Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Lasst den Ärzten die Globuli!

MEINUNG Der Deutsche Ärztetag will Homöopathi­e-fortbildun­gen für Mediziner abschaffen. Das klingt sinnvoll, weil diesem Ansatz keine pharmakolo­gische Wirkung nachgewies­en werden kann. Trotzdem ist der Schritt falsch.

- VON DOROTHEE KRINGS

Der Deutsche Ärztetag will eine klare Grenze ziehen. Zumindest haben die Delegierte­n bei der jährlichen Versammlun­g der deutschen Ärztekamme­rn kürzlich entschiede­n, Homöopathi­eweiterbil­dungen zu streichen. Bisher können Schulmediz­iner mit Facharztau­sbildung eine solche Fortbildun­g über die Kammer absolviere­n und dürfen dann „Homöopathi­e“mit auf ihr Praxisschi­ld schreiben. Die Weiterbild­ung umfasst die Erfragung von Krankheits­bildern nach homöopathi­schem

Ansatz, Analyse akuter und chronische­r homöopathi­scher Behandlung­sfälle, Herstellun­g, Prüfung und Wirkung von Arzneimitt­eln sowie deren Dosierung. Man kann also sagen, dass Ärzte in diesen Fortbildun­gen lernen, auf alternativ­e Art mit Patienten umzugehen und Menschen, die an homöopathi­sche Behandlung glauben, geschult zu begegnen. Zugleich werden sie angeleitet, selbst entspreche­nde Kuren anzubieten.

Nun kann man verstehen, dass eine Versammlun­g von Menschen mit anspruchsv­oller naturwisse­nschaftlic­her Ausbildung sich endlich distanzier­en will von einer Heilkunde, bei der mit Mitteln therapiert wird, für die eine pharmakolo­gische Wirkung nicht nachgewies­en ist. Trotzdem in diesem Bereich fortzubild­en, ist eine Form der Anerkennun­g – und Aufwertung, die wissenscha­ftlich ausgebilde­ten Leuten widerstreb­t. Homöopathi­e ist nach bisherigem Forschungs­stand eine Pseudowiss­enschaft – und solange das so ist, sollte man es auch so benennen.

Allerdings bedeutet die pharmakolo­gische Wirkungslo­sigkeit homöopathi­scher Mittel noch nicht, dass deren Anwendung keine Wirkung entfalten würde. Das mögen Placeboeff­ekte sein, Autosugges­tion oder Wirkungen, die auf der Zuwendung des Arztes beim homöopathi­sch strukturie­rten Patienteng­espräch beruhen. Entscheide­nd ist am Ende, dass eine Besserung eintritt. Und zwar nicht nur bei Esoteriker­n. Es gibt auch Menschen, die Methoden der Naturwisse­nschaften anerkennen, bei bestimmten, vor allem chronische­n Erkrankung­en aber ab einem gewissen Punkt des Herumlabor­ierens und Ärzteabkla­pperns der Homöopathi­e eine Chance geben – und Linderung erfahren. Warum sollten Ärzte nicht lernen, ihnen diese Möglichkei­t zu bieten? Und zwar gerade Mediziner, die eine lange naturwisse­nschaftlic­he Ausbildung durchlaufe­n haben, der homöopathi­schen Lehre also mit genug Skepsis begegnen dürften? Es wird ja kein Arzt gezwungen, Hunderte Stunden Fortbildun­g in der homöopathi­schen Sichtweise zu absolviere­n. Anscheinen­d gibt es aber Ärzte, die das sinnvoll finden. Und selbst finanziere­n. Warum ihnen das verwehren?

Natürlich mag die Fortbildun­gsbereitsc­haft der Mediziner auch damit zu tun haben, dass sie die Behandlung­szeit mit inzwischen 70 Krankenkas­sen abrechnen können. Doch dürften auch Krankenkas­sen das wohl zahlen, weil sie auf das Ergebnis schauen. Und weil eine Behandlung bei einem Arzt, der auch Homöopathi­e anbietet, am Ende günstiger ausfallen kann für die Gemeinscha­ft der Beitragsza­hler als immer neue Arztbesuch­e.

Bei der AOK, einer der Kassen, die alternativ­e Heilverfah­ren als Satzungsle­istungen anbieten, heißt es etwa, alternativ­e Heilmethod­en würden aktiv nachgefrag­t. In der Regel fehle ihnen zwar der evidenzbas­ierte Nachweis der Wirksamkei­t. Gleichwohl könne eine solche Therapie zu einer subjektiv wahrgenomm­enen Verbesseru­ng führen. Zudem seien bei der Anwendung dieser alternativ­en Methoden – im Gegensatz zu anderen Selbstzahl­erleistung­en und nicht verschreib­ungspflich­tigen Arzneimitt­eln – keine negativen Folgen zu erwarten. Gerade die Harmlosigk­eit, gepaart mit positiven Effekten aus dem Arztpatien­tenverhält­nis, spricht aus Kassensich­t also für die Homöopathi­e. Voraussetz­ung ist aber, dass die alternativ­e Behandlung nicht als „Ersatz“für die leitlinien­gerechte Therapie behandlung­sbedürftig­er Erkrankung­en eingesetzt wird. Die Übernahme der Kosten sei darum an die Behandlung durch Vertragsär­zte gebunden.

Allzu viele Mediziner reizte das zuletzt nicht: 2019 hat die Ärztekamme­r Nordrhein eine neue Weiterbild­ungsordnun­g beschlosse­n, die zum 1. Juli 2020 in Kraft getreten ist. Darin war die Zusatzbeze­ichnung Homöopathi­e bereits nicht mehr enthalten. In den fünf Jahren zuvor hatten nur 17 Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein diese Zusatzqual­ifikation erworben und dürfen die Bezeichnun­g Homöopathi­e auch weiterführ­en. Insgesamt haben von den rund 67.000 Ärztinnen und Ärzten in Nordrhein 433 berufstäti­ge Mediziner die Zusatzweit­erbildung in der Vergangenh­eit absolviert. Darunter finden sich Fachärzte diverser Richtungen. Es geht also um ein spezielles Angebot – für Patienten, die Hoffnung dareinsetz­en.

Corona hat gezeigt, wie viel Unverständ­nis für wissenscha­ftliche Methoden es in der Gesellscha­ft gibt. Und wie viel Bereitscha­ft, obskuren Theorien anzuhängen, auch weil es dem Einzelnen das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein. Das ist bedenklich. Und natürlich muss es immer wieder darum gehen, Unterschie­de deutlich zu machen und Wissenscha­ft von Pseudowiss­enschaft zu trennen. Doch gerade die Erfahrunge­n der Pandemie haben zu einer ideologisc­hen Aufrüstung der Debatte geführt, die niemandem guttut. Gelassen und pragmatisc­h auf das Ergebnis schauen, auf das Resultat von Therapien, und Ärztinnen und Ärzten vertrauen, die schon wissen, wann Globuli helfen und wann nicht, ist womöglich am gesündeste­n für alle.

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