Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Im Cockpit noch immer die Nummer eins

Nach mehr als drei Jahrzehnte­n kommt mit „Top Gun: Maverick“die Fortsetzun­g des 80er-jahre-hits mit Tom Cruise in die Kinos.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Wenn Tom Cruise bei den Filmfestsp­ielen in Cannes die Ehrenpalme überreicht bekommt und seinen neuen Film „Top Gun: Maverick” präsentier­t, reicht ein schnöder, roter Teppich nicht aus. Da muss schon die Kunstflugs­taffel der französisc­hen Luftwaffe her, die mit ihren Rauchschwa­den die Farben der Trikolore an den Himmel über der Cote d‘azur malt. Damit dürfte die Co2-bilanz des Festivals zwar nachhaltig ruiniert sein, aber so viel Show muss sein, wenn man einen Überfliege­r wie Cruise feiern will.

1986 saß Cruise in dem Militärfil­m „Top Gun” selbst im Cockpit einer F-14 und wurde in der Rolle des tollkühnen Fliegers über Nacht zum Star. Der Film war ein herausrage­nd inszeniert­er Werbeclip für die Us-navy und eine typische Action-männerfant­asie der ausgehende­n Reagan-ära. Eine Gruppe von jungen, gut gebauten Elitepilot­en trainierte für den Ernstfall im Kalten Krieg, übte sich in internen Hahnenkämp­fen, um schließlic­h im Einsatz als Team zusammenge­schweißt zu werden. Und mitten drin der strahlende Tom Cruise als renitenter Oberallesk­önner.

„Wenn du nachdenkst, stirbst du”, lautete das Mantra seines Pete „Maverick” Mitchell, der am Steuerknüp­pel des Kampfjets seinen untrüglich­en Instinkten folgte. Der Slogan ließ sich durchaus auch als Gebrauchsa­nweisung für die Sichtung des Films lesen, dessen dünne Story von Regisseur Tony Scott mit haptischen Actionszen­en, halsbreche­rischer Flugakroba­tik und homoerotis­ch anmutenden Duschszene­n effektvoll übermalt wurde. Bei einem Mini-budget von 15 Millionen Dollar spielte „Top Gun” 350 Millionen Dollar ein. Mehr noch als die „Paramount”-studios, freute sich die Us-navy, die damals ihre Rekrutieru­ngsstände direkt vor den Kinos aufbaute und ihre Fangquote erheblich steigern konnte.

Viele Jahre lang haben die Produzente­n Cruise bekniet, sich auf eine Fortsetzun­g des Erfolgsfil­mes einzulasse­n. Aber der karrierebe­wusste Jungstar wollte sich weiterentw­ickeln, statt sich zu wiederhole­n. Erst 34 Jahre später willigte er ein und zwängte sich mit Ende 50 erneut ins Cockpit. In „Top Gun: Maverick” zerfließen die Grenzen zwischen Sequel und Remake. Auch wenn die Handlung in der Gegenwart angesiedel­t ist, grooven sich Regisseur Joseph Kosinski und seine drei Drehbuchau­toren inhaltlich wie ästhetisch voll auf das 80er-jahre-original ein. Schon der Prolog, in dem die Start- und Landemanöv­er auf einem Flugzeugtr­äger zwischen Kerosinsch­waden im morgendlic­hen Sonnenlich­t zelebriert werden, sind feinster Navy-porn, der in keinerlei Zusammenha­ng mit der nachfolgen­den Handlung des Leinwand-spektakels steht.

Nach mehr als 30 Jahren im vaterländi­schen Dienst bekleidet Pete immer noch den niederen Rang des Captains. Statt sich auf einen Schreibtis­chposten wegbeförde­rn zu lassen, fliegt dieser Maverick lieber als Testpilot mit zehnfacher Schallgesc­hwindigkei­t durch die Lüfte. Nachdem er leichtsinn­ig einen überteuert­en Prototypen gecrasht hat, wird der eigensinni­ge Flieger nach San Diego versetzt. An der dortigen Elite-flugschule, an der er einst selbst sein Handwerk erlernt hat, soll er ein zwölfköpfi­ges Team auf einen brisanten Einsatz vorbereite­n. Ein namenloser Schurkenst­aat will in einem gut gesicherte­n Talkessel waffenfähi­ges Uran anreichern, was unter dem Radar durch eine effiziente Bombardier­ung verhindert werden soll. Und so findet sich das Publikum erneut im Trainingsl­ager mit den Besten der Besten, unter denen sich diesmal sogar eine Pilotin befindet. Der Luftraum ist freigegebe­n für akrobatisc­he Fluggefech­te, in denen der versierte Lehrer vor dem Nachwuchs glänzen darf. Natürlich führt kein Weg daran vorbei, dass der omnipotent­e Boomer und erfahrener Krieger schließlic­h doch noch selbst die gefährlich­e Operation in die Hand nimmt.

Für psychologi­sche „Tiefe“sorgen Erinnerung­en an den traumatisc­hen Verlust seines Mitflieger­s in Teil eins, dessen Sohn Rooster (Miles Teller) nun am Himmelfahr­tskommando teilnehmen soll. Unten am Boden wird noch ein wenig Romantik eingestreu­t, indem der Held das Feuer seiner früheren Flamme Penny ( Jennifer Connelly) neu entfachen darf.

„Top Gun: Maverick” ist im Guten wie im Schlechten ein Actionfilm der alten Schule. Die Charaktere sind vorformati­ert, ihre Handlungen vorhersehb­ar, das militärisc­he Happy End garantiert. Aber die ActionSzen­en haben es in sich und unterschei­den sich deutlich von den seelenlose­n Digitalgem­etzeln eines Marvel-films.

Tom Cruises physischer Einsatz bei Stunts gehört stets zum Marketing-konzept, und der Film räumt seinem Star mehr als genug Raum zur Selbstdars­tellung ein. Viele der Flugszenen sind wohl – die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen – tatsächlic­h über den Wolken entstanden. Da kommen auch im Kinosessel echte Achterbahn­gefühle auf. Der dargestell­te Militärein­satz hingegen bleibt auf sterilem Videospiel-niveau – was angesichts des tatsächlic­hen kriegerisc­hen Leids, das derzeit die Nachrichte­n bestimmt, wie eine geradezu obszöne Verharmlos­ung wirkt.

 ?? FOTO: PARAMOUNT PICTURES/DPA ?? Tom Cruise ist dafür bekannt, die meisten der Stunts selbst zu übernehmen. Viele der Filmszenen sollen über den Wolken entstanden sein.
FOTO: PARAMOUNT PICTURES/DPA Tom Cruise ist dafür bekannt, die meisten der Stunts selbst zu übernehmen. Viele der Filmszenen sollen über den Wolken entstanden sein.

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