Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Alle Wege und alle Chancen
Die Teilnehmer des Rp-dialogs waren sich einig: Sie als Arbeitgeber müssen mit der Zeit gehen, diskutierten sie, wie sie qualifizierte Fachkräfte finden, was sich in der Arbeitswelt von
„Wir müssen die Auszubildenden wieder in den Vordergrund stellen. Fachkräfte wie Handwerker können bei uns gutes Geld verdienen.“Silke Gorißen, Landrätin im Kreis Kleve, sprach das aus, was viele Firmenchefs in der Region denken. Damit brachte sie eines der Kernthemen des RP Dialogs „Regionale Arbeitgeber im Kreis Kleve“im Verlagshaus in Düsseldorf auf den Punkt.
Die Landrätin bezieht dabei auch die eigene Verwaltung des Kreises ein. „Auch wir suchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Azubis bei uns im Haus haben zudem am Markt die besten Chancen.“Wie in anderen Regionen auch sei es aus demografischen Gründen schwierig, den Fachkräftemangel einfach zu beseitigen. Sie bekräftigt, dass Schüler heutzutage kein Abitur mehr machen müssen, um einen spannenden Beruf zu erlernen und eine gut bezahlte Stelle zu bekommen. Eine Möglichkeit sei es zudem, Fachkräfte außerhalb des Landkreises nach Kleve zu locken. So habe die Region einiges zu bieten. Insbesondere für junge Familien, deren Kinder vor Ort zur Kita und in die Schule gehen können.
Freizeit oft wichtiger als Geld Ludwig Beckers, Geschäftsführer der ABS Safety Gmbh in Kevelaer, verweist auf den It-fachkräfte-mangel in seiner Firma. „Auf dem freien Markt finden wir keine Leute für den digitalen Bereich. Wir sind gezwungen, It-experten von der Konkurrenz abzuwerben.“Locken will er die Kandidaten mit der familiären Atmosphäre seines Betriebes und mit einer Aussicht auf die richtige Work-life-balance. „Ihnen mehr Geld zu bieten, als sie woanders verdienen, reicht oft nicht aus“, sagt Beckers.
Auch an Steuerfachangestellten fehlt es in der Region. Anna Plorin vom Vorstand der Steuerberaterkammer Düsseldorf und Geschäftsführerin der ATG Revisa Gmbh Steuerberatungsgesellschaft, vermutet, dass dies auch etwas mit dem antiquierten Berufsbild zu tun hat, was viele noch im Kopf haben. „Bei uns ist die Transformation ins digitale Zeitalter längst erfolgt. Steuerfachangestellte machen heute viel mehr als nur Buchhaltung, Löhne und Steuererklärungen.“So werde die It-affinität in dem Job immer wichtiger. „Wir brauchen junge Leute, die Spaß an Informationstechnik und Social Media haben.“Man könne als Steuerfachangestellter mit ausreichend Berufserfahrung das Steuerberaterexamen ablegen. Diesen Beruf hätten viele gar nicht mehr auf dem Schirm. „Für Studierwillige bieten wir ein duales Studium direkt parallel zur Ausbildung an. Aber auch der Praktiker kann sich ohne Studium auf das Steuerberaterexamen vorbereiten. Alle Wege und alle Chancen sind offen – ein Beruf mit Zukunft“, sagt Plorin.
Spaß und Motivation
„Wir suchen immer schon gute Mitarbeiter für unser Unternehmen“, sagt Sven Holtermann, Geschäftsführer der Herbrand Gruppe in Kevelaer. Mit das Wichtigste sei für die Mitarbeiter, Spaß bei der Arbeit zu haben. Auch wenn man selbst nicht jeden Tag mit bester Laune durch die Firma gehen kann, ein freundliches Lächeln ist aber doch das Mindeste: Das gute Klima im Unternehmen und das Interesse an der Sache sind für ihn wichtige Faktoren für eine attraktive Arbeitsstelle.
