Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Rote Karte für das grüne Etikett
Der Umwelt- und Wirtschaftsausschuss der EU ist dagegen, dass Atom- und Gaskraftwerke als klimafreundliches Anlagemodell eingestuft werden. Klimaschützer bejubeln das Votum.
Die Fieberkurve der Europa-politik näherte sich an diesem Dienstag einem neuen Höhepunkt: 25.000 E-mails fand allein der Csu-europaabgeordnete Markus Ferber in seinem elektronischen Postfach. Alle zu einem Thema und alle mit einer Stoßrichtung: bloß keine Zustimmung zu dem Vorhaben der Eu-kommission, Investitionen in Gas- und Atomenergie als klimafreundlich zu empfehlen. Nun hatten die Umwelt- und die Wirtschaftspolitiker des Eu-parlaments das Wort. Während von den einen eine klare Ablehnung erwartet worden war, schienen sich auch die Wirtschaftsexperten über die Mehrheiten in ihren eigenen Reihen nicht so klar zu sein. Am Ende gab es ein gemeinsames Votum – und das fiel vor dem Hintergrund der Zweifel überraschend deutlich aus: 76 gegen 62 Stimmen bei vier Enthaltungen bedeuteten eine derbe Klatsche für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Am späten Silvesterabend hatte die Kommission erstmals die Pläne zur sogenannten Taxonomie veröffentlicht, im Februar dann formal auf den Weg gebracht. Seinerzeit ging sie davon aus, das nun alles mehr oder weniger reibungslos durchgewinkt würde. Denn im Rat der Mitgliedstaaten wäre eine Ablehnung von 20 Stimmen aus 27 Ländern nötig, um das Projekt noch zu stoppen. Und auch im Parlament liegen die Hürden hoch (siehe Infokasten). Klimaschützer bejubelten das erste ablehnende Votum zur Taxonomie. „Yeah, yeah, yeah“, lautete die erste Reaktion der „Fridays for Future“-aktivistin Luisa Neubauer.
„Die Taxonomie ist nicht dafür da, Frankreichs schrottreife Atommeiler zu renovieren“, meinte GrünenKlimapolitiker Michael Bloss nach der Abstimmung. Würde die Taxonomie im Juli im Parlament durchgehen, wäre das nach seiner Überzeugung „ein Schlag ins Gesicht der europäischen Energiewende und ein dreister Etikettenschwindel für die Finanzbranche“. Die GrünenEnergie-expertin Jutta Paulus verwies auf eine andere Auswirkung: „Es wäre absurd, wenn das Werben gerade russischer Lobbyisten für die Aufnahme von Atomkraft und Gas in die Taxonomie Erfolg hätte“, sagte sie unserer Redaktion.
Auch die Grünen in der Bundesregierung sehen nun eine „ernsthafte Chance, dass dieser Rechtsakt, der an die Finanzmärkte ein fatales Signal senden würde, nicht kommt“, wie Umweltministerin Steffi Lemke sagte. Die Koalition hatte sich entschieden, im Rat gegen die Taxonomie zu stimmen, anschließend aber nicht dagegen zu klagen. Kommt es zu keiner ablehnenden Mehrheit im Parlament, tritt die Taxonomie mit Beginn des nächsten Jahres in Kraft. Dann erhalten Anleger die Empfehlung, in bestimmte Atom- und Gasanlagen zu investieren, wenn diese als Teil einer Brückentechnologie bestimmte Kriterien erfüllen und deshalb von der Kommission als nachhaltig bewertet werden.
Welche Abstimmungsempfehlung die größte Fraktion im Europaparlament ihren Mitgliedern gibt, will die EVP erst im Vorfeld des Votums im Juli beraten. Vor der gemeinsamen Ausschusssitzung gab es grünes Licht für ein Nein, weil die Fraktionsführung die darauf folgende Entscheidung des Europaparlaments befürwortete. Auch die SPD unterstrich diesen Vorgang: „Die Eu-kommission muss lernen, dass sie nicht am Parlament vorbeiregieren kann und unsere Vorschläge ernst nehmen muss“, sagte Joachim Schuster, der Wirtschaftsexperte der Spd-europaabgeordneten.
Der Sozialdemokrat entwickelte auch bereits einen Vorschlag für den Fall, dass die Anlage-empfehlungen scheitern. Die Kommission müsse dann ein neues Konzept vorlegen. „Sinnvoll wäre eine Sonderkategorie für Atom und Gas mit einem eindeutigen Ausstiegsszenario, anstatt fossile Energie und eine Hochrisikotechnologie ohne eindeutige, wissenschaftlich gesicherte Kriterien als nachhaltig einzustufen“, erläuterte Schuster.