vielen Kurzstreck­en nutzen, für die man sich sonst im Auto durch die Städte quält, Parkticket­s zieht, Knöllchen kassiert. Gut möglich, dass es Menschen nach der Corona-entwöhnung wieder auf den Bus- und Bahn-geschmack bringt. Und zwar in allen Gesellscha­ftsschicht­en. Das wird aber schwierig, wenn statt Vorfreude Häme grassiert. Und sich nur noch negative Erwartunge­n erfüllen können.

Man kann das Neun-euro-ticket auch verwenden, um das zu tun, was viele während der Pandemie doch für sich entdeckt haben: für Nahurlaub. Jenseits der Stoßzeiten. Auf den anderen Routen, die ins Bergische führen, in die Eifel, an den Niederrhei­n. Man wagt es kaum zu sagen, aber das könnte schön werden. Und das Ticket ein Erfolg.

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