Dass sich seine Leute wohlfühlen, merke er daran, dass einige von ihnen von Headhuntern angerufen würden und die Angebote regelmäßig ablehnten. Holtermann betont, dass ein guter Chef auf Augenhöhe mit seinen Mitarbeitern interagieren muss. „Mit einem Patriarchen als Chef nach alter Schule entsteht in der Firma kein gutes Arbeitsklima.“Zur guten Arbeitsatmosphäre gehören für ihn auch Teamarbeit, regelmäßiger Austausch mit den Vorgesetzten und tolle Betriebsfeste.
Blick über die Grenze Honorarkonsul Freddy Heinzel, Geschäftsführer, STRICK Rechtsanwälte & Steuerberater in Kleve, findet, dass sich der Blick über die Grenze lohnt. Die gemeinsame Grenze mit den Niederlanden eröffne für Arbeitssuchende spannende Möglichkeiten. „In den Niederlanden gibt es generell in Unternehmen und Behörden flache Hierarchien.“Das Duzen im Job gehöre hier zur Tradition. Darüber hinaus gebe es im Nachbarland eine Kultur, in der vor allem das Unternehmertum und die Selbstständigkeit gefördert werden. „In den Niederlanden ist es normal, dass Soloselbstständige eine Zeit lang bei Firmen in Büros arbeiten. Dies ist für beide Seiten gut. Die Selbstständigen können bei den Unternehmen bei Bedarf deren Lücken füllen.“In Deutschland hingegen werde die sogenannte Zeitarbeit mit negativen Aspekten wie schlechter Bezahlung und begrenzter Anstellung verbunden. „Viele Arbeitnehmer hierzulande finden es gut, auch mal die Stelle wechseln zu können. Es lohnt sich also, einmal auf die andere Seite der Grenze zu schauen“, resümiert Heinzel.
Dominik Blechschmidt, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Wesel, beobachtet seit einigen Jahren einen steigenden Arbeits- und Fachkräftebedarf. Eine Möglichkeit, dieser Entwicklung zu begegnen, liege in der frühzeitigen Berufsorientierung und -beratung von Schülerinnen und Schülern. Deshalb hat die Agentur für Arbeit Wesel die Berufsberatung personell aufgestockt. „Unser Ziel ist es, mehr Jugendliche und deren Erziehungsberechtigte für eine duale Berufsausbildung, insbesondere in handwerklichen und technischen Berufe, zu begeistern, dies gilt auch für Gymnasiasten. Für Schülerinnen und Schüler mit Hochschulreife kann auch ein duales Studium eine gute Alternative zu einer klassischen akademischen Ausbildung sein.“
Schüler sind oft überfordert Richard Thielen von der Kreishandwerkerschaft Kleve betont in diesem Zusammenhang, dass die Zeugnisnoten häufig gar nicht mehr so maßgeblich seien, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Wichtig seien vielmehr die Einstellung und die Praxisbezogenheit der jungen Leute.
Sabrina Albert, zuständig für Marketing und Kommunikation bei der Omexom Elektrobau Gmbh in Uedem, hat den Eindruck, dass Schüler bei der Berufswahl oft überfordert sind. Sie plädiert für eine Berufsorientierung ab der achten Klasse. „Wir wollen mehr in den Schulen aufklären und dabei gezielter erläutern, was zum Beispiel ein Elektroniker genau macht.“So werde Omexom dazu von
Schulen angesprochen. „Wir bieten auch einen eigenen Mint-ferienkurs in den Sommerferien an.“MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Aktuell habe die Firma 64 Azubis, welche für den Eigenbedarf ausgebildet werden. Ziel sei es, zehn Prozent der Mitarbeitenden als Auszubildende im Unternehmen zu beschäftigen.
