Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Abwasser-urteil stresst Städte

Nach der Entscheidu­ng im Mai müssen die Gebühren neu berechnet werden.

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(dpa) Ein Urteil des nordrhein-westfälisc­hen Oberverwal­tungsgeric­hts (OVG) vom 17. Mai zu überhöhten Abwasserge­bühren sorgt derzeit bei den Kommunen für viele Fragezeich­en. „Seit dem Ovg-urteil haben wir pro Tag 30 bis 40 Anfragen aus den Kommunen. Der Beratungsb­edarf ist enorm. Alle Kommunen sind in Unruhe, es müssen viele Berechnung­en gemacht werden, das geht nicht von heute auf morgen“, sagte Peter Queitsch vom Städte- und Gemeindebu­nd NRW.

Der 9. Senat des OVG hatte eine jahrzehnte­alte Rechtsprec­hung des eigenen Hauses gekippt. In einem Musterverf­ahren gegen die Stadt Oer-erkenschwi­ck stellten die Richter klar, dass die Stadt aus dem nördlichen Ruhrgebiet zu hohe Abwasserge­bühren berechnet hatte – und zwar um rund 18 Prozent. Das OVG stellte klar, dass bei den Berechnung­en der Gebühren – und damit den anfallende­n Kosten für den Betrieb der AbwasserKa­näle – mit einem zu hohen Zinssatz gearbeitet und der Inflations­ausgleich doppelt berechnet wurde.

Im Fall von Oer-erkenschwi­ck lag der Zinssatz bei 6,25 Prozent. Das OVG hält knapp 2,5 Prozent für angemessen. Unter anderem, weil bei der Berechnung nicht ein Durchschni­tt über die vergangene­n 50 Jahre bei den Zinsen genommen werden darf, sondern nur rückblicke­nd über zehn Jahre. Die Städte und Gemeinden schreiben ihre Kanäle üblicherwe­ise über 50 Jahre ab. Bei der fiktiven Berechnung der Zinsen darf dieser Zeitraum aber laut Urteil keine Rolle spielen.

Zwar hat das OVG in einem Musterverf­ahren entschiede­n, nicht alle Kommunen trifft das Urteil gleich. Zinsen und Berechnung­en können variieren. „Ein wichtiger Hinweis: Die Gebührenbe­scheide beruhen auf Prognosen der Kommunen. Nach dem Urteil müssen die Kommunen rückwirken­d bei der Neukalkula­tion die tatsächlic­hen Kosten berücksich­tigen. Das kann in Einzelfäll­en trotz der erfolgreic­hen Klage zu erhöhten Bescheiden führen“, erklärte Queitsch.

„Nach dem Urteil des OVG NRW müssen viele Kommunen ihre Gebührenka­lkulation überprüfen und anpassen“, sagte Christof Sommer, Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Ge

meindebund­es in NRW. Durch das Urteil werde das Gebührenre­cht nicht einfacher. Für die Kämmerer und Wirtschaft­sbetriebe bringen die Änderungen zudem einen Berg Arbeit mit sich. Sie müssten prüfen, ob sie von dem Urteil betroffen seien und wie die Kalkulatio­n an die vielschich­tigen und neuen Vorgaben des Gerichts angepasst werden könne. „Es wird noch viele Wochen brauchen, bis die Änderungen in der kommunalen Praxis umgesetzt sind“, sagte Sommer. So kündigte beispielsw­eise die Stadt Bielefeld schnell an, dass das Urteil auch für die Stadt in Ostwestfal­en Folgen haben werde. Alle Bescheide würden ab sofort mit dem Vorbehalt einer Nachprüfun­g erlassen.

Der Bund der Steuerzahl­er in NRW, der die Klage im Fall Oer-erkenschwi­ck unterstütz­t hatte, erläutert auf seiner Internetse­ite ausführlic­h, welche Folgen das Urteil für Hausbesitz­er und Mieter hat – je nachdem, ob sie Widerspruc­h eingelegt hatten oder nicht. Bei bereits rechtskräf­tigen Gebührenbe­scheiden, gegen die bislang kein Widerspruc­h eingelegt wurde, rät der Steuerzahl­erbund, dennoch einen Antrag auf Rücknahme zu stellen. Verwaltung­sjuristen sehen aber keine realistisc­hen Erfolgscha­ncen.

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FOTO: A. ORTHEN Christof Sommer ist Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­nds NRW.

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