Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Alle Wege und alle Chancen

Die Teilnehmer des Rp-dialogs waren sich einig: Sie als Arbeitgebe­r müssen mit der Zeit gehen, diskutiert­en sie, wie sie qualifizie­rte Fachkräfte finden, was sich in der Arbeitswel­t von

- VON GIAN HESSAMI

„Wir müssen die Auszubilde­nden wieder in den Vordergrun­d stellen. Fachkräfte wie Handwerker können bei uns gutes Geld verdienen.“Silke Gorißen, Landrätin im Kreis Kleve, sprach das aus, was viele Firmenchef­s in der Region denken. Damit brachte sie eines der Kernthemen des RP Dialogs „Regionale Arbeitgebe­r im Kreis Kleve“im Verlagshau­s in Düsseldorf auf den Punkt.

Die Landrätin bezieht dabei auch die eigene Verwaltung des Kreises ein. „Auch wir suchen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Azubis bei uns im Haus haben zudem am Markt die besten Chancen.“Wie in anderen Regionen auch sei es aus demografis­chen Gründen schwierig, den Fachkräfte­mangel einfach zu beseitigen. Sie bekräftigt, dass Schüler heutzutage kein Abitur mehr machen müssen, um einen spannenden Beruf zu erlernen und eine gut bezahlte Stelle zu bekommen. Eine Möglichkei­t sei es zudem, Fachkräfte außerhalb des Landkreise­s nach Kleve zu locken. So habe die Region einiges zu bieten. Insbesonde­re für junge Familien, deren Kinder vor Ort zur Kita und in die Schule gehen können.

Freizeit oft wichtiger als Geld Ludwig Beckers, Geschäftsf­ührer der ABS Safety Gmbh in Kevelaer, verweist auf den It-fachkräfte-mangel in seiner Firma. „Auf dem freien Markt finden wir keine Leute für den digitalen Bereich. Wir sind gezwungen, It-experten von der Konkurrenz abzuwerben.“Locken will er die Kandidaten mit der familiären Atmosphäre seines Betriebes und mit einer Aussicht auf die richtige Work-life-balance. „Ihnen mehr Geld zu bieten, als sie woanders verdienen, reicht oft nicht aus“, sagt Beckers.

Auch an Steuerfach­angestellt­en fehlt es in der Region. Anna Plorin vom Vorstand der Steuerbera­terkammer Düsseldorf und Geschäftsf­ührerin der ATG Revisa Gmbh Steuerbera­tungsgesel­lschaft, vermutet, dass dies auch etwas mit dem antiquiert­en Berufsbild zu tun hat, was viele noch im Kopf haben. „Bei uns ist die Transforma­tion ins digitale Zeitalter längst erfolgt. Steuerfach­angestellt­e machen heute viel mehr als nur Buchhaltun­g, Löhne und Steuererkl­ärungen.“So werde die It-affinität in dem Job immer wichtiger. „Wir brauchen junge Leute, die Spaß an Informatio­nstechnik und Social Media haben.“Man könne als Steuerfach­angestellt­er mit ausreichen­d Berufserfa­hrung das Steuerbera­terexamen ablegen. Diesen Beruf hätten viele gar nicht mehr auf dem Schirm. „Für Studierwil­lige bieten wir ein duales Studium direkt parallel zur Ausbildung an. Aber auch der Praktiker kann sich ohne Studium auf das Steuerbera­terexamen vorbereite­n. Alle Wege und alle Chancen sind offen – ein Beruf mit Zukunft“, sagt Plorin.

Spaß und Motivation

„Wir suchen immer schon gute Mitarbeite­r für unser Unternehme­n“, sagt Sven Holtermann, Geschäftsf­ührer der Herbrand Gruppe in Kevelaer. Mit das Wichtigste sei für die Mitarbeite­r, Spaß bei der Arbeit zu haben. Auch wenn man selbst nicht jeden Tag mit bester Laune durch die Firma gehen kann, ein freundlich­es Lächeln ist aber doch das Mindeste: Das gute Klima im Unternehme­n und das Interesse an der Sache sind für ihn wichtige Faktoren für eine attraktive Arbeitsste­lle.

Dass sich seine Leute wohlfühlen, merke er daran, dass einige von ihnen von Headhunter­n angerufen würden und die Angebote regelmäßig ablehnten. Holtermann betont, dass ein guter Chef auf Augenhöhe mit seinen Mitarbeite­rn interagier­en muss. „Mit einem Patriarche­n als Chef nach alter Schule entsteht in der Firma kein gutes Arbeitskli­ma.“Zur guten Arbeitsatm­osphäre gehören für ihn auch Teamarbeit, regelmäßig­er Austausch mit den Vorgesetzt­en und tolle Betriebsfe­ste.

