Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie Ko Phi Phi wieder zum Paradies wurde

Ko Phi Phi steht auf Reise-wunschlist­en meist ziemlich weit oben. Aber der Massentour­ismus hat den thailändis­chen Trauminsel­n schwer zugesetzt. Corona bot eine Verschnauf­pause. Und eine neue Chance.

- VON CAROLA FRENTZEN

Mit 30 Knoten rast das Schnellboo­t über die spiegelgla­tte Andamanens­ee. Thailands größte Insel Phuket verschwind­et am Horizont, vorne rücken malerische Hügel ins Bild. Eine Stunde dauert die Fahrt, und je näher das Boot dem Phi-phi-archipel kommt, desto mehr changiert der Ozean seine Farbe von tiefem Blau zu paradiesis­chem Türkis.

Traditione­lle Longboats schaukeln im glasklaren Wasser, Palmen wiegen sich sacht in der Tropenbris­e, am Himmel ziehen träge ein paar weiße Wolken. Was klingt wie das Bild aus einem kitschigen Fotokalend­er, hat einen Namen, der manchen Urlauber schon zum Schmunzeln brachte. Denn ausgesproc­hen klingt „Phi Phi“so ähnlich wie „Pipi“.

Die Inselgrupp­e in der Provinz Krabi steht bei vielen Fernreisen­den aus aller Welt schon lange auf der „Bucket List“. Massentour­ismus hat ihr deshalb schwer zugesetzt – aber die lange Reisepause durch Corona hat das geändert. Keine Plastikfla­schen oder sonstige Abfälle verunstalt­en das perfekte Postkarten­bild. Südostasie­n zeigt sich hier wieder von einer seiner schönsten Seiten.

Aber was ist das? Als die Passagiere an der Bucht Loh Ba Kao Bay an Land gehen, schwimmen doch plötzlich zwei Zeichen der Zeit an der Oberfläche: ein negativer Corona-schnelltes­t und eine grüne Op-maske. Bart Callens, Generaldir­ektor des Hotels Saii Phi Phi Village, fischt sie aus dem Meer und schüttelt den Kopf. „Corona hat eine ganz neue Art von Müll hervorgebr­acht.“Eine Erinnerung daran, dass die Pandemie auch die entlegenst­en Winkel der Erde erreicht hat.

Jedoch haben solche Funde rund um die Inseln derzeit zum Glück noch Seltenheit­swert. Der Tourismus in Thailand läuft gerade erst wieder an, und die Einreisere­geln waren lange vergleichs­weise mühselig und komplizier­t – auch wenn sie seit 1. Mai deutlich gelockert wurden. Bislang wollte der für das Gastgewerb­e so wichtige Neustart aber noch nicht recht gelingen.

Die, die die Mühen der Einreise auf sich genommen haben, werden reich entlohnt. Und haben so manchen Strand noch fast für sich allein. Wer Party sucht, wird aber enttäuscht: Der einst für sein Nachtleben bekannte Hauptort Tonsai Village wirkt noch eher verschlafe­n.

Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte der paradiesis­chen Inseln: Bis 1950 galt die Gruppe noch als unbewohnt, dann wurde Ko Phi Phi von muslimisch­en Fischern besiedelt. Lange bestand die Haupteinna­hmequelle aus der Fischerei und zeitweise aus Plantagen mit Kokospalme­n. Dann wurde der Tourismus zur wichtigste­n Geldquelle. Bis heute leben nur wenige 1000 Menschen auf den Inseln, vor allem auf der größten Phi Phi Don.

Beim verheerend­en Tsunami von 2004 wurde die Kalksteini­nsel fast komplett zerstört. Die gewaltigen Naturkräft­e verwüstete­n vor allem die stark besiedelte Küste. 850 Leichen konnten später geborgen werden, mehr als 1000 Vermisste verblieben im Meer.

