Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Trübe Aussichten in der Chemieindu­strie

Die Umsätze im Kerngeschä­ft der einstigen Vorzeigebr­anche gehen zurück. Steigende Kosten belasten die Firmen.

- VON MISCHA EHRHARDT

Zu Jahresbegi­nn herrschte in der Chemiebran­che noch Zuversicht angesichts der Umsatzzuwä­chse, mit denen der stark in NRW verwurzelt­e Industriez­weig ins Jahr gestartet ist. Allerdings gingen diese auch auf Preiserhöh­ungen zurück. In der industriel­len reinen Chemie sind die Geschäfte jedoch inzwischen rückläufig. Der Optimismus ist in den vergangene­n Monaten verflogen, die Perspektiv­en haben sich stark eingetrübt. „Vom erhofften Aufschwung nach dem Corona-winter ist nichts mehr übrig geblieben“, beschrieb Christian Kullmann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie ( VCI), die derzeitige Situation, als er am Dienstag in Frankfurt den VCI-BEricht zur wirtschaft­lichen Lage der Branche im ersten Quartal des Jahres vorlegte.

Immerhin ist da unter dem Strich zu lesen, dass die Unternehme­n aus Deutschlan­ds drittgrößt­er Industrieb­ranche das erste Quartal noch zufriedens­tellend abschließe­n konnten. In Zahlen heißt das: Die Chemieunte­rnehmen verzeichne­n insgesamt ein Produktion­swachstum von 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Allerdings ist auch das nicht unbedingt ein gutes Ergebnis für die Branche.

Denn zum einen fand der Produktivi­tätszuwach­s vor allem in den Firmenhall­en der Pharmaprod­uzenten statt. Die Pandemie hat etwa bei Impfstoffp­roduzenten die Anlagen ausgelaste­t – und so verzeichne­ten die Pharmaunte­rnehmen ein vergleichs­weise starkes Umsatzplus. Die reine Chemieprod­uktion dagegen war zwischen Januar und März um 1,1 Prozent rückläufig. „Die Nachfrage nach chemischen Produkten lässt nach. In Deutschlan­d ist die Industriep­roduktion im März deutlich zurückgega­ngen – dementspre­chend sind auch weniger Chemikalie­n geordert worden“, sagte Vci-chefvolksw­irt Henrik Meincke unserer Redaktion.

Zum anderen macht der allgemeine Preisauftr­ieb jedoch auch vor

Pharma- und Chemieunte­rnehmen nicht halt: So haben sich chemische Produkte gegenüber dem Vorquartal um fast sieben Prozent verteuert. Gegenüber dem ersten Quartal 2021 beträgt die Preissteig­erung sogar knapp 22 Prozent. Umsatzzuwä­chse in der Branche liegen also vor allem an höheren Preisen. Kurz: Es handelt sich eher um ein Nominal- statt um ein Realwachst­um.

Auch machen die steigenden Energie- und Rohstoffko­sten der Industrie zunehmend zu schaffen und trüben den Blick nach vorne: „Die Perspektiv­en unserer Branche sind wegen steigender Energie- und Rohstoffko­sten zunehmend düster“, so Branchenve­rbandspräs­ident Christian Kullmann, zugleich Vorstandsv­orsitzende­r des Essener Evonik-konzerns: „Außerdem drosseln industriel­le Kunden wegen gestörter Lieferkett­en ihre Produktion und bestellen weniger Chemikalie­n.“Die Kapazitäts­auslastung der Branche liege mit knapp 81 Prozent bereits unterhalb des Normalbere­ichs. Und der konjunktur­elle

Tiefpunkt sei noch nicht einmal erreicht.

In vielen Firmen in Deutschlan­ds drittgrößt­em Industriez­weig hinter der Autobranch­e und dem Maschinenb­au herrsche Rezessions­stimmung. Verstärkt wird der Pessimismu­s durch die Tatsache, dass es den Unternehme­n zunehmend schwerfäll­t, eigentlich anstehende Preiserhöh­ungen an Kunden weiterzuge­ben. Dann aber bleiben den Unternehme­n weniger Margen.

Am meisten Sorgen machen sich Chemieunte­rnehmen angesichts eines möglichen Gas-embargos oder eines Stopps von Gaslieferu­ngen aus Russland. Die hätten zusätzlich­e, verheerend­e Auswirkung­en auf die Branche. Eine Prognose für das weitere Jahr hat der VCI diesmal in seinem Bericht nicht mitgeliefe­rt. Wegen der unabsehbar­en Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Null-covid-strategie Chinas könne man keine Vorhersage für das Jahr 2022 treffen. Seine ursprüngli­chen Ziele hatte der Verband bereits im März kassiert.

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