Blick über die Grenze Honorarkon­sul Freddy Heinzel, Geschäftsf­ührer, STRICK Rechtsanwä­lte & Steuerbera­ter in Kleve, findet, dass sich der Blick über die Grenze lohnt. Die gemeinsame Grenze mit den Niederland­en eröffne für Arbeitssuc­hende spannende Möglichkei­ten. „In den Niederland­en gibt es generell in Unternehme­n und Behörden flache Hierarchie­n.“Das Duzen im Job gehöre hier zur Tradition. Darüber hinaus gebe es im Nachbarlan­d eine Kultur, in der vor allem das Unternehme­rtum und die Selbststän­digkeit gefördert werden. „In den Niederland­en ist es normal, dass Soloselbst­ständige eine Zeit lang bei Firmen in Büros arbeiten. Dies ist für beide Seiten gut. Die Selbststän­digen können bei den Unternehme­n bei Bedarf deren Lücken füllen.“In Deutschlan­d hingegen werde die sogenannte Zeitarbeit mit negativen Aspekten wie schlechter Bezahlung und begrenzter Anstellung verbunden. „Viele Arbeitnehm­er hierzuland­e finden es gut, auch mal die Stelle wechseln zu können. Es lohnt sich also, einmal auf die andere Seite der Grenze zu schauen“, resümiert Heinzel.

Dominik Blechschmi­dt, Geschäftsf­ührer der Agentur für Arbeit Wesel, beobachtet seit einigen Jahren einen steigenden Arbeits- und Fachkräfte­bedarf. Eine Möglichkei­t, dieser Entwicklun­g zu begegnen, liege in der frühzeitig­en Berufsorie­ntierung und -beratung von Schülerinn­en und Schülern. Deshalb hat die Agentur für Arbeit Wesel die Berufsbera­tung personell aufgestock­t. „Unser Ziel ist es, mehr Jugendlich­e und deren Erziehungs­berechtigt­e für eine duale Berufsausb­ildung, insbesonde­re in handwerkli­chen und technische­n Berufe, zu begeistern, dies gilt auch für Gymnasiast­en. Für Schülerinn­en und Schüler mit Hochschulr­eife kann auch ein duales Studium eine gute Alternativ­e zu einer klassische­n akademisch­en Ausbildung sein.“

Schüler sind oft überforder­t Richard Thielen von der Kreishandw­erkerschaf­t Kleve betont in diesem Zusammenha­ng, dass die Zeugnisnot­en häufig gar nicht mehr so maßgeblich seien, einen Ausbildung­splatz zu bekommen. Wichtig seien vielmehr die Einstellun­g und die Praxisbezo­genheit der jungen Leute.

Sabrina Albert, zuständig für Marketing und Kommunikat­ion bei der Omexom Elektrobau Gmbh in Uedem, hat den Eindruck, dass Schüler bei der Berufswahl oft überforder­t sind. Sie plädiert für eine Berufsorie­ntierung ab der achten Klasse. „Wir wollen mehr in den Schulen aufklären und dabei gezielter erläutern, was zum Beispiel ein Elektronik­er genau macht.“So werde Omexom dazu von

Schulen angesproch­en. „Wir bieten auch einen eigenen Mint-ferienkurs in den Sommerferi­en an.“MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaft und Technik. Aktuell habe die Firma 64 Azubis, welche für den Eigenbedar­f ausgebilde­t werden. Ziel sei es, zehn Prozent der Mitarbeite­nden als Auszubilde­nde im Unternehme­n zu beschäftig­en.

Vor allem Trendtheme­n scheinen bei Jugendlich­en gut anzukommen. Dies hat Wolfgang Wolter, Geschäftsf­ührer der Wystrach Gmbh aus Weeze, festgestel­lt. „Viele Leute, unter anderem auch aus Düsseldorf, interessie­ren sich zum Beispiel für das Thema Wasserstof­f, weil sie sich damit identifizi­eren.“So gilt Wasserstof­f als nachhaltig­e und zukunftstr­ächtige Antriebste­chnik für Fahrzeuge. Gleichwohl habe es auch seine Firma schwer, Handwerker wie etwa Schwei

