Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Die Schulden tun uns weh“
Der Fdp-parlamentsgeschäftsführer ist überzeugt, dass die Ampel 2023 die Schuldenbremse einhalten wird – auch wenn noch weitere Entlastungen kommen.
Herr Vogel, die FDP hat bei den Landtagswahlen schlecht abgeschnitten. Muss die FDP in der Ampel jetzt aggressiver auftreten?
VOGEL Bei den Landtagswahlen in Schleswig-holstein und NRW haben wir gesehen, dass Erfolge der FDP ganz wesentlich von den jeweiligen Regierungschefs der Union vereinnahmt worden sind – und die FDP das zugelassen hat. Wir müssen immer deutlich machen, dass die Freien Demokraten kein Beiwerk eines Regierungschefs sind. Auf Bundesebene haben wir aber eine ganz andere Konstellation. Hier war von vornherein klar, dass drei ganz unterschiedliche Parteien gemeinsam das Land voranbringen wollen. Da hilft es nichts, wenn man nur aggressiver gegen die Koalitionspartner vorgeht. Es muss trotzdem immer deutlich werden, welcher Partner für welche Idee und welche Haltung steht. Das ist auch wichtig als Geschäftsgrundlage für andere künftige Dreier-koalitionen im neuen Parteiensystem, etwa auch Jamaika.
Apropos Parteien: In der Hauptstadt könnte es sein, dass wegen vieler Schlampereien die Bundestagswahl wiederholt werden muss. Befürchten Sie Mandatsverluste?
VOGEL Ich fürchte vor allem um das Bild, das Deutschland abgibt, wenn die Hauptstadt nicht in der Lage ist, eine Wahl zu organisieren. Auf welche Sitze sich eine etwaige Nachwahl auswirken würde, wäre wegen der komplizierten Wirkungen von Überhangs- und Ausgleichsmandaten kaum kalkulierbar.
Wodurch will die FDP im Bund künftig sichtbarer werden?
VOGEL Modernisierungsprojekte, die uns besonders wichtig sind, sind etwa die Aktienrente, die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, die Modernisierung des Einwanderungsrechts, das Bürgergeld...
Unter dem Bürgergeld, das Hartz IV ablösen soll, scheint die SPD aber anderes zu verstehen als die FDP: Arbeitsminister Heil will mit der Reform auch die Höhe der Grundsicherung spürbar anheben.
VOGEL Im Koalitionsvertrag haben wir klar vereinbart, dass an den Regeln zur Festsetzung der Grundsicherung nicht gerüttelt wird. Wenn Hubertus Heil sagt, wir müssen Geringverdiener entlasten, dann hat er aber recht. Ich erwarte daher, dass die SPD beim Ausgleich der kalten Steuerprogression im Herbst mitmacht. Denn die bedeutet gerade für kleine und mittlere Einkommen, dass der Staat in Zeiten hoher Inflation von Gehaltssteigerungen so viel über die Steuer wegnimmt, dass die Bürger trotz Gehaltsplus weniger kaufen können als vorher.
Die Einführung des Bürgergelds 2023 bedeutet für Sie nicht, dass die Grundsicherung deutlich steigt?
VOGEL Ich verstehe die Äußerungen des Arbeitsministers so, dass er wegen der Inflation weitere Entlastungen unterstützt. Verabredet ist beim Bürgergeld, dass die Leistung einfacher und unbürokratischer, chancen- und aufstiegsorientierter wird und die Zuverdienstregeln deutlich verbessert werden. Die Regeln zur Berechnung der Regelsätze sollten wir aber so lassen, wie sie sind, die Inflation spielt bei der jährlichen Anpassung ja ohnehin eine herausragende Rolle. Weil diese erst nächstes Jahr wirkt, haben wir zu Recht gerade eine Einmalzahlung beschlossen.
Minister Heil hat weitere Entlastungen wegen der hohen Energiepreise angekündigt. Kann er das tun, ohne die Koalitionspartner vorher zu fragen?
VOGEL Ich freue mich über jeden Vorschlag, der die Bürgerinnen und Bürger entlastet – wir sind ja leider Weltmeister bei Steuern und Abgaben. Natürlich beobachten wir gemeinsam, wie sich die Inflation weiter entwickelt, wie sich etwa ein Ölembargo auswirken würde. Dann schauen wir, welche weiteren Entlastungsschritte nötig sind. Die Bekämpfung der kalten Progression springt einen ja geradezu an, wenn es um weitere wirksame Entlastung geht. Da nehme ich den Arbeitsminister schon mal beim Wort.
Warum macht die Ampel das nicht schon rückwirkend zum 1. Januar 2022, sondern erst ab 2023?
VOGEL Wir haben gerade erst ein umfangreiches Entlastungspaket beschlossen. Das wird jetzt wirken. Was an nächsten Schritten dann folgt, werden wir in der Koalition mit Blick auf die weitere Entwicklung gemeinsam besprechen. Und dann in den nächsten Wochen gemeinsam entscheiden.
Was können Rentner an Entlastungen erwarten, die im Entlastungspaket bisher nicht vorkommen?
VOGEL Alle Bürgerinnen und Bürger, egal ob Studentin, Erwerbstätiger oder Rentnerin, werden zielgenau an den Stellen entlastet, wo die Kosten gerade besonders steigen, zum Beispiel im Verkehr und bei der Heizung. Rentnerinnen und Rentner bekommen zudem zu Recht zum 1. Juli die höchste Rentenerhöhung seit 40 Jahren. Über alle weiteren Entlastungsschritte müssen wir in der Koalition in den nächsten Wochen sprechen.
All das wird noch viel mehr Geld kosten. Ist die Schuldenbremse 2023 wirklich einzuhalten?
VOGEL Wir als FDP sind bereits einen großen Schritt gegangen, indem wir vorgeschlagen haben, die skandalöse Vernachlässigung der Bundeswehr schnell zu korrigieren, indem wir 100 Milliarden Euro an neuen Schulden für ein Sondervermögen aufnehmen. Dass das nur mit Schulden geht, tut uns weh – doch es ist nötig. Aber der Sinn der Schuldenbremse ist ja, dass wir in guten Zeiten wieder ein Polster für schlechtere Zeiten bilden…
… aber wir haben doch keine guten Zeiten.
VOGEL Aber so wird es ja hoffentlich nicht bleiben. Wir haben eine umfangreiche Steuerschätzung vorliegen. Die Konjunkturprognosen gehen weiterhin von einem verhaltenen Aufschwung aus. Nach aktuellen Prognosen wird die Wirtschaftslage im nächsten Jahr wieder besser. Dann müssen 2023 auch die Regeln der Schuldenbremse wieder gelten. Denn: Nur solide Finanzen machen einen Staat in existenziellen Krisen überhaupt erst handlungsfähig.