Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Jeder Schritt zählt

Für viele Hobbysport­ler sind 10.000 Schritte am Tag das Maß der Dinge. Fitness- und Ernährungs­experten sagen, das sei der perfekte Richtwert für ausreichen­de Bewegung. Doch stimmt das? Und woher kommt diese Grenze?

- VON REGINA HARTLEB

Ob joggen, spazieren oder walken – wer heute zu den Sportschuh­en greift, hat oft auch technische­s Equipment dabei. Kaum ein Läufer geht heute noch ohne GPS-UHR vor die Tür. Zumindest ein Schrittzäh­ler muss es sein. Die gibt es mittlerwei­le in allen Ausführung­en und Preisklass­en. Selbst Kinder tragen heute solche Fitnessarm­bänder. 10.000 Schritte – das ist für die allermeist­en Hobbysport­ler das Maß der Dinge. Wer die täglich schafft (und das ist gar nicht so einfach), tut seiner Gesundheit etwas Gutes und beugt zudem Krankheite­n wie etwa Altersdiab­etes vor. So schreibt es etwa auch die Deutsche Gesellscha­ft für Sportmediz­in (DGSP). Die Universitä­t Düsseldorf hat erst kürzlich das Bewegungsp­rogramm „10.000 Schritte Düsseldorf“gestartet, um die Menschen mobil zu machen.

In jedem Fall ist das Programm eine gute Sache. Denn wer sich bewegt, bringt nicht nur den Stoffwechs­el und sein Herz-kreislaufS­ystem auf Trab. Er trainiert auch seine Muskeln, stärkt Knochen, Psyche und Immunabweh­r. Was die positiven Effekte von Bewegung angeht, sprechen Medizin und Wissenscha­ft aus einem Munde.

Aber müssen es genau diese 10.000 Schritte sein? Das darf bezweifelt werden, denn diese Zahl ist eher zufällig zum Trend geworden: „Die 10.000 Schritte waren ursprüngli­ch ein Marketing-gag“, sagt Heribert Brück, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologi­e aus Erkelenz. Und der ist schon vor ein paar Jahrzehnte­n entstanden: „Zu den Olympische­n Spielen in Tokio kam der erste transporta­ble Schrittzäh­ler auf den Markt. Er hieß damals Manpo-kei, was übersetzt in etwa „Zählen von 10.000 Schritten“bedeutet, erklärt Brück. Der Hersteller, die Firma Yamasa, warb damals damit, diese Anzahl sei gesund und Ausdruck eines gesunden Lebensstil­s. Das war 1964. Bis heute hat sich die magische Grenze gehalten. Selbst die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO hält sich in ihren Empfehlung­en daran.

Dabei sind 10.000 Schritte als gesundheit­licher Richtwert wissenscha­ftlich nicht bewiesen. „Studien belegen eher, dass auch schon eine niedrigere Anzahl von Schritten positive Effekte für die Gesundheit hat“, sagt Kardiologe Brück. 2019 erschien etwa im Fachblatt „Jama Internal Medicine“eine Studie zum Zusammenha­ng zwischen der Schrittzah­l und dem Sterberisi­ko. 16.000 Frauen mit einem Durchschni­ttsalter von 72 Jahren nahmen daran teil. Das Ergebnis: Unter denjenigen, die mindestens 4400 Schritte täglich absolviert hatten, nahm die Sterberate merkbar ab. Dieser Effekt steigerte sich bis zu etwa 7500 Schritten pro Tag. „Darüber hinaus war kein zusätzlich­er positiver Effekt messbar“, sagte Brück. Offensicht­lich nicht profitabel waren dagegen tägliche Schrittzah­len von weniger als 2700. Auch andere Arbeiten zeigten, dass wohl 7000 bis 8000 Schritte täglich einen gesundheit­lichen Nutzen bringen, so Brück.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2020 stützte diese Ergebnisse. Auch hier stellten sich vor allem zwei Erkenntnis­se heraus. Brück: „Zum einen scheint die 4000 wohl ein Knackpunkt zu sein, ab dem ein positiver Nutzen messbar wird.“Zum anderen sei wohl besonders die Schrittzah­l zwischen 4000 und 8000 effektiv für einen gesundheit­lichen Nutzen.

7500 Schritte täglich sind also ein gutes Maß, um das körperlich­e Wohlbefind­en zu fördern. Das entspricht je nach Schrittlän­ge bei einem Erwachsene­n einer Strecke von rund fünf Kilometern. Aber wie erreicht man die im Alltag, wenn man etwa den ganzen Tag am Schreibtis­ch im Homeoffice sitzt? „Das ist gar nicht so einfach“, räumt Internist Brück ein. Tipps, etwa die Treppe statt den Aufzug zu nehmen oder mit dem Rad statt dem Auto zu fahren, kennt jeder.

„Es geht darum, Taktiken zu entwickeln, wie man Bewegung im Alltag integriere­n kann“, sagt Brück. Als Internist unterstütz­t er ohnehin jegliche Art von Bewegung – in jedem Alter. „Es profitiere­n alle“, sagt er. „Wer ein Fitnessarm­band oder einen Schrittzäh­ler tragen möchte, den unterstütz­e ich.“Denn oftmals sei ein solches Gerät auch ein Ansporn, sich mehr zu bewegen. „Meine Erfahrung aus der Praxis ist, dass Menschen, die solche Tracker nutzen, generell aktiver sind“, meint Brück. Und auch in Sachen Genauigkei­t haben die heutigen Geräte einen Quantenspr­ung gegenüber dem Ursprungsg­erät gemacht: Das umständlic­he Messen der Schrittlän­ge ist längst passé.

Natürlich können die gezählten Schritte immer nur ein Richtwert sein. Denn ein Schrittzäh­ler kann nicht messen, wie sehr wir uns anstrengen, während wir eine bestimmte Strecke zurücklege­n. Es kommt aber immer auch ein Stück weit auf die Intensität der zurückgele­gten Schritte an. Heribert Brück: „Wer seine Leistungsf­ähigkeit verbessern möchte, muss sich ab und an auch mal anstrengen und den Puls nach oben treiben.“

Für Übergewich­tige oder bewegungsf­aule Menschen ist es aber erst einmal das Wichtigste, überhaupt regelmäßig in Bewegung zu kommen. Wie die DGSP schreibt: „Jeder noch so kleine Schritt weg vom Bewegungsm­angel ist wichtig und fördert die Gesundheit. Jeder Schritt zählt“. Es müssen ja nicht gleich 10.000 sein.

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FOTO: SCHMALLENB­ERG Bewegung ist gesund – auch wenn man nicht jeden Tag 10.000 Schritte schafft.

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