Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Beatlemania am Mersey
Liverpool hat den Ruf, anders zu sein als andere britische Großstädte. Von hier aus starteten Paul, John, George und Ringo ihren Siegeszug und veränderten die Musik- und Jugendkultur.
Jeden Morgen um 10 Uhr setzt sich der bunt lackierte Bus in Bewegung. Fünfmal am Tag die gleiche Tour, stets gut gefüllt mit Besuchern zwischen 16 bis
76. Sie sind Gäste der „Magical Mystery Tour“, einer Zeitreise auf den Spuren der berühmtesten Söhne der Stadt. Schon die Busse sind Programm: Regenbogenfarben, grelle Lackierung, flotte Sprüche aus dem unerschöpflichen Textrepertoire der Beatles.
Liverpool gilt als hippste Metropole Englands. Die Beatles haben einen wesentlichen Anteil daran. Wer die Stadt am Mersey Fluss besucht, der kommt immer auch ihretwegen. Es beatlet an allen Ecken und Enden. Die Magical Mystery Tour beginnt im Albert Dock, dem restaurierten historischen Hafen Liverpools. Wer es privater mag, macht im eigenen Fab Four-taxi eine ähnliche Rundfahrt. Fahrer Ross Grant gibt den burschikosen Experten in Sachen Beatles. Etwa wenn es um die vier Bronzestatuen der Fab Four am Pier Head geht. Jede hat ein kleines persönliches Geheimnis; Ross kennt und erklärt sie alle. Kein Beatles-tourist, der hier nicht ein Selfie macht.
2022 ist das Jahr der Beatlemania-jubiläen: Der legendäre Liverpooler Cavern Club wurde 65 Jahre, Sprungbrett der Weltkarriere der Fab Four. Und am 18. Juni feiert Paul Mccartney, der letzte verbliebene Beatles-gründer, seinen
80. Geburtstag.
Weiter geht es auf der Magical Mystery Tour. Der bunte Bus nähert sich einem der Höhepunkte jeder Tour: Penny Lane. Fahrer Ross lächelt schelmisch. „Seit die Beatles den Titel 1967 herausbrachten, wurden die Straßenschilder zu Hunderten abmontiert und als Souvenirs mitgenommen“. Heute sind sie im Mauerwerk diebstahlsicher verankert. Penny Lane, später Strawberry Field – all die Straßen und Orte liegen dort, wo Mccartney und Lennon aufwuchsen, mit dem Bus täglich zur Schule fuhren, ihre Freizeit verbrachten, auf der Gitarre klampften und mit Mädchen anbandelten. Viele Songs der Beatles handeln von den Erinnerungen an ihre Kindheit in Liverpool, beschreiben ihre Gefühle und Schicksalsschläge.
Nächster Stopp: das „Liverpool Institute for Performing Arts“. Hier ging Paul Mccartney zur Schule. John Lennon und seine erste Frau Cynthia studierten hier Kunst. Mccartney kaufte 1996 das heruntergekommene Gebäude und baute es zu einer renommierten Kunstakademie um. Ross Grant, der Mann fürs Insiderwissen, zaubert eine „special story“aus dem Hut: „Eines Tages stand ich hier mit einem älteren deutschen Paar. Plötzlich geht eines der Fenster auf, und Paul Mccartney ist zu sehen. Die Frau rennt zum Fenster und schreit: Paul, Paul, Paul! Der lehnt sich raus und fragt sie auf Deutsch, woher sie komme. Die Frau fängt an zu heulen.“
20 Forthlin Road – ein Reihenhaus der 1950er-jahre: roter Klinker, sechzig Quadratmeter Grundfläche, Bad im Haus, winziger Garten. Die meisten Fans auf der Magical Mystery Bustour dürfen nur von der
Straße einen Blick darauf werfen, wo Paul Mccartney sieben Jahre seiner Jugend verbrachte. Es gehört, ebenso wie das Elternhaus von John Lennon, dem National Trust, einer aus Spendengeldern finanzierten Denkmalschutz-organisation. Diese feiert hier Mccartneys 80. mit zahlreichen Musikveranstaltungen.
Hunderttausende pilgerten vor der Covid-19-pandemie jährlich hierher. Sie würden Bausubstanz und Ausstattung in Kürze ruinieren, dürften sie es betreten. Besuche müssen daher lange im Voraus gebucht werden. Dann erst öffnet sich das Gartentor, und Verwalterin Sylvia Hall begrüßt die kleine Schar exklusiver Gäste.
Im Wohnzimmer fallen die verschieden gemusterten Tapeten auf. Mccartneys Eltern kauften billige Reste, die sie dann zusammenklebten. Rechts der falsche Kamin, dazwischen abgewetzte Sofas. Links steht ein Piano. Vater Jim galt als guter Klavierspieler von Swing und Ragtime-stücken,
Rock ´n Roll mochte er nicht. Paul begleitete ihn anfangs auf einer Trompete. Erst später bekam er seine erste Gitarre. Vom Band hört man Pauls Stimme, er erzählt über seine Zeit in der Forthlin Road.
Besuchern ist es strikt verboten, Aufnahmen im Haus Mccartneys zu machen. Gelegentlich werden die Smartphones der Besucher eingesammelt. Eine Geheimniskrämerei, die dem Mysterium Beatles Vorschub leistet. Verstehen kann man das nur schwer. Denn der Wohnalltag der Mccartneys war eher banal. Gleichwohl wurden in diesem Haus viele Hits der Beatles geschrieben. Der erste war 1957 „Love Me Do“. Später „One after 909“und 1963 „She Loves You“– vielleicht um die 100 Songs, vermutet Ross.
Die letzte Station der Magical Mystery Tour ist der Cavern Club in der Mathew Street. Von 1961 bis 1963 hatten die Beatles hier im Kellerklub fast 300 Auftritte, dann verschaffte ihnen Manager Brian Epstein eine Konzerttour in den USA. Es wurde ihr Megadurchbruch.