Vor allem Trendthemen scheinen bei Jugendlichen gut anzukommen. Dies hat Wolfgang Wolter, Geschäftsführer der Wystrach Gmbh aus Weeze, festgestellt. „Viele Leute, unter anderem auch aus Düsseldorf, interessieren sich zum Beispiel für das Thema Wasserstoff, weil sie sich damit identifizieren.“So gilt Wasserstoff als nachhaltige und zukunftsträchtige Antriebstechnik für Fahrzeuge. Gleichwohl habe es auch seine Firma schwer, Handwerker wie etwa Schwei
ßer und Elektriker zu finden. „Wir würden gerne noch zehn Azubis mehr beschäftigen als wir schon haben, natürlich gerne auch Frauen, die sich unserer Erfahrung nach immer mehr für die Welt der Elektrik interessieren.“Für ihn ist es problematisch, dass sich hierzulande die Schullandschaft verändert hat. „Deutschland braucht nicht nur Akademiker, sondern Handwerker, zum Beispiel viele Dachdecker und
Maurer. Wo sollen die alle herkommen?“
Bernd Boßmann, Geschäftsführer der Kersten Arealmaschinen Gmbh, bedauert in dem Zusammenhang den Wegfall der Hauptschulen. „Früher hatten viel mehr Schüler einen Anreiz, sich mit einer Lehre, zum Beispiel als Handwerker, zu beschäftigen. Heute machen viel mehr Leute als früher Abitur. Für sie ist erst mal nicht so relevant, was sie nach der Schule machen.“„Der Beruf des Handwerkers hat immer noch den Ruf, nicht so sexy zu sein“, liefert Richard Thielen, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Kleve, eine mögliche Erklärung für das schwindende Interesse unter Bewerbern. Er appelliert, mehr über die Vorzüge der handwerklichen Berufe aufzuklären. „Heutzutage ist es zudem ohne Weiteres möglich, mit diesen Fähigkeiten eine ganze Familie zu ernähren.“
Dies bestätigt Ingrid Bünker-volmer, Geschäftsführerin bei der Wienstroth Wärmebehandlungstechnik Gmbh (Goch): „Die Mitarbeiter, wozu beispielsweise Industriemechaniker und Schlosser gehören, werden bei uns gut bezahlt.“Im Gegenzug müssten sie aber auch zum Teil Abstriche bei ihren Vorstellungen zur Work-life-balance machen. „Es ist durchaus üblich, hin und wieder auswärts auf Montage zu arbeiten. Während dieser Zeit können die Angestellten nicht bei der Familie zu Hause sein, dafür aber wertvolle kulturelle Erfahrungen in anderen Regionen und Ländern sammeln.“
Zweiter Bildungsweg oder Umschulug können helfen
Ihr Kollege Pascal van Lier vom Projektmanagement der Wienstroth Steuerungstechnik Gmbh meint, man müsse angesichts des Fachkräftemangels auch potenzielle neue Arbeitskräfte aus anderen Sparten im Blick haben. „Wir haben derzeit einen Auszubildenden in unserer It-abteilung.“Für ihn ist es zudem wichtig, die Mitarbeiter der Firma zu halten und weiterzubilden. „Umschulungen und ein zweiter Bildungsweg können dabei sehr hilfreich sein.“
Norbert Wilder, Prokurist bei der Wirtschaftsförderung Kreis Kleve Gmbh, verweist auf den Vorteil von familiengeführten Unternehmen. Dinge wie Teamarbeit und Zusammenhalt werden hier groß geschrieben. „Mitarbeiter müssen sich
(rps) Keine Frage: Die Vorteile einer Mitgliedschaft im Förderverein der Hochschule RheinWaal – Campus Cleve e.v. sind in den Chefbüros der Region längst angekommen. So haben sich in den letzten Wochen gleich sechs Unternehmen zum Mitmachen in dem nahezu 300 Mitglieder starken und ältesten Förderverein entschlossen.