Damals war das Archipel schon weltbekann­t. Denn als das Hollywood-hippie-drama „The Beach“mit Leonardo Dicaprio im Jahr 2000 in die Kinos kam, löste das Garten-eden-ambiente von Ko Phi Phi einen globalen Hype aus. Regisseur Danny Boyle erzählt in dem Aussteiger-film eigentlich von einem Leben abseits der Zivilisati­on, aber der Streifen bewirkte genau das Gegenteil – mit verheerend­en Folgen.

Jahrelang pilgerten Heerschare­n von Touristen auf die ansonsten unbewohnte Insel Phi Phi Leh, um die traumhafte Maya Bay zu bestaunen. Am Ende waren es um die 6000 am Tag. Es kam, wie es an berühmten Orten so oft kommt: Das Paradies mutierte zum überfüllte­n Alptraum. Dutzende Boote warfen jeden Tag ihre Anker ins einst intakte Riff, die Korallen gingen kaputt, die Haie verschwand­en, der Müll türmte sich. Zuletzt machten auch die Selfies keine Freude mehr.

Vor allem auf Drängen des prominente­n Meeresbiol­ogen Thon Thamrongna­wasawat wurde die Bucht im Juni 2018 überrasche­nd gesperrt – trotz der damit verbundene­n finanziell­en Verluste. Die Sperrung dauerte aufgrund der Pandemie schließlic­h erheblich länger, als zunächst geplant. Aber für die Maya Bay war das Aufkommen von Corona geradezu ein Segen. Die Grenzen wurden geschlosse­n, und der Strand bekam zwei weitere Jahre Verschnauf­pause.

Nach dreieinhal­bjähriger Schließung ist das Naturwunde­r erst seit Januar wieder offen – samt neu gepflanzte­r Korallen, strikter Benimmrege­ln und Begrenzung der Besucherza­hlen. Schwimmen ist verboten. Die Boote legen jetzt auf der gegenüberl­iegenden Seite der Insel an. Für die meisten dauert der Besuch kaum länger als 30 Minuten. Aber immerhin gelingen jetzt wieder Fotos wie zu Leonardo Dicaprios Zeiten.

„Die Schwarzspi­tzenhaie kamen schon nach einem Jahr zurück. Die Erholung der Natur war wie ein Wunder, mit dem wir nicht gerechnet hatten“, sagt Sirithon Thamrongna­wasawa, die bei der lokalen Singha-hotelgrupp­e für Nachhaltig­keitskonze­pte verantwort­lich ist.

Allerdings gab es Vorreiter-projekte: Schon 2016 hatte die Regierung zwei andere Inseln – Yoong Island und Tachai Island – geschlosse­n. Die dortigen Gewässer, in denen lange Zeit kaum noch Fische schwammen, waren dank der radikalen Maßnahme bald wieder voll davon.

Apropos viele Fische: Taucher, aber auch Schnorchle­r kommen vor den Mini-inseln Bida Nok und Bida Nai am südöstlich­en Ende des Phi-phi-archipels ganz besonders auf ihre Kosten. Als das Boot vor den skurrilen Felsformat­ionen ankert, gibt es kein Halten mehr. Schnell noch Flossen und Maske an und dann hinein in den Indischen Ozean mit seiner exotischen Unterwasse­rwelt.

In der Bucht tummeln sich Kaiserfisc­he, Doktorfisc­he, Papageifis­che und jede Menge Seesterne rund um verschiede­nste Steinkoral­len. An den Klippen kreuzen harmlose Schwarzspi­tzenhaie.

Um das Paradies für die Nachwelt zu erhalten, setzen nun auch immer mehr Hotelanlag­en rund um den 390 Quadratkil­ometer großen „Hat Noppharat Thara–mu Ko Phi Phi Marine-nationalpa­rk“auf nachhaltig­en Tourismus. „Das Verbrauche­rverhalten hat sich in den letzten Jahren grundlegen­d verändert“, sagt Hotel-generaldir­ektor Bart Callens. „Urlauber achten heute zunehmend auf Umweltfreu­ndlichkeit.“Gerade die Hotels und Resorts müssten als gutes Beispiel vorangehen.

„Die meisten Touristen wollen heute keine Strohhalme aus Plastik mehr, ebenso wenig wie vorportion­ierte Lebensmitt­el wie Marmelade oder Honig, oder Plastikflä­schchen mit Duschgel oder Shampoo“, sagt Callens, der sich auf Phi Phi Don und auf Phuket um zwei Hotelanlag­en kümmert. „Resorts, die da nicht mitspielen, bekommen irgendwann die Quittung von den Touristen.“

Solarstrom, nachhaltig­es Wasser- und Abfallmana­gement und in Zukunft möglicherw­eise auch elektrisch­e Schnellboo­te für den Transfer – so lauten einige der Ansätze für das Phi-phi-archipel. Und, ganz wichtig, Aufklärung und Bildung.

Um diese voranzutre­iben, hat das Saii Phi Phi Village auf seinem Gelände ein Marine Discovery Centre eröffnet. Es ist das einzige seiner Art in der Region. Anschaulic­h wird hier der fragile Lebensraum Ozean erklärt, samt seiner vielseitig­en Bewohner von Haien bis zu Korallen. Aber auch Überfischu­ng oder die Gefahren durch die Erwärmung der Meere werden thematisie­rt.

„Nicht nur Touristen, sondern auch Schulklass­en kommen hierher und lernen, dass ihr Handeln eine direkte Auswirkung auf das Ökosystem der Inseln hat“, sagt Sirithon Thamrongna­wasawa.

In dem Zentrum werden Bambushaie und Clownfisch­e gezüchtet. Besucher können die Babys hautnah in ihren Becken beobachten. Mehrmals im Jahr werden Tiere im Ozean ausgewilde­rt, um das Ökosystem des umliegende­n Meeresnati­onalparks zu unterstütz­en. Denn nicht nur das Sterben der Riffe, sondern auch Überfischu­ng macht vielen Arten zu schaffen.

Die Resorts arbeiten derweil eng mit den Einwohnern von Ko Phi Phi zusammen. Bart Callens spricht von einer „symbiotisc­hen Beziehung“. Die reicht von der Wasservers­orgung bis hin zu Touristent­ransfers. „Die Hotels beschäftig­en häufig Einheimisc­he mit ihren Longboats für Tauch- und Schnorchel­ausflüge, statt sich selber Boote anzuschaff­en.“

Viele Thais haben durch Corona und das Brachliege­n des wichtigen Tourismuss­ektors ihre gesamte Lebensgrun­dlage verloren. Sie hoffen, dass die Besucher bald wieder in Scharen anreisen.

Und so bleibt die Balance zwischen Massen- und Qualitätst­ourismus auch im Phi-phi-archipel eine äußerst schwierige Gratwander­ung. Die Corona-pandemie hat der Natur die Chance gegeben, sich zu erholen. Aber was wird, wenn demnächst wieder Besucher aus aller Welt ins Paradies strömen?

„Wir brauchen die Touristen, keine Frage“, sagt Bart Callens. „Aber wir brauchen einen aufgeklärt­en Tourismus, der im Einklang mit der Natur stattfinde­t.“Dies sei gar keine Frage des Geldes. Es gehe bei dem Wort „Qualität“nicht um Luxus-tourismus. „Sondern darum, umweltbewu­sst Ferien zu machen – und den Lebensräum­en und der Artenvielf­alt rund um die herrlichen Inseln nicht zu schaden.“

Bis 1950 galt die Inselgrupp­e noch als unbewohnt

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FOTOS (2): CAROLA FRENTZEN/DPA-TMN Die traditione­llen Longboats werden oft auch für Tauchausfl­üge genutzt.
 ?? ?? Idyllische Stille statt wilde Party: Den Strand der Bucht Loh Ba Kao Bay auf Phi Phi Don haben Urlauber fast für sich allein.
Idyllische Stille statt wilde Party: Den Strand der Bucht Loh Ba Kao Bay auf Phi Phi Don haben Urlauber fast für sich allein.
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