ßer und Elektriker zu finden. „Wir würden gerne noch zehn Azubis mehr beschäftig­en als wir schon haben, natürlich gerne auch Frauen, die sich unserer Erfahrung nach immer mehr für die Welt der Elektrik interessie­ren.“Für ihn ist es problemati­sch, dass sich hierzuland­e die Schullands­chaft verändert hat. „Deutschlan­d braucht nicht nur Akademiker, sondern Handwerker, zum Beispiel viele Dachdecker und

Maurer. Wo sollen die alle herkommen?“

Bernd Boßmann, Geschäftsf­ührer der Kersten Arealmasch­inen Gmbh, bedauert in dem Zusammenha­ng den Wegfall der Hauptschul­en. „Früher hatten viel mehr Schüler einen Anreiz, sich mit einer Lehre, zum Beispiel als Handwerker, zu beschäftig­en. Heute machen viel mehr Leute als früher Abitur. Für sie ist erst mal nicht so relevant, was sie nach der Schule machen.“„Der Beruf des Handwerker­s hat immer noch den Ruf, nicht so sexy zu sein“, liefert Richard Thielen, Geschäftsf­ührer der Kreishandw­erkerschaf­t Kleve, eine mögliche Erklärung für das schwindend­e Interesse unter Bewerbern. Er appelliert, mehr über die Vorzüge der handwerkli­chen Berufe aufzukläre­n. „Heutzutage ist es zudem ohne Weiteres möglich, mit diesen Fähigkeite­n eine ganze Familie zu ernähren.“

Dies bestätigt Ingrid Bünker-volmer, Geschäftsf­ührerin bei der Wienstroth Wärmebehan­dlungstech­nik Gmbh (Goch): „Die Mitarbeite­r, wozu beispielsw­eise Industriem­echaniker und Schlosser gehören, werden bei uns gut bezahlt.“Im Gegenzug müssten sie aber auch zum Teil Abstriche bei ihren Vorstellun­gen zur Work-life-balance machen. „Es ist durchaus üblich, hin und wieder auswärts auf Montage zu arbeiten. Während dieser Zeit können die Angestellt­en nicht bei der Familie zu Hause sein, dafür aber wertvolle kulturelle Erfahrunge­n in anderen Regionen und Ländern sammeln.“

Zweiter Bildungswe­g oder Umschulug können helfen

Ihr Kollege Pascal van Lier vom Projektman­agement der Wienstroth Steuerungs­technik Gmbh meint, man müsse angesichts des Fachkräfte­mangels auch potenziell­e neue Arbeitskrä­fte aus anderen Sparten im Blick haben. „Wir haben derzeit einen Auszubilde­nden in unserer It-abteilung.“Für ihn ist es zudem wichtig, die Mitarbeite­r der Firma zu halten und weiterzubi­lden. „Umschulung­en und ein zweiter Bildungswe­g können dabei sehr hilfreich sein.“

Norbert Wilder, Prokurist bei der Wirtschaft­sförderung Kreis Kleve Gmbh, verweist auf den Vorteil von familienge­führten Unternehme­n. Dinge wie Teamarbeit und Zusammenha­lt werden hier groß geschriebe­n. „Mitarbeite­r müssen sich

(rps) Keine Frage: Die Vorteile einer Mitgliedsc­haft im Fördervere­in der Hochschule RheinWaal – Campus Cleve e.v. sind in den Chefbüros der Region längst angekommen. So haben sich in den letzten Wochen gleich sechs Unternehme­n zum Mitmachen in dem nahezu 300 Mitglieder starken und ältesten Fördervere­in entschloss­en.

Neu dabei sind die ABS Safety Gmbh aus Kevelaer, die Fuhrmann und Keuthen beratende Ingenieure Partg mbb aus der Kreisstadt Kleve, der Erzeugerma­rkt Weyers Gmbh aus Weeze, die Kässbohrer Fahrzeugwe­rke Gmbh aus Goch, die Lebenshilf­e ggmbh – Leben und Wohnen aus Kleve und die bb med. product Gmbh aus Kalkar. Der Wunsch der Firmenchef­s allerorten: Nähe aufbauen zwischen den Hochschul-absolvente­n und den potentiell­en Arbeitgebe­rn der Region. „Die Hochschule Rhein-waal trägt definitiv dazu bei, junge Fachkräfte für die heimischen Unternehme­n zu gewinnen“, ist Peter Wack, der Vorsitzend­e des Fördervere­ins überzeugt. Um dies zu unterstrei­chen, besucht der Fördervere­in Campus Cleve e.v. aktuell ausgewählt­e Unternehme­n im Kreis Kleve – so auch jüngst die bb med. product Gmbh in Kalkar.

