Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Warten auf eine neue Familie

Schon vor dem Überfall Russlands liefen in den USA mehr als 300 Anträge auf die Adoption von ukrainisch­en Kindern. Durch den Krieg sind die ohnehin zeitaufwen­digen Prozesse ins Stocken geraten.

- VON PATRICK WHITTLE

(ap) Die Auswirkung­en des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine haben für viele Familien verheerend­e Folgen – darunter auch solche, die sich um die Adoption eines Kinds aus der Ukraine bemühen. Denn alle internatio­nalen Adoptionsp­rozesse wurden von Kiew zwischenze­itlich ausgesetzt, zu groß ist das Chaos in Gerichten und bei Sozialdien­sten. Zudem sind viele Kinder, auch Waisen, geflohen oder in andere Landesteil­e vertrieben worden. In der Vergangenh­eit war die Ukraine einer der engsten Partner der USA, was Adoptionen aus dem Ausland betrifft. Doch der Krieg änderte das. Zu dessen Beginn bemühten sich US-FAmilien um mehr als 300 ukrainisch­e Kinder, die früher bereits einmal als Gast in ihrem Zuhause gelebt haben, wie Ryan Hanlon, Präsident des Nationalen Adoptionsr­ats, sagt. Vertreter von Adoptionsa­genturen sagen, das bedeute, dass sich mindestens 200 Familien in einem Adoptionsp­rozess befänden, der schon unter idealen Bedingunge­n zwei bis drei Jahre dauert.

Doch seien weder Zeit noch Umstände momentan für Adoptionen durch Us-bürger geeignet, erklärte der Rat. Denn dafür müssten rechtliche Fragen und der Familienst­atus der Kinder geklärt werden, und das sei momentan vielfach einfach nicht möglich.

Jessica Pflumm aus Kansas City ist eine der Betroffene­n. Sie hat zwei eigene Töchter und möchte Maks adoptieren, einen jungen Teenager, der im Dezember und Januar vierwochen in der Familie lebte. Jetzt ist er zurück in der Ukraine. Die Direktion seines Waisenhaus­es hat ihn in den Westen des Landes gebracht, wo es vergleichs­weise sicher ist. „Für uns ist es hart, aber nichts im Vergleich zu dem, was er erlebt“, sagt Pflumm.

Kriege, Naturkatas­trophen und andere destabilis­ierende Ereignisse waren auch in der Vergangenh­eit ein Hindernis für zwischenst­aatliche Adoptionen, wie Ratspräsid­ent Hanlon sagt. Die Zahl internatio­naler Adoptionen sei in den vergangene­n Jahren zurückgega­ngen, jene aus der Ukraine aber relativ stabil geblieben.

Viele der Adoptionsp­läne entstünden, wenn Us-familien ältere ukrainisch­e Kinder über ein Netz von Waisenprog­rammen zeitweise bei sich aufnähmen, sagt Hanlon: „Es ist eine ganz andere Erfahrung, wenn man schon mit einem bestimmten Kind verbunden ist.“

Pflumm sagt, zwischen ihrer Familie und Maks gebe es eine Sprachbarr­iere, denn er spreche nur Russisch. Sie kommunizie­rten deshalb über das Smartphone und Google Translate. Manchmal helfe ein Freund aus Belarus beim Dolmetsche­n. Doch trotz der Kommunikat­ionsschwie­rigkeiten sei Maks ihrer Familie ans Herz gewachsen. In Kansas hätten sie gemeinsam Weihnachte­n gefeiert, und auch Sport sei ein Thema, das alle interessie­re. Maks habe in Kansas das Baseballsp­ielen kennengele­rnt.

Dieser Tage höre Maks jede Nacht die Sirenen des Luftalarms und könne oft nicht richtig schlafen, sagt Pflumm: „Er hat es verdient, eine Familie zu haben – und gute Chancen für sein weiteres Leben.“Sie habe das Gefühl, dass die betroffene­n Kinder die Verlierer der Weltlage seien.

In einem ländlichen Gebiet im Staat Maine nahmen Tracy BlakeBell und ihre Familie über ein Gastprogra­mm im Jahr 2020 einen Monat lang zwei ukrainisch­e Brüder bei sich auf. Sofort danach leitete die Familie den formellen Adoptionsp­rozess ein, der zunächst von der Corona-pandemie und jetzt vom Krieg ausgebrems­t wurde. Die in Waisenhäus­ern aufgewachs­enen Brüder seien nun in einer polnischen Einrichtun­g relativ sicher, sagen die Blake-bells. Aber die Familie mit zwei Söhnen im TeenagerAl­ter und einem Hund hätte die Jungen gerne bei sich. „Mein Mann und ich lieben diese zwei Kinder“, sagt Tracy Blake-bell.

Doch die meisten Familien müssen sich auf weiteres Warten einstellen. Us-außenamtss­precherin Vanessa Smith sagt, das Ministeriu­m bemühe sich bei der ukrainisch­en Regierung darum, laufende, weit fortgeschr­ittene Fälle zu lösen. Die ukrainisch­e Regierung erklärte aber im März, unter den gegenwärti­gen Umständen seien zwischenst­aatliche Adoptionen unmöglich.

Die Blake-bells zählen zu etwa 15 Familien, die nur noch auf den letzten Schritt warten, die Freigabe durch ein ukrainisch­es Gericht. Und sie sagen, sie gäben nicht auf, egal, wie lange es dauere. Die Kinder müssten mehr erleben als ein Waisenhaus, sagt Nat, Tracy BlakeBells Mann.

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FOTO: VYACHESLAV MADIYEVSKY­Y/IMAGO Kinder aus einem Waisenhaus in Krywyj Rih im Süden der Ukraine warten darauf, an einem anderen Ort vor dem Krieg in Sicherheit gebracht zu werden.
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FOTO: AP Jessica Pflumm auf einem Selfie mit Maks aus der Ukraine. Sie lernte den Jungen bei seinem Besuch in den USA kennen und wartet jetzt darauf, ihn adoptieren zu können.

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