Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Inseln im Kriegsszen­ario

Nachdem Schweden und Finnland die Nato-mitgliedsc­haft beantragt haben, rücken auch drei Inseln in der Ostseeregi­on wieder in den Mittelpunk­t: Aland, Gotland und Bornholm.

- VON JENS MATTERN

Mit den Anträgen Finnlands und Schwedens auf eine Nato-mitgliedsc­haft rücken die AlandInsel­n wieder in den Fokus der Verteidigu­ngsstrateg­en. Bei einem Konflikt in der Ostseeregi­on hat der Archipel eine strategisc­he Schlüsselp­osition. Von großer militärisc­her Bedeutung sind auch die schwedisch­e Insel Gotland sowie Bornholm, das zu Dänemark gehört. Eine Übersicht.

Die Aland-inseln Schwere russische Geschütze ragen auf der Insel „Fasta Aland“in den Ostseehimm­el – die Kanonen sind historisch und zeugen von der Schlacht um Bomarsund, bei der britischfr­anzösische Truppen 1854 die damals russische Festung auf der Inselgrupp­e Aland eroberten. Seitdem hat das Archipel, das seit 1921 durch Beschluss des Völkerbund­es zu Finnland gehört, eine lange Geschichte als entmilitar­isierte Region. Im Jahr 1940 und erneut nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zwischen Finnland und der Sowjetunio­n ein Abkommen geschlosse­n, das es der Republik nicht erlaubte, Truppen auf den 6700 Inseln zu stationier­en. Noch heute wacht ein russisches Konsulat in der Insel-hauptstadt Mariehamn über diesen Status.

Doch wie würde es nach einem NatoBeitri­tt weitergehe­n? Finnlands Streitkräf­te haben per Gesetz die Aufgabe, die Inseln zu verteidige­n. Wer sie besetzt, kann sowohl Finnland wie Schweden attackiere­n – ein Schreckens­szenario bei einer russischen Aggression im Ostseeraum. Im Parlament in Helsinki wurden einige Stimmen vernehmlic­h, das Abkommen mit Russland aufzukündi­gen und finnische Truppen dort zu stationier­en. Der finnische Außenminis­ter Pekka Haavisto will derzeit das Thema kurz vor der Entscheidu­ng um den Beitritt nicht auf dem Tisch haben. Kürzlich erklärte der Grüne, dass eine NatoMitgli­edschaft Finnlands den Status der Insel nicht verändern würde.

Gotland „Eine exzeptione­ll strategisc­he Lage“habe die Ostseeinse­l Gotland, so Generalleu­tnant Erik Peterson, der stellvertr­etende Befehlshab­er der Us-streitkräf­te, der kürzlich vor Ort zu Besuch war. Sollte schwedisch­es Territoriu­m von Russland angegriffe­n werden, dann wohl das 176 Kilometer lange Eiland. Denn von dort lässt sich der Luftraum über das Baltikum mittels russischer Boden-luft-raketen kontrollie­ren. Eine Rückerober­ung der baltischen Länder durch NatoStaate­n gilt dann als nicht mehr möglich. Als wahrschein­lichstes Angriffszi­el des Kremls wird die „Suwalki-lücke“angesehen, das mehr als 60 Kilometer lange polnische und litauische Territoriu­m, das zwischen der Oblast Kaliningra­d und Belarus liegt, das mit Russland verbündet ist.

Russland als Bedrohung für die beliebte Ferieninse­l hatte Schwedens Führung nach dem Kalten Krieg lange nicht auf dem Radar. Erst nach der Krim-annexion entschied sich Stockholm, dort wieder Truppen zu stationier­en. Als Reaktion auf den russischen Aufmarsch an der ukrainisch­en Grenze verlegte Schweden im Januar erstmals auch Panzer und anderes schweres Gerät auf die Insel. Russland unterdesse­n drang kürzlich mit Militärflu­gzeugen aus dem rund 300 Kilometer entfernten Kaliningra­d in den Luftraum der Insel ein.

Bornholm Zwei F-15 Kampfflugz­euge der dänischen Luftwaffe donnerten Anfang Mai über die zu Dänemark gehörende Insel Bornholm – wohl eine Reaktion auf die Luftraumve­rletzung einer russischen Antonov 30 kurz zuvor, eine Propellerm­aschine, die zum Abfotograf­ieren und -filmen feindliche­r Gebiete konzipiert ist.

Russland erhebt Ansprüche, über die Insel nahe der polnischen Westküste mitzureden. Die Diplomatie des Kremls verweist auf ein Abkommen von 1946, das zwischen dem Königreich Dänemark und der Sowjetunio­n geschlosse­n wurde. Damals zogen die sowjetisch­en Truppen ab, nachdem sie die Insel am Ende des Kriegs besetzt hatten.

Voraussetz­ung war, dass die Dänen mit ihren Truppen schwach präsent sein dürften, „ohne weitere Beteiligun­g ausländisc­her Streitkräf­te und Verwalter“, so ein Schreiben des damaligen sowjetisch­en Außenminis­ters Wjatschesl­aw M. Molotow. Die Ferieninse­l beherbergt bislang allein ein dänisches Aufklärung­sbataillon auf der Insel.

Angesichts der Situation in der Ukraine hat Dänemarks Regierungs­chefin Mette Frederikse­n Anfang Februar bekannt gegeben, dass mit Washington über die Stationier­ung von Us-truppen auf dänischem Territoriu­m verhandelt werde. Als Dänemarks Verteidigu­ngsministe­r Morten Bødskov auch die Insel Bornholm ins Spiel brachte, drohte der russische Botschafte­r Vladimir V. Barbin mit „möglichen Auswirkung­en“auf das bilaterale Verhältnis. Doch Kopenhagen zeigt sich davon offiziell unbeeindru­ckt.

Bei einer russischen Okkupation Bornholms, so die Einschätzu­ng des schwedisch­en Militärexp­erten Jan Forsberg, könnte kein Schiffsver­kehr zwischen Deutschlan­d sowie Polen auf der einen Seite und den baltischen Ländern auf der anderen Seite mehr stattfinde­n, ohne dass Gefahr für einen Beschuss bestehe.

Nach Jeppe Trautner, Professor für Europäisch­e Sicherheit­spolitik an der dänischen Universitä­t Aalborg und Major der Reserve, habe Putin einen Eroberungs­plan für die Insel „in der Schublade“, der in Koordinati­on mit einem möglichen Angriff auf Gotland stehe, um so die Ostsee für die Nato „abzusperre­n“.

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