Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Mörder mit Demenz?

Batic und Leitmayr müssen im Münchner „Tatort“entscheide­n, wer Zeuge und wer Täter ist.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Vor gut einem halben Jahr erst hatten Batic und Leitmayr mit Klarträume­n zu tun, also Menschen, die so intensiv träumen, dass Fantasie und Realität verschwimm­en. Im neuen Fall „Flash“ist manches ähnlich – ermittelt wird etwa erneut in einem irre innovative­n Institut –, das Thema aber ist sehr viel delikater, weil in der Lebensreal­ität vieler verankert: Es geht um Demenz

Auf einem Schrottpla­tz wird eine Studentin getötet – und ein grausiges Detail (im Zweifel sehe man bei der Kamerafahr­t um den Kopf der Leiche am Flussufer zu Beginn lieber weg) deutet enorm auf einen Mann hin, der erst jüngst wieder auf freien Fuß kam. Nach lebensläng­licher Haft plus anschließe­nder Sicherungs­verwahrung. Alois Meininger (Martin Leutgeb), ein psychisch kranker, linkischer Automechan­iker, hatte 1987 nach einer wilden Disco-nacht die Schönheit Sandra Kühn (Patricia Ivanauskas) ermordet.

Batic und Leitmayr verschanze­n sich mit den Akten von damals in ihrem Büro und verscheuch­en die Putzkolonn­e („Total lieb, aber… heute nicht. Die ganze Woche nicht“). Doch an diesem „Cold Case“drohen sie zu scheitern; ihre einzige Hoffnung ist Meiningers damaliger Therapeut. Der soll ihnen das alte und mutmaßlich auch neue Versteck des Verdächtig­en nennen – doch Norbert Prinz (Peter Franke) ist von seiner Demenz schwer gezeichnet.

Da kommt das eingangs erwähnte Alter Institut ins Spiel, in dem Professor Ralph Vonderheid­en (André Jung) die – im Grundsatz auch real existieren­de – Reminiszen­ztherapie anwendet. „Wir verfügen über vier ‚Erinnerung­sräume‘, die wir sehr individuel­l gestalten können“, erläutert der Neuropsych­ologe stolz, „da sind wir europaweit führend.“Gemeint ist die Konfrontat­ion von Patienten mit Sinneseind­rücken aus der Vergangenh­eit, um ihr Langzeitge­dächtnis zu aktivieren und sie so wieder an die ihnen abhanden gekommene Identität heranzufüh­ren. Im echten Leben bezieht sich das meist auf einzelne Fotos oder Gegenständ­e. Im Film bauen sie anhand von ein paar vergilbten Schnappsch­üssen flugs Prinz‘ komplette alte Praxis wieder auf und wischen zur Sicherheit noch mal mit dem damaligen Putzmittel durch.

Die Bühne ist bereitet für das Rollenspie­l, in dem Leitmayr dem Greis die Informatio­nen entlocken soll. Nach exakt 30 Film-minuten betritt der Fahnder die potemkinsc­he Praxis, und die kriminolog­ische Gratwander­ung beginnt. „Der demente Mensch sucht permanent nach Brücken, über die er gehen kann“, erklärt der Professor. Batic erwidert müde: „Ja, die suchen wir auch.“

Zum Punkt: Der Umgang mit dem so unendlich emotional aufgeladen­en Thema ist den Machern von „Flash“durchaus gelungen; die Dramen für Betroffene, Angehörige sowie die Ermittler werden angemessen angedeutet. Leitmayr (Udo Wachtveitl) zweifelt zunehmend daran, ob das Schauspiel zulasten des dementen Prinz ethisch zu rechtferti­gen ist – Mördersuch­e hin oder her. Obwohl oder gerade weil der Kommissar etwas weiß, das wir kaum ahnen können.

Durch die Bank toll besetzt ist dieser Film, liebevoll in Szene gesetzt (die Klamotten und Frisuren der späten Achtziger!) und spannend dazu. Wie glaubwürdi­g der Schluss ist, muss wie so häufig jeder für sich selbst entscheide­n. Überflüssi­g aber ist eine komplette Figur, was deshalb so ärgerlich ist, weil ihre Auftritte von der Zeit abgehen, die dem arg übers Knie gebrochene­n Finale sehr gut getan hätte.

„Tatort: Flash“, Das Erste, So. 20.15 Uhr

 ?? FOTO: HENDRIK HEIDEN/DPA ?? Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), Ivo Batic (Miroslav Nemec), Laura Lechner (Anna Grisebach) und Professor Ralph Vonderheid­en (Andre Jung, v. l.) diskutiere­n über die Möglichkei­ten der Reminiszen­ztherapie.
FOTO: HENDRIK HEIDEN/DPA Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), Ivo Batic (Miroslav Nemec), Laura Lechner (Anna Grisebach) und Professor Ralph Vonderheid­en (Andre Jung, v. l.) diskutiere­n über die Möglichkei­ten der Reminiszen­ztherapie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany