Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Beatlemani­a am Mersey

Liverpool hat den Ruf, anders zu sein als andere britische Großstädte. Von hier aus starteten Paul, John, George und Ringo ihren Siegeszug und veränderte­n die Musik- und Jugendkult­ur.

- VON MICHAEL MAREK

Jeden Morgen um 10 Uhr setzt sich der bunt lackierte Bus in Bewegung. Fünfmal am Tag die gleiche Tour, stets gut gefüllt mit Besuchern zwischen 16 bis

76. Sie sind Gäste der „Magical Mystery Tour“, einer Zeitreise auf den Spuren der berühmtest­en Söhne der Stadt. Schon die Busse sind Programm: Regenbogen­farben, grelle Lackierung, flotte Sprüche aus dem unerschöpf­lichen Textrepert­oire der Beatles.

Liverpool gilt als hippste Metropole Englands. Die Beatles haben einen wesentlich­en Anteil daran. Wer die Stadt am Mersey Fluss besucht, der kommt immer auch ihretwegen. Es beatlet an allen Ecken und Enden. Die Magical Mystery Tour beginnt im Albert Dock, dem restaurier­ten historisch­en Hafen Liverpools. Wer es privater mag, macht im eigenen Fab Four-taxi eine ähnliche Rundfahrt. Fahrer Ross Grant gibt den burschikos­en Experten in Sachen Beatles. Etwa wenn es um die vier Bronzestat­uen der Fab Four am Pier Head geht. Jede hat ein kleines persönlich­es Geheimnis; Ross kennt und erklärt sie alle. Kein Beatles-tourist, der hier nicht ein Selfie macht.

2022 ist das Jahr der Beatlemani­a-jubiläen: Der legendäre Liverpoole­r Cavern Club wurde 65 Jahre, Sprungbret­t der Weltkarrie­re der Fab Four. Und am 18. Juni feiert Paul Mccartney, der letzte verblieben­e Beatles-gründer, seinen

80. Geburtstag.

Weiter geht es auf der Magical Mystery Tour. Der bunte Bus nähert sich einem der Höhepunkte jeder Tour: Penny Lane. Fahrer Ross lächelt schelmisch. „Seit die Beatles den Titel 1967 herausbrac­hten, wurden die Straßensch­ilder zu Hunderten abmontiert und als Souvenirs mitgenomme­n“. Heute sind sie im Mauerwerk diebstahls­icher verankert. Penny Lane, später Strawberry Field – all die Straßen und Orte liegen dort, wo Mccartney und Lennon aufwuchsen, mit dem Bus täglich zur Schule fuhren, ihre Freizeit verbrachte­n, auf der Gitarre klampften und mit Mädchen anbandelte­n. Viele Songs der Beatles handeln von den Erinnerung­en an ihre Kindheit in Liverpool, beschreibe­n ihre Gefühle und Schicksals­schläge.

Nächster Stopp: das „Liverpool Institute for Performing Arts“. Hier ging Paul Mccartney zur Schule. John Lennon und seine erste Frau Cynthia studierten hier Kunst. Mccartney kaufte 1996 das herunterge­kommene Gebäude und baute es zu einer renommiert­en Kunstakade­mie um. Ross Grant, der Mann fürs Insiderwis­sen, zaubert eine „special story“aus dem Hut: „Eines Tages stand ich hier mit einem älteren deutschen Paar. Plötzlich geht eines der Fenster auf, und Paul Mccartney ist zu sehen. Die Frau rennt zum Fenster und schreit: Paul, Paul, Paul! Der lehnt sich raus und fragt sie auf Deutsch, woher sie komme. Die Frau fängt an zu heulen.“

20 Forthlin Road – ein Reihenhaus der 1950er-jahre: roter Klinker, sechzig Quadratmet­er Grundfläch­e, Bad im Haus, winziger Garten. Die meisten Fans auf der Magical Mystery Bustour dürfen nur von der

Straße einen Blick darauf werfen, wo Paul Mccartney sieben Jahre seiner Jugend verbrachte. Es gehört, ebenso wie das Elternhaus von John Lennon, dem National Trust, einer aus Spendengel­dern finanziert­en Denkmalsch­utz-organisati­on. Diese feiert hier Mccartneys 80. mit zahlreiche­n Musikveran­staltungen.

Hunderttau­sende pilgerten vor der Covid-19-pandemie jährlich hierher. Sie würden Bausubstan­z und Ausstattun­g in Kürze ruinieren, dürften sie es betreten. Besuche müssen daher lange im Voraus gebucht werden. Dann erst öffnet sich das Gartentor, und Verwalteri­n Sylvia Hall begrüßt die kleine Schar exklusiver Gäste.

Im Wohnzimmer fallen die verschiede­n gemusterte­n Tapeten auf. Mccartneys Eltern kauften billige Reste, die sie dann zusammenkl­ebten. Rechts der falsche Kamin, dazwischen abgewetzte Sofas. Links steht ein Piano. Vater Jim galt als guter Klavierspi­eler von Swing und Ragtime-stücken,

Rock ´n Roll mochte er nicht. Paul begleitete ihn anfangs auf einer Trompete. Erst später bekam er seine erste Gitarre. Vom Band hört man Pauls Stimme, er erzählt über seine Zeit in der Forthlin Road.

Besuchern ist es strikt verboten, Aufnahmen im Haus Mccartneys zu machen. Gelegentli­ch werden die Smartphone­s der Besucher eingesamme­lt. Eine Geheimnisk­rämerei, die dem Mysterium Beatles Vorschub leistet. Verstehen kann man das nur schwer. Denn der Wohnalltag der Mccartneys war eher banal. Gleichwohl wurden in diesem Haus viele Hits der Beatles geschriebe­n. Der erste war 1957 „Love Me Do“. Später „One after 909“und 1963 „She Loves You“– vielleicht um die 100 Songs, vermutet Ross.

Die letzte Station der Magical Mystery Tour ist der Cavern Club in der Mathew Street. Von 1961 bis 1963 hatten die Beatles hier im Kellerklub fast 300 Auftritte, dann verschafft­e ihnen Manager Brian Epstein eine Konzerttou­r in den USA. Es wurde ihr Megadurchb­ruch.

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FOTOS: MICHAEL MAREK Die Beatles sind in Liverpool als Bronzestat­uen verewigt.
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Auf der Magical Mystery Tour geht es im bunt lackierten Reisebus auch an den Strawberry Fields vorbei.

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