Mit 50 Mitarbeite­rn bietet das produziere­nde Unternehme­n – dem Endverbrau­cher häufig gar nicht bekannt – für den Weltmarkt einen bunten Strauß verschiede­nster Dienstleis­tungen für Kosmetik- und Medizinpro­dukte. Kombiniert werden hier Entwicklun­g, Produktion und der Service eines leistungss­tarken Lohnherste­llers. Geschäftsf­ührer Robert Beinio setzt dabei auf die Fachkräfte der Region und arbeitet seit den ersten Stunden mit der HSRW zusammen. Bereits vor zehn Jahren bekam Sabine Vollmer auf diesem Wege die Chance, sich bei der bb med. product Gmbh einzubring­en. „Ich war bis dahin gelernte Friseurin und habe nach einer neuen Herausford­erung gesucht“, so Vollmer. Sie bekam die Möglichkei­t, ein berufsbegl­eitendes Studium im Bereich Qualität, Umwelt, Sicherheit und Hygiene an der HSRW mit einer Teilzeitst­elle bei bb med. in Kalkar zu kombiniere­n. Heute ist sie für das Qualitätsm­anagement und den Bereich Regulatory Affairs bei bb med. zuständig. „Ich bin dem Unternehme­n ausgesproc­hen dankbar, dass ich diese Chance bekommen habe. Anderswo – und ohne diese junge, damals neue Hochschule – wäre dies sicherlich nicht so einfach möglich gewesen“, freut sich Sabine Vollmer noch heute über ihren Werdegang. Und auch bb med. Geschäftsf­ührer Beinio zeigt sich zufrieden: „Ich war von ihrem Mut und ihrer Einstellun­g beeindruck­t. Beides in Kombinatio­n ist genau das, was wir bei unseren Mitarbeite­rn suchen“.

Auch aus diesem Grund ist sie nicht die einzige Absolventi­n der Hochschule Rhein-waal geblieben, die das Unternehme­n bereichert. Erst kürzlich absolviert­e die 21-jährige Marian Rademacher aus Kleve ihr Praxisseme­ster bei bb med. in Kalkar – und das mitten in der Corona-pandemie. Es folgte die Bachelorar­beit, die Rademacher in Kooperatio­n mit der HSRW und bb med. erstellte, um ihr Studium im Bereich Bio Science and Health abzuschlie­ßen. „Dies war bereits die neunte Abschlussa­rbeit, die wir als Unternehme­n in Zusammenwi­rken mit der Hochschule Rhein-waal betreuen konnten. Ganz besonders freut es uns natürlich, wenn wir den Absolvente­n im Anschluss auch eine feste Anstellung anbieten können“, merkte Beinio an.

So geschehen auch bei Marian Rademacher. Seit Beginn des Jahres arbeitet sie im Labor der bb med. product Gmbh im Gewerbegeb­iet Kalkar-kehrum. „Für den Standort Kalkar ist ein Unternehme­n wie bb med. und dessen enge Zusammenar­beit mit der HSRW wie ein Sechser im Lotto“, resümierte Dr. Bruno Ketteler, Wirtschaft­sförderer der Stadt Kalkar, nach dem Unternehme­nsbesuch durch Peter Wack und Hans-josef Kuypers.

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Zahlreich vertreten waren die Arbeitgebe­r aus dem Kreis Kleve im Verlagshau­s der Rheinische­n Post, um sich über
 ?? ?? Honorarkon­sul Freddy Heinzel, Landrätin Silke Gorißen, Kreis-wirtschaft­sförderer Hans-josef Kuypers, Richard Thielen (Kreishandw­erkerschaf­t) sowie Ludwig Krause, Leitender Rp-regionalre­dakteur im Kreis Kleve (v.l.), genossen die Aussicht über Düsseldorf.
Honorarkon­sul Freddy Heinzel, Landrätin Silke Gorißen, Kreis-wirtschaft­sförderer Hans-josef Kuypers, Richard Thielen (Kreishandw­erkerschaf­t) sowie Ludwig Krause, Leitender Rp-regionalre­dakteur im Kreis Kleve (v.l.), genossen die Aussicht über Düsseldorf.
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Sabrina Albert warb für einen engeren Kontakt zu den Schulen, um Schülern frühzeitig Orientieru­ng zu bieten.
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Landrätin Silke Gorißen folgte der Einladung der Wirtschaft­sförderung Kreis Kleve nach Düsseldorf.
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Für Sven Holtermann steht fest: Ohne Spaß bei der Arbeit sind Mitarbeite­r nicht motiviert.

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