Neu dabei sind die ABS Safety Gmbh aus Kevelaer, die Fuhrmann und Keuthen beratende Ingenieure Partg mbb aus der Kreisstadt Kleve, der Erzeugermarkt Weyers Gmbh aus Weeze, die Kässbohrer Fahrzeugwerke Gmbh aus Goch, die Lebenshilfe ggmbh – Leben und Wohnen aus Kleve und die bb med. product Gmbh aus Kalkar. Der Wunsch der Firmenchefs allerorten: Nähe aufbauen zwischen den Hochschul-absolventen und den potentiellen Arbeitgebern der Region. „Die Hochschule Rhein-waal trägt definitiv dazu bei, junge Fachkräfte für die heimischen Unternehmen zu gewinnen“, ist Peter Wack, der Vorsitzende des Fördervereins überzeugt. Um dies zu unterstreichen, besucht der Förderverein Campus Cleve e.v. aktuell ausgewählte Unternehmen im Kreis Kleve – so auch jüngst die bb med. product Gmbh in Kalkar.
Mit 50 Mitarbeitern bietet das produzierende Unternehmen – dem Endverbraucher häufig gar nicht bekannt – für den Weltmarkt einen bunten Strauß verschiedenster Dienstleistungen für Kosmetik- und Medizinprodukte. Kombiniert werden hier Entwicklung, Produktion und der Service eines leistungsstarken Lohnherstellers. Geschäftsführer Robert Beinio setzt dabei auf die Fachkräfte der Region und arbeitet seit den ersten Stunden mit der HSRW zusammen. Bereits vor zehn Jahren bekam Sabine Vollmer auf diesem Wege die Chance, sich bei der bb med. product Gmbh einzubringen. „Ich war bis dahin gelernte Friseurin und habe nach einer neuen Herausforderung gesucht“, so Vollmer. Sie bekam die Möglichkeit, ein berufsbegleitendes Studium im Bereich Qualität, Umwelt, Sicherheit und Hygiene an der HSRW mit einer Teilzeitstelle bei bb med. in Kalkar zu kombinieren. Heute ist sie für das Qualitätsmanagement und den Bereich Regulatory Affairs bei bb med. zuständig. „Ich bin dem Unternehmen ausgesprochen dankbar, dass ich diese Chance bekommen habe. Anderswo – und ohne diese junge, damals neue Hochschule – wäre dies sicherlich nicht so einfach möglich gewesen“, freut sich Sabine Vollmer noch heute über ihren Werdegang. Und auch bb med. Geschäftsführer Beinio zeigt sich zufrieden: „Ich war von ihrem Mut und ihrer Einstellung beeindruckt. Beides in Kombination ist genau das, was wir bei unseren Mitarbeitern suchen“.
Auch aus diesem Grund ist sie nicht die einzige Absolventin der Hochschule Rhein-waal geblieben, die das Unternehmen bereichert. Erst kürzlich absolvierte die 21-jährige Marian Rademacher aus Kleve ihr Praxissemester bei bb med. in Kalkar – und das mitten in der Corona-pandemie. Es folgte die Bachelorarbeit, die Rademacher in Kooperation mit der HSRW und bb med. erstellte, um ihr Studium im Bereich Bio Science and Health abzuschließen. „Dies war bereits die neunte Abschlussarbeit, die wir als Unternehmen in Zusammenwirken mit der Hochschule Rhein-waal betreuen konnten. Ganz besonders freut es uns natürlich, wenn wir den Absolventen im Anschluss auch eine feste Anstellung anbieten können“, merkte Beinio an.
So geschehen auch bei Marian Rademacher. Seit Beginn des Jahres arbeitet sie im Labor der bb med. product Gmbh im Gewerbegebiet Kalkar-kehrum. „Für den Standort Kalkar ist ein Unternehmen wie bb med. und dessen enge Zusammenarbeit mit der HSRW wie ein Sechser im Lotto“, resümierte Dr. Bruno Ketteler, Wirtschaftsförderer der Stadt Kalkar, nach dem Unternehmensbesuch durch Peter Wack und Hans-josef Kuypers.