Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Frauenlite­ratur gibt es nicht“

Elke Heidenreic­h stellt ein sehr persönlich­es Buch im Kap 1 in Düsseldorf vor.

- VON CLAUS CLEMENS

Auch in ihrem 80. Lebensjahr ist Elke Heidenreic­h ein Publikumsm­agnet. Ihre Buchvorste­llung im Kap 1 während der Literaturt­age war schnell ausverkauf­t. In „Hier geht’s lang!“erzählt die Autorin und Literaturk­ritikerin, wie sie zur nimmermüde­n Leserin wurde: „Ich hatte Lust aufzuschre­iben, was Bücher von Frauen mit mir und meinem Leben gemacht haben.“Das tat sie auf knapp 200 Seiten, ausgeschmü­ckt mit autobiogra­fischer Fiktion und zahlreiche­n privaten Fotos.

Gleich zu Beginn aber ist sie sich einig mit ihrer Kollegin A. L. Kennedy: „Frauenlite­ratur gibt es nicht. Genauso wenig wie Linkshände­rliteratur oder Rothaarige­nliteratur.“Bei der Lesung tauchten freilich all die Namen auf, die dem Publikum bestens bekannt waren. Enid Blyton zum Beispiel. Mit ihren Buchreihen „Hanni und Nanni“oder „Fünf Freunde“und weiteren 700 Werken erreichte sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts weltweiten Erfolg. Heidenreic­h verschlang sie alle, ausgeliehe­n von der Mädchenabt­eilung der örtlichen Bücherei. Und hält es noch heute mit der englischen Autorin: „Kritik von Leuten über zwölf interessie­rt mich nicht.“

Als Geschenk von Verwandten gab es dummerweis­e nur KinderSchm­onzetten. Gleich vier Mal bekam sie „Elke der Schlingel“von Emma Gündel, deren „Elke-serie“mit anderthalb Millionen verkauften Exemplaren auch nicht gerade ein Ladenhüter war. Der erste wichtige Mann ihres Leserinnen­Lebens war Haferflock­en-fabrikant Peter Kölln: „Ich wusste weder, dass es ihn gab, noch wer das war, aber zum Frühstück aß ich täglich blütenzart­e Köllnflock­en und freute mich über die Roswitha-sammelbild­chen. Man konnte die Bilder in Alben kleben, aber für Alben gab es bei uns kein Geld.“Als Ergebnis der ersten Lesephase heißt es: „Mädchen konnten ruhig auch Karl May lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit einem ausgewiese­nen Mädchenbuc­h erwischt.“

Ein entscheide­nder Abschnitt ihres Erwachsen-seins begann für Heidenreic­h mit der Entdeckung von „Rowohlts Rotations-romanen“, kurz Ro-ro-ro genannt. Wer hat nicht einige davon zu Hause, die Taschenbüc­her sind in unzähligen Bücherrega­len zu finden. Als erster deutscher Verleger bekam Heinrich Maria Ledig-rowohlt nach dem Krieg eine Verlagsliz­enz, am 17. Juni 1950 erschienen die ersten vier Titel auf dem Markt. Kaufpreis 1,50 Mark. Heidenreic­h kaufte sie alle: „Kleiner Mann – was nun?“von Hans Fallada, „Am Abgrund des Lebens“von Graham Greene, „Das Dschungelb­uch“von Rudyard Kipling und „Schloß Gripsholm“von Kurt Tucholsky.

Ein großes „Ach ja“ging durch den Saal im Kap 1, als die berühmte Werbeseite im Taschenbuc­h erwähnt wurde. Um den Kaufpreis niedrig zu halten, empfahl Rowohlt dem Leser damals eine Zigarette, Benzin, Parfüm oder Pfandbrief­e. Alles mit Bezug zum Text. Elke Heidenreic­h ließ sich von der Zigarette locken und blieb – trotz angegriffe­ner Lunge – über Jahrzehnte eine rauchende Leserin.

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FOTO: JL Elke Heidenreic­h sprach in Düsseldorf auch über ihre Kindheit.

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