Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Soziale Pflichtzeit? Eher nicht
Die vom Bundespräsidenten vorgetragene Idee stößt auf ein verhaltenes Echo.
Ob sich der Bundespräsident das so vorgestellt hat? In der Ampelkoalition stößt die Idee von FrankWalter Steinmeier für eine soziale Pflichtzeit auf – diplomatisch formuliert – Zurückhaltung. Vize-regierungssprecher Wolfgang Büchner verwies am Montag auf die bereits bestehenden Freiwilligendienste. Fast 100.000 junge Menschen engagierten sich dort, sagte er mit Blick auf Angebote wie den Bundesfreiwilligendienst oder das Freiwillige Soziale Jahr. Die Bundesregierung habe sich durchaus vorgenommen, das bürgerschaftliche Engagement weiter zu stärken, so Büchner. Der Koalitionsvertrag sieht vor, bestehende Freiwilligendienste gegebenenfalls aufzustocken und die Rahmenbedingungen zu verbessern.
Zurückhaltend reagierte auch das Bundesverteidigungsministerium. Man setze auf Freiwilligkeit, hieß es aus dem Haus von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). 9200 Menschen haben nach ihren Angaben 2021 einen freiwilligen Wehrdienst begonnen.
Steinmeier hatte eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit angeregt, die bei der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen geleistet werden könnte. Es gebe ein wachsendes Verständnis dafür, dass sich Menschen für eine gewisse Zeit für die Gemeinschaft einsetzten. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, sagte der Bundespräsident. Geleistet werden sollte die Pflichtzeit bei der
Bundeswehr, bei der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder Obdachlosenunterkünften.
Doch dort stieß der Vorschlag ebenfalls nicht auf ungeteilte Zustimmung. „Die Freiwilligendienste sind ein wichtiger Baustein im zivilgesellschaftlichen Engagement, daher setzen wir uns als Lebenshilfe seit Langem für ihren Ausbau und ihre Stärkung ein“, sagte die Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, unserer Redaktion. Es gebe jedoch zum Teil zu wenige finanzierte Plätze für Freiwillige. „Daher begrüßen wir jeden Impuls, eine Debatte zur Förderung ehrenamtlichen Engagements zu führen.“Eine allgemeine gesellschaftliche Verpflichtung sehe die Lebenshilfe dagegen kritisch.
Auf Ablehnung war der Vorschlag bereits bei Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bildungsministerin Bettina Stark-watzinger (FDP) gestoßen. Sie verwiesen dabei unter anderem auf die Einschränkungen in der Corona-pandemie, die junge Menschen besonders getroffen hätten. „Ein staatlicher Eingriff in den Lebenslauf ist so ziemlich das Letzte, was sie jetzt brauchen“, erklärte Stark-watzinger. Auch die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), spricht sich gegen die Pflichtzeit aus. „Angesichts des Krieges in der Ukraine ist das eine theoretische Diskussion, denn jetzt hilft die Wiedereinführung einer Wehrpflicht oder die Einführung einer Dienstpflicht nicht“, sagte Högl. Es gehe vor allem darum, die Bundeswehr insgesamt attraktiv zu machen, damit sich gut qualifizierte Menschen für den Dienst in der Truppe entscheiden.