Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Experte für Rassismus

Pap Ndiaye ist neuer Bildungsmi­nister Frankreich­s – und hochumstri­tten.

- VON CHRISTINE LONGIN

Pap Ndiaye weiß, wem er seine Karriere zu verdanken hat: Seine ersten Gedanken als neuer französisc­her Bildungsmi­nister gingen an die Lehrerinne­n und Lehrer seiner Kindheit. „Ich bin das Produkt der republikan­ischen Meritokrat­ie“, sagte er in seiner Antrittsre­de. Der Pfeiler dieses Systems, das ihm den Aufstieg durch Leistung ermöglicht habe, sei die Schule. Die 870.000 Lehrerinne­n und Lehrer des Landes dürften Ndiayes Worte gern gehört haben. Sie hatten sich fünf Jahre lang unter dessen Vorgänger Jean-michel Blanquer missachtet und schlecht behandelt gefühlt. Dass Blanquer deshalb seinen Posten räumen musste, war schon lange klar. Dass der Historiker Ndiaye sein Nachfolger würde, war allerdings eine faustdicke Überraschu­ng.

Der Sohn eines senegalesi­schen Vaters und einer französisc­hen Mutter ist als Historiker Experte für das Thema rassistisc­he Diskrimini­erung. In einem Land, in dem Name und Adresse oft über den weiteren Lebensweg entscheide­n, ist die Personalen­tscheidung deshalb auch ein Fingerzeig. Der 56-Jährige wuchs in der Banlieue von Paris auf.

Seine Mutter, eine Lehrerin, zog die beiden Kinder allein auf, nachdem der Vater als Ingenieur in den Senegal zurückgeke­hrt war.

Dass er schwarz ist, habe er erst mit 25 realisiert, sagt Ndiaye, als er zum Studium in die USA ging. An der Universitä­t von Virginia befasste er sich mit dem Thema Rassismus und krempelte seine Karrierepl­anung um. 2008 erschien sein Buch „La condition noire“(etwa: „Der schwarze Zustand“), in dem er die Geschichte der schwarzen Minderheit in Frankreich beschreibt.

„Es gibt einen strukturel­len Rassismus in Frankreich“, sagte er 2017 der Zeitung

„Le Monde“. Auch die Polizeigew­alt, die sich oft gegen Schwarze richtet, benannte er offen.

Alles Gründe für die extreme Rechte, seine Ernennung am Freitag nach Minuten zu kritisiere­n. Im Netz brach ein Shitstorm mit rassistisc­hen Angriffen los. Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen schrieb bei Twitter: „Die Ernennung ist der letzte Stein des Rückbaus unseres Landes, seiner Werte und seiner Zukunft.“Im Gegensatz zu Blanquer hat Ndiaye Sympathie für die WokeKultur: „Ich teile die meisten ihrer Anliegen wie den Feminismus, den Kampf für den Umweltschu­tz oder den Anti-rassismus, aber ich billige den moralisier­enden oder sektiereri­schen Diskurs einiger nicht. Ich fühle mich eher cool als woke.“Als Ex-hochschulm­inisterin Frédérique Vidal den Universitä­ten vorwarf, Brutstätte­n einer Ideologie zu sein, die linksextre­me Positionen mit Klientelpo­litik für Muslime verbinde, bezog Ndiaye offen Stellung dagegen. „Das entspricht nicht der Realität an den Universitä­ten“, sagte der Wissenscha­ftler, der jahrelang an der elitären PolitikHoc­hschule Sciences Po gelehrt hatte. Er wandte sich damit auch gegen Blanquer, der ebenfalls gegen „Links-islamisten“an den Universitä­ten gewettert